Vertilgen oder bewahren – was macht der gute Hirte mit den fetten Schafen? (Ez 34,16)

Der Revision der Einheitsübersetzung ist im Umgang mit Ez 34,16 ein
besonderes Kunststück gelungen. Während die alte Einheitsübersetzung den Vers mit

Die verloren gegangenen Tiere will ich suchen, die vertriebenen zurückbringen, die verletzten verbinden, die schwachen kräftigen, die fetten und starken behüten. Ich will ihr Hirt sein und für sie sorgen, wie es recht ist. (Ez 34,16; EÜ 1980)

wiedergab, übersetzte die Revision 2016

Das Verlorene werde ich suchen, das Vertriebene werde ich zurückbringen, das Verletzte werde ich verbinden, das Kranke werde ich kräftigen. Doch das Fette und Starke werde ich vertilgen. Ich werde sie weiden wie es recht ist. (Ez 34,16; REÜ 2016)

was schon einen ziemlichen Unterschied macht. Scheinbar erschrocken über diesen drastischen Wechsel, machte das aktuelle Lektionar, das eigentlich der revidierten Fassung folgen sollte, einen Salto rückwärts, so dass deutschsprachige Katholiken am letzten Christkönigstag zu hören bekamen:

Die verloren gegangenen Tiere will ich suchen,
die vertriebenen zurückbringen,
die verletzten verbinden,
die schwachen kräftigen,
die fetten und starken behüten.
Ich will ihr Hirt sein
und für sie sorgen, wie es recht ist.
(Ez 34,16; aktuelles Lektionar)

Ich versuche, etwas Licht in dieses wirre Hin- und her zu bringen.

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Online-Vortrag von Jörg Frey zu 75 Jahre Schriftfunde vom Toten Meer

Jörg Frey, Professor für Neutestamentliche Wissenschaft mit Schwerpunkten Antikes Judentum und Hermeneutik an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich hat am 21. Juni diesen Jahres die 10. Gustaf-Dalman-Lecture für die Stiftung Alfried Krupp Kolleg Greifswald gehalten. Dankenswerterweise wurde der Vortrag hier online gestellt. Ich kann ihn jedem und jeder an diesem Thema Interessierten nur ausdrücklich empfehlen, denn diese Funde haben den wissenschaftlichen Blick auf die Bibel grundsätzlich auf ein neues Niveau gehoben.

„Damit erklärte Jesus alle Speisen für rein.“

So übersetzt die revidierte Einheitsübersetzung die zweite Hälfte von Mk 7,19. Ich halte das für falsch und möchte einen genaueren Blick auf die Übersetzungstradition dieser biblischen Aussage werfen – es lohnt sich.

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Siebzig oder fünfundsiebzig Personen

Das Ausgangsproblem

Nach dem Masoretischen Text (MT) von Ex 1,5 beträgt die Zahl aller Personen, die von Jakob abstammen: 70 Personen.

וַֽיְהִי כָּל־נֶפֶשׁ יֹצְאֵי יֶֽרֶךְ־יַעֲקֹב שִׁבְעִים נָפֶשׁ וְיוֹסֵף הָיָה בְמִצְרָֽיִם׃

Und er waren alle Person(en), die aus den Lenden Jakobs hervorgingen, Siebzig Person(en) – und Josef war in Ägypten. (MÜ)

Merwürdigerweise spricht Stephanus in seiner großen Rede vor seiner Ermordung in Apg 7,14 allerdings von 75 Personen:

ἀποστείλας δὲ Ἰωσὴφ μετεκαλέσατο Ἰακὼβ τὸν πατέρα αὐτοῦ καὶ πᾶσαν τὴν συγγένειαν ἐν ψυχαῖς ἑβδομήκοντα πέντε.

Josef aber sandte hin und rief seinen Vater Jakob und die ganze Verwandschaft zu sich: fünfundsiebzig Lebende (Ü: Fridolin Stier)

Lukas folgt damit der Septuaginta, die diese Zahl ebenfalls in Ex 1,5 bietet:

Ιωσηφ δὲ ἦν ἐν Αἰγύπτῳ. ἦσαν δὲ πᾶσαι ψυχαὶ ἐξ Ιακωβ πέντε καὶ ἑβδομήκοντα.

Joseph aber war (schon) in Ägypten. Es waren aber alle Menschen aus Jakob 75 an der Zahl. (Ü: LXX Deutsch)

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Zog Jesus auf einem oder auf zwei Eseln in Jerusalem ein?

Diese Frage stellt sich bei einer sorgfältigen Lektüre der Synoptiker, denn bei Mk und Lk zieht Jesus auf dem Jungtier (πῶλος) eines Esels in Jerusalem ein1, bei Mt auf einer Eselin (ὄνος) und ihrem Jungtier2. Auch bei Joh sitzt Jesus auf dem Jungtier einer Eselin (Joh 12,14-15). Der Grund für diese unterschiedliche Darstellung der Evangelisten liegt meiner Meinung nach in der hebräischen Grammatik begründet.

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Ist ‚Christus‘ ein Namen oder ein Titel?

Die Rede von „Jesus Christus“ klingt so selbstverständlich als Namen in unseren Ohren, dass das ebenfalls neutestamentlich „Christus Jesus“ (z.B. Apg 3,20; Röm 8,39; Eph 1,2) irritierend wirkt. Bei dieser Kombination muss es sich ja wohl um einen Titel handeln.

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Von Ägypten über Oxford nach Washington und zurück – ein aktueller Papyri-Skandal

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Der in diesem Blog schon mehrfach erwähnte Papyrologe Brent Nongbri hat durch seine Beharrlichkeit einen Skandal (mit)aufgedeckt, der derzeit die scheinbar so beschauliche Welt der Papyrologie durcheinander wirbelt. Verwickelt sind ein renommierter Professor aus Oxford, das von einer evangelikalen US-Familie finanzierte „Museum of the Bible“ in Washington und ein gewisser Scott Carroll. Aber der Reihe nach. „Von Ägypten über Oxford nach Washington und zurück – ein aktueller Papyri-Skandal“ weiterlesen

Wie alt ist Papyrus 52?

Seit seiner ersten Publikation machte 𝔓 52 Furore: er galt als der älteste erhaltene Text des NT und wurde in der zweiten Auflage des Lehrbuches »Der Text des Neuen Testamentes« von Kurt und Barbara Aland auf dem Einband dargestellt, quasi als Symbol für die wissenschaftliche Sicherung des ursprünglichen Bibeltextes.

Die Alands schrieben in ihrem Lehrbuch, der Papyrus gehöre

zu den wahrlich sensationellen Funden der letzten Generation. 𝔓 52 bot zwar nur ein Fragment aus Kap. 18 des Johannesevangeliums, aber die Datierung »um 125 n. Chr.« durch die führenden Papyrologen war an ihm das Entscheidende. Nun schließt »um 125« zwar einen Spielraum von ca. 25 Jahren nach beiden Seiten ein, neuerdings scheint sich aber die Überzeugung durchzusetzen, daß das Jahr 125 die Endgrenze darstellt, so daß 𝔓 52 ganz dicht an die wahrscheinliche Entstehung des Johannesevangeliums um 90-95 n. Chr. heranrückt. 1

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Das angebliche Evangelium von Jesus Frau

Der Fernsehsender Phoenix hat am 30. Oktober 2018 eine ‚Dokumentation‘ mit dem Titel »Aufgedeckt: Geheimnisse des Altertums. Auf der Suche nach Jesus Frau« gebracht, in der Karin L. King, Professorin an der Harvard Divinity School, ausführlich zu Wort kam, die ein koptisches Evangelium von der Frau Jesu entdeckt haben will. Sie publizierte ihre ‚Entdeckung‘ 2014 und generierte umfassende Aufmerksamkeit.
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