Die Rede von „Jesus Christus“ klingt so selbstverständlich als Namen in unseren Ohren, dass das ebenfalls neutestamentlich „Christus Jesus“ (z.B. Apg 3,20; Röm 8,39; Eph 1,2) irritierend wirkt. Bei dieser Kombination muss es sich ja wohl um einen Titel handeln.
Dass sich die Kopisten der biblischen Texte in dieser Frage ebenfalls unsicher waren, zeigt die Überlieferungsgeschichte von Röm 13,14: Der Mehrheitstext nach Nestle-Aland 28 liest: „sondern zieht den Herrn Jesus Christus an“ (tòn kýrion Iēsũn Xristón). Der kritische Apparat bezeugt allerdings, dass auch die Kombinationen „den Christus Jesus“ (τον Χριστον Ιησουν) – „den Herrn Jesus“ (τον κυριον Ιησουν) – „Jesus Christus, euren Herrn“ (Ιησουν Χριστον τον κυριον ημων) in den Handschriften vorkommen. 1
Die grundlegende wissenschaftliche Ausgabe des griechischen NT – der hier schon genannte Nestle-Aland – hat dabei nicht unwesentlich zur Verschärfung der Unsicherheit in dieser Frage beigetragen2. In früheren Ausgaben stand noch im Vorwort:
Die griechische Rechtschreibung (…) wurde jetzt so geregelt, wie sie von den Philologen für die Zeit der Entstehung der neutestamentlichen Schriften angenommen wird. (…) χριστός wurde kleingeschrieben, wo es Amtsbezeichnung „der Messias“ ist (z.B. Mt 16,16); dagegen groß, wo es deutlich zum Eigennamen geworden ist, z.B. G 3,24-29 (in manchen Fällen kann man natürlich verschieden urteilen).3
N.T. Wright hat darauf hingewiesen, dass diese Erklärung in späteren Ausgaben weggelassen wurde, „but the practice continues“4. Ein Blick auf die beiden genannten Stellen bestätigt das – und die Problematik dieser Entscheidung. In Gal 3,26 wird das besonders deutlich: Πάντες γὰρ υἱοὶ θεοῦ ἐστε διὰ τῆς πίστεως ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ· „Denn ihr alle seid Kinder Gottes durch das Vertrauen in Christus Jesus“ (en Christō Iēsũ). Es ist doch ganz offensichtlich, dass Christus hier kein Namen ist, sondern ein Titel!
Ich denke, dass kein Weg daran vorbeiführt, das Wort Christus kontinuierlich als „der Gesalbte“ oder „der Messias“ zu übersetzen. Wer es zu einem Namen macht, ignoriert nicht nur die nomina sacra in den Handschriften des NT, er kastriert auch das grundlegende Bekenntnis des NT, dass Jesus der Messias ist. Es bleibt – auch darauf hat N.T. Wright hingewiesen – für die Exegese peinlich, dass es ein Philosoph war, der uns diesen Umstand wieder ins Gedächtnis rufen musste: Giorgio Agamben in seinem Paulus-Buch: „Die Zeit, die bleibt.“5
- Für Augustinus löste die Lektüre dieses Verses seine Lebenswende aus, wie er in seinen Bekenntnissen schreibt. In seinem Exemplar des Römerbriefes stand: sed induite Dominum Iesum Christum – „sondern zieht den Herrn Jesus Christus an“ (Conf. VIII, 12,29) – damit bezeugt auch er den heutigen Mehrheitstext.↩
- Ich verdanke diese Erkenntnis N.T. Wright, genauer der FN 130 auf Seite 818 seines Buches „Paul and the faithfulness of God“, das ich in diesem Blog noch zu besprechen hoffe.↩
- NA 24 von 1960, S. 7*↩
- a.a.o.↩
- Vgl. Giorgio Agamben: Die Zeit, die bleibt. Ein Kommentar zum Römerbrief; Suhrkamp 2006, S. 26-27↩