Untersuchungen – Kapitel 20 & 21

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(Cap. XX – Vers. 12.) «Etenim vere soror mea est de patre, sed non ex matre». Id est, fratris eius est Aran filia, non sororis. Sed quia in Hebraeo habet: «vere soror mea est, filia patris mei, et non filia matris meae;» et magis sonat, quod soror Abrahae fuerit, in excusationem eius dicimus, necdum illo tempore tales nuptias lege prohibitas.

(Gen 20,12): »Sie ist nämlich wirklich meine Schwester vom Vater her, nicht aber von der Mutter her«. Das bedeutet, sie ist die Tochter Harans, seines Bruders, nicht seiner Schwester. 1 Aber weil im Hebräischen steht: »Sie ist in Wahrheit meine Schwester, die Tochter meines Vaters, aber nicht die Tochter meiner Mutter;« und es mehr bedeutet, dass sie die Schwester Abrahams gewesen ist, so wollen wir zu seiner Entschuldigung sagen, dass in jener Zeit solche Ehen auch noch nicht durch das Gesetz verboten waren.

(Cap. XXI – Vers. 9.) «Et vidit Sara filium Agar Ægyptiae, quem peperit [Al. pepererat] Abraae ludentem;» quod sequitur, «Cum Isaac filio suo», non habetur in Hebraeo. Dupliciter itaque hoc ab Hebraeis exponitur: sive quod idola ludo fecerit, iuxta illud quod alibi scriptum est: Sedit populus comedere et bibere, et surrexerunt ludere (Exod. XXXII, 6): sive quod adversum Isaac, quasi maioris ætatis, ioco sibi et ludo primogenita vendicaret. Quod quidem Sara audiens, non tulit: et hoc ex ipsius approbatur sermone dicentis: «Ejice ancillam hanc cum filio suo. Non enim haeres erit filius ancillae cum filio meo Isaac».

(Gen 21,9): »Und Sara sah den Sohn der Hagar, der Ägypterin, den sie Abraham geboren hatte, wie er sich vergnügte/spielte«; was darauf folgt, »Mit Isaak, ihrem Sohn«, steht nicht im Hebräischen. Daher wird es von den Hebräern auf zweifache Weise erklärt: sei es, dass er im Spiel Götzenbilder anfertigte, gemäß dem was anderswo geschrieben steht: Das Volk setzte sich, um zu essen und zu trinken, und sie erhoben sich, um sich zu vergnügen/um zu spielen (Ex 32,6); 2 sei es, dass er gegenüber Isaak, gewissermaßen als der Ältere, für sich im Spaß und im Spiel die Rechte der Erstgeburt in Anspruch nahm. Als Sara das hörte, ertrug sie es sicher nicht. Das wird durch ihre eigene Äüßerung bestätigt, wenn sie sagt: Wirf diese Sklavin mit ihrem Sohn hinaus; denn der Sohn dieser Sklavin wird nicht mit meinem Sohn Isaak zusammen Erbe sein!

(Vers. 14.) «Et sumpsit panes et utrem aquae, et dedit Agar, ponens super humerum eius, et parvulum, et dimisit eam.» Quando Isaac natus est, tredecim annorum erat Ismael. Et post ablactationem eius, iste cum matre expellitur domo. Inter Hebraeos autem varia opinio est, asserentibus aliis, quinto anno ablactationis tempus statutum, aliis duodecimum annum vendicantibus. Nos igitur ut breviorem eligamus aetatem, post decem et octo annos Ismael supputavimus eiectum esse cum matre, et non convenire iam adolescenti matris sedisse cervicibus. Verum est igitur illud Hebraeorum linguae idioma, quod omnis filius ad comparationem parentum, infans vocetur et parvulus. Nec miremur barbaram linguam habere proprietates suas: cum hodieque Romae omnes filii vocentur infantes. Posuit ergo Abraham panes et utrem super humerum Agar: et hoc facto dedit puerum matri, hoc est, in manus eius tradidit, commendavit, et ita emisit e domo. Quod autem sequitur:

(Gen 21,14) »Er nahm Brote und einen Schlauch mit Wasser und gab es Hagar und er setzte ihr auch das Kind auf die Schulter und er schickte sie weg.« Als Isaak geboren wurde, war Ismael dreizehn Jahre alt. 3 Und nachdem er abgestillt worden war, 4 wurde er mit der Mutter aus dem Haus vertrieben. Unter den Hebräern ist man geteilter Meinung: von den einen wird versichert, dass die Zeit des Abstillens für das fünfte Jahr festgesetzt wurde, die anderen nehmen das zwölfte Jahr in Anspruch. Um das niedrigere Lebensalter auszuwählen, haben wir errechnet, dass Ismael nach achtzehn Jahren mit der Mutter vertrieben wurde, 5 und da passt es nicht mehr zu einem jungen Mann, auf den Schultern der Mutter zu sitzen. Allerdings ist es eine Eigentümlichkeit der Sprache der Hebräer, dass jeder Sohn in der Beziehung zu seinen Eltern Kind und Kleinkind genannt wird. Wir dürfen uns nicht wundern, dass eine barbarische Sprache ihre Eigenheiten hat, da auch heute noch in Rom alle Söhne Kinder genannt werden. Also legte Abraham Brote und einen Schlauch auf die Schulter der Hagar: und nachdem er das getan hatte, gab er den Sohn der Mutter, das heißt, er überließ ihn ihrer Hand, vetraute ihn ihr an und schickte sie aus dem Haus fort. Aber das, was folgt:

(Vers. 15, 16.) «Et projecit puerum subter abietem, et abiens sedit de contra longe, quasi iactu sagittae. Dixit enim: Non videbo mortem parvuli mei. Et sedit contra eum.» Et statim jungitur: «Exclamavit puer, et flevit, et audivit Deus vocem pueri de loco ubi erat. Et dixit Angelus Dei ad Agar de coelo,» et reliqua, nullum moveat. In Hebraeo enim post hoc, quod scriptum est, «Non videbo mortem parvuli mei,» ita legitur, quod ipsa Agar sederit contra puerum, et levaverit vocem suam, et fleverit, et exaudierit Deus vocem parvuli. Flente enim matre, et mortem filii miserabiliter praestolante, Deus exaudivit puerum: de quo pollicitus fuerat Abrahæ, dicens: Sed et filium ancillae tuae in gentem magnam faciam (cap. XVII, vers. 20). Alioquin et ipsa mater non suam mortem, sed filii deplorabat. Pepercit igitur ei Deus, pro quo fuerat et fletus. Denique in consequentibus dicitur (vers. 18): «Surge et tolle puerum, et tene manum ejus.» Ex quo manifestum est, eum qui tenetur, non oneri matri fuisse, sed comitem. Quod autem manu parentis tenetur, sollicitus monstratur affectus.

(Gen 21,15+16) »Und sie warf den Jungen unter einen Nadelbaum, und sie ging weg und saß ihm in der Ferne gegenüber, etwa einen Bogenschuss weit entfernt; denn sie sagte: ich werde den Tod meines Sohnes nicht ansehen!« Und sofort schließt sich an: »Der Junge schrie auf und weinte, und Gott hörte die Stimme des Jungen von dem Ort aus, wo er war. Und der Engel Gottes sprach zu Hagar vom Himmel,« und das Übrige, es soll keineswegs erschüttern. Denn im Hebräischen liest man nach dem, was als »ich werde den Tod meines Kindes nicht ansehen «geschrieben steht, so: dass Hagar selbst dem Jungen gegenüber saß und ihre Stimme erhob, und weinte, und Gott die Stimme des Kleinkindes hörte. Denn während die Mutter weinte und den Tod ihres Sohnes unter Klagen erwartete, erhörte Gott den Jungen, über den er Abraham ein Versprechen mit den Worten gegeben hatte: Aber auch den Sohn deiner Magd will ich zu einem großen Volk machen (Gen 17,20). Jedenfalls beweinte die Mutter nicht ihren Tod, sondern den des Sohnes. Also gewährte Gott dem Schonung, der beweint worden war. Daher wird in den nachfolgenden (Versen) gesagt: »Steh auf, nimm den Jungen und halte sein Hand.« (Gen 21,18). Dadurch wird offenkundig, dass der, der gehalten wird, der Mutter keine Last, sondern ein Gefährte war. Dass er aber von der Hand der Mutter gehalten wird, weist auf ein banges Gefühl hin.

(Vers. 22.) «Et dixit Abimelech et Ochozath pronubus eius, et Phicol princeps exercitus ejus.» Excepto Abimelech et Phicol, tertium nomen, quod hic legitur, in Hebraeo volumine non habetur.

(Gen 21,22): »Abimelech und Ochozath, sein Brautführer, und Phichol, der Oberbefehlshaber seiner Streitmacht, sagte.« Mit Ausnahme von Abimelech und Phicol steht der dritte Name, der hier gelesen wird, nicht im hebräischen Buch.

(Vers. 30.) «Et dixit: Septem oves has accipies a me, ut sint in testimonium mihi, quia ego fodi puteum istum.» Ideo cognominavit nomen loci illius puteus juramenti, quia ibi juraverunt ambo. Ubi hic legitur, puteus juramenti, in Hebraeo habetur BERSABEE (באר–שׁבע). Duplex autem est causa cur ita appellatus sit: sive quia septem agnas Abimelech de manu Abrahæ acceperit: Septem enim dicuntur SABEE: sive quod ibi juraverint: quia et juramentum SABEE similiter appellatur. Quod si ante hanc causam supra nomen hoc legimus, sciamus per dictum esse: sicut et Bethel et Galgala, quae utique usque ad tempus quo ita appellatae sunt, aliter vocabantur. Notandum autem et ex prioribus, et ex praesenti loco, quod Isaac non sit natus ad quercum Mambre, sive in Aulone Mambre, ut in Hebraeo habetur: sed in Geraris, ubi et Bersabee usque hodie oppidum est. Quae provincia ante non grande tempus, ex divisione praesidum Palaestinæ, Salutaris est dicta. Huius rei Scriptura testis est, quae ait (Vers. 34): «Et habitavit Abraham in terra Philistinorum.»

(Gen 21,30) »Und er (Abraham) sagte: Du wirst diese sieben Schafe von mir erhalten, damit sie mir Zeugnis sind, weil ich diesen Brunnen gegraben habe.« Deswegen gab er diesem Ort den Beinamen Schwurbrunnen, auf Hebräisch steht beer schāwa. Es gibt einen doppelten Grund, warum er so genannt wird: entweder weil Abimelech sieben Lämmer von der Hand Abrahams erhielt – denn schæwa heißt Sieben; oder weil sie dort geschworen hatten, denn auch der Schwur heißt gleichfalls schawa. 6 Wenn wir aber vor dieser Angelegenheit den Namen weiter oben (im Bibeltext schon) gelesen haben, dann sollten wir wissen, dass er durch eine Vorwegnahme so genannt wurde: gleichwie sowohl Bet-El als auch Galgala, die jedenfalls bis zu der Zeit, als sie so genannt wurden, anders hießen. Es ist aber sowohl an Hand der vorhergehenden als auch der vorliegenden Stelle anzumerken, dass Isaak nicht bei der Eiche von Mamre, 7 oder in elonei mamre, 8 wie im Hebräischen steht, geboren wurde; sondern in Gerar, wo auch bis heute die befestige Stadt Beerscheva ist. Diese Provinz wurde vor nicht all zu langer Zeit durch eine Aufteilung der Provinzstatthalter Palästinas, Salutaris genannt. Diese Angelegenheit wird durch die Schrift bezeugt, die sagt: »Und Abraham wohnte im Land der Philister« (Gen 21,34).

Fortsetzung

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  1. Vgl. dazu die Ausführungen des Hieronymus zu Gen 11,29.
  2. Ex 32 erzählt die Geschichte vom goldenen Kalb. Weil auch dort das gleiche Wort verwendet wird, das zur Beschreibung der Tätigkeit des Ismael in Gen 21,9 verwendet wird, schlossen die Rabbinen, dass Ismael ebenfalls ein Götzenbild angefertigt hatte.
  3. Nach Gen 16,16 war Abraham sechsundachtzig Jahre alt, als Ismael von Hagar geboren wurde. Nach Gen 17,25 wurde Ismael mit dreizehn Jahren beschnitten, als Abraham neunundneunzig war. In Gen 17,17 lachte Abraham darüber, dass einem hundertjährigen noch ein Sohn geboren werden sollte. Laut Gen 21,5 war Abraham hundert Jahre alt, als ihm Isaak geboren wurde. Hieronymus dürfte hier also vom vierzehnten Lebensjahr des Ismael ausgehen.
  4. Im vorausgehenden Vers Gen 21,8 wird gesagt, dass Abraham anlässlich der Entwöhnung des Isaak ein großes Fest feierte.
  5. Ismael war bei Isaaks Geburt dreizehn, dazu kommen die fünf Jahre bis zum Abstillen des Kindes, das macht dann achtzehn Jahre bei der Vertreibung.
  6. Das Wort für »Sieben« und die Wortwurzel für »schwören« sind im nicht vokalisierten Hebräisch identisch. Dementsprechend ist der »Siebenbrunnen« in der LXX ein φρέαρ τοῡ ὅρκου – ein »Schwurbrunnen«.
  7. Gen 13,8 und 18,1
  8. Dahinter steckt ein nomen gentile: elon stammt vom akkadischen ilãnu, und bedeutet »kleiner Gott«. Gemeint ist also ein »Gottesbaum«. (s. Koehler&Baumgartner, Hebräisches und Aramäisches Lexikon zum AT, Band I, S. 52)