Was habe ich mit Dir zu tun? Lass mich in Ruhe!

Giotto - Scrovegni - -24- - Marriage at Cana

In der bekannten Erzählung der Hochzeit von Kana im zweiten Kapitel des Johannes-Evangeliums spricht Jesus ein harsches Wort zu seiner Mutter, das zudem auch noch eigenartig formuliert ist. Also ein guter Grund, sich der Frage der Übersetzung und Auslegung dieser Stelle anzunehmen.

Joh 2,4

Als Maria sich ihrem Sohn nähert, um ihn auf das Problem des Brautpaares aufmerksam zu machen, das keinen Wein mehr hat, erhält sie folgende Antwort:

Griechischer Text Deutsche Übersetzung
[καὶ] λέγει αὐτῇ ὁ Ἰησοῦς· [Und] Jesus sagt ihr:
τί ἐμοὶ καὶ σοί, γύναι; Was mir und Dir, Frau?
οὔπω ἥκει ἡ ὥρα μου. Meine Stunde ist noch nicht gekommen.

Das ti emoì kaì soí – wörtlich übersetzt: was mir und Dir – schreit geradezu nach einer Erklärung. Dazu kommt, dass diese Art der Formulierung im NT nicht gerade selten ist.

Mk 1,24

Im ersten Kapitel des Markus-Evangeliums kommt Jesus in die Synagoge von Kafarnaum und sofort1 ist da ein Mensch, der einen unreinen Geist hat – der sich aber auch in der Mehrzahl äußern kann:

Griechischer Text Deutsche Übersetzung
τί ἡμῖν καὶ σοί, Ἰησοῦ Ναζαρηνέ; Was uns und dir, Jesus, Nazarener?
ἦλθες ἀπολέσαι ἡμᾶς; Bist du gekommen, um uns zu vernichten?
οἶδά σε τίς εἶ, ὁ ἅγιος τοῦ θεοῦ. Ich kenne dich, wer du bist: der Heilige Gottes.

Wir haben hier also die gleiche (grammatikalische) Form wie oben in Joh 2,4.

Weitere Stellen bei den Synoptikern

Stelle Griechischer Text Deutsche Übersetzung
Mk 5,7 καὶ κράξας φωνῇ μεγάλῃ λέγει· Und schreiend mit lauter Stimme sagt er:
τί ἐμοὶ καὶ σοί, Ἰησοῦ υἱὲ τοῦ θεοῦ τοῦ ὑψίστου; Was mir und dir, Jesus, Sohn Gottes, des Höchsten?
ὁρκίζω σε τὸν θεόν, μή με βασανίσῃς. Ich beschwöre dich bei Gott, quäle mich nicht.
Mt 8,29 καὶ ἰδοὺ ἔκραξαν λέγοντες· Und siehe, sie schrieen, indem sie sagten:
τί ἡμῖν καὶ σοί, υἱὲ τοῦ θεοῦ; Was uns und dir, Sohn Gottes?
ἦλθες ὧδε πρὸ καιροῦ βασανίσαι ἡμᾶς; Kamst du hierher vor (der) Zeit, uns zu quälen?
Lk 4,34 ἔα, τί ἡμῖν καὶ σοί, Ἰησοῦ Ναζαρηνέ; Ha, was uns und dir, Jesus, Nazarener?
ἦλθες ἀπολέσαι ἡμᾶς; Kamst Du, uns zu vernichten?
οἶδά σε τίς εἶ, ὁ ἅγιος τοῦ θεοῦ. Ich kenne dich, wer du bist, der Heilige Gottes.
Lk 8,28 ἰδὼν δὲ τὸν Ἰησοῦν ἀνακράξας Sehend aber den Jesus, aufschreiend
προσέπεσεν αὐτῷ καὶ φωνῇ μεγάλῃ εἶπεν· fiel er vor ihm nieder und mit lauter Stimme sagte er:
τί ἐμοὶ καὶ σοί, Ἰησοῦ υἱὲ τοῦ θεοῦ τοῦ ὑψίστου; Was mir und dir, Jesus, Sohn Gottes des Höchsten?
δέομαί σου, μή με βασανίσῃς. Ich bitte dich, quäle mich nicht.

Auffällig ist, dass bei den Synoptikern alle Stellen in Erzählungen von Dämonenbannungen vorkommen. Es ist daher an der Zeit, nach der Herkunft dieser merkwürdigen Formulierung zu fragen, um ihre genaue Bedeutung zu klären. Dazu werfe ich zuerst einen Blick in die Septuaginta.

In der Septuaginta

Ri 11,12

Καὶ ἀπέστειλεν Ιεφθαε ἀγγέλους πρὸς βασιλέα υἱῶν Αμμων λέγων Τί ἐμοὶ καὶ σοί, ὅτι ἥκεις πρός με σὺ πολεμῆσαί με ἐν τῇ γῇ μου;
„Und Jephthaë schickte Boten zum König der Söhne Ammons, sagend: Was mir und dir, dass du zu mir gekommen bist um mich in meinem Land zu bekriegen?“

Das ti emoì kaì soí ist exakt die gleiche Formulierung wie in Joh 2,4, Mk 5,7 und Lk 8,28. Hier könnte ein Blick in die Hebräische Vorlage sinnvoll sein. Dort liest sich Ri 11,12 so:

וַיִּשְׁלַ֤ח יִפְתָּח֙ מַלְאָכִ֔ים אֶל־מֶ֥לֶךְ בְּנֵֽי־עַמּ֖וֹן לֵאמֹ֑ר מַה־לִּ֣י וָלָ֔ךְ כִּֽי־בָ֥אתָ אֵלַ֖י לְהִלָּחֵ֥ם בְּאַרְצִֽי׃

„Und Jiphtach schickte Boten zum König der Söhne Ammons, sagend: was mir und dir (mah li walach) dass du zu mir gekommen bist, um zu kämpfen in meinem Land?“

Das griechische ti emoì kaì soí ist eine wörtliche Übersetzung von mah li walach. Gesenius verdeutscht die Formulierung so: Was habe ich mit Dir zu schaffen?2 Die weiteren Stellen werden zeigen, ob diese Übersetzung zutreffend ist.

2 Sam 16,10

καὶ εἶπεν ὁ βασιλεύς Τί ἐμοὶ καὶ ὑμῖν, υἱοὶ Σαρουιας; ἄφετε αὐτὸν καὶ οὕτως καταράσθω, ὅτι κύριος εἶπεν αὐτῷ καταρᾶσθαι τὸν Δαυιδ, καὶ τίς ἐρεῖ ῾Ως τί ἐποίησας οὕτως;
„Und es sprach der König: Was mir und Euch, Söhne Saruias? Lasst ihn auch auf diese Weise fluchen, denn der Herr hat zu ihm gesprochen, den David zu verfluchen, und wer soll ihm sagen: wie kommst du dazu, auf diese Weise zu handeln? (MÜ)

וַיֹּ֣אמֶר הַמֶּ֔לֶךְ מַה־לִּ֥י וְלָכֶ֖ם בְּנֵ֣י צְרֻיָ֑ה [כִּי כ] (כֹּ֣ה ק) יְקַלֵּ֗ל [וְכִי כ] (כִּ֤י ק) יְהוָה֙ אָ֤מַר לוֹ֙ קַלֵּ֣ל אֶת־דָּוִ֔ד וּמִ֣י יֹאמַ֔ר מַדּ֖וּעַ עָשִׂ֥יתָה כֵּֽן׃

„Da sagte der König: was mir und euch, Söhne Serujah’s, so [denn] soll er fluchen [und] denn der HERR hat zu ihm gesagt, ‚verfluche den David‘, und wer sollte sagen: ‚Weswegen handelst du so?'“3

Auch hier eine Auseinandersetzung, die Begegnung mit einem unerfreulichen Übergriff – und die Übersetzung: „was habe ich mit euch zu schaffen“ ist absolut sinnvoll.

2 Sam 19,23

καὶ εἶπεν Δαυιδ Τί ἐμοὶ καὶ ὑμῖν, υἱοὶ Σαρουιας, ὅτι γίνεσθέ μοι σήμερον εἰς ἐπίβουλον; σήμερον οὐ θανατωθήσεταί τις ἀνὴρ ἐξ Ισραηλ, ὅτι οὐκ οἶδα εἰ σήμερον βασιλεύω ἐγὼ ἐπὶ τὸν Ισραηλ.
„Und David sprach: Was mir und euch, Söhne Saruias, dass ihr mir heute zur Verschwörung4 werdet? Heute soll nicht irgend ein Mann aus Israel getötet werden. Weiss ich denn nicht, dass ich heute König über Israel bin?“ (MÜ)

וַיֹּ֣אמֶר דָּוִ֗ד מַה־לִּ֤י וְלָכֶם֙ בְּנֵ֣י צְרוּיָ֔ה כִּי־תִֽהְיוּ־לִ֥י הַיּ֖וֹם לְשָׂטָ֑ן הַיּ֗וֹם י֤וּמַת אִישׁ֙ בְּיִשְׂרָאֵ֔ל כִּ֚י הֲל֣וֹא יָדַ֔עְתִּי כִּ֥י הַיּ֖וֹם אֲנִי־מֶ֥לֶךְ עַל־יִשְׂרָאֵֽל׃

„Da sagte David: Was mir und euch, Söhne Serujah’s, denn ihr werdet mir heute zum Verführer (satan). Soll heute ein Mann in Israel getötet werden? Weiss ich denn nicht, dass ich heute König über Israel bin?“

Wieder eine Auseinandersetzung, hier um eine Verführung zum Machtmissbrauch – im Hebräischen ist sogar vom Satan die Rede. Auch an dieser Stelle ist die Übertragung von Gesenius zutreffend.

1 Kön 17,18

καὶ εἶπεν πρὸς Ηλιου Τί ἐμοὶ καὶ σοί, ἄνθρωπε τοῦ θεοῦ; εἰσῆλθες πρός με τοῦ ἀναμνῆσαι τὰς ἀδικίας μου καὶ θανατῶσαι τὸν υἱόν μου.
„Und sie sprach zu Elias: Was mir und dir, Mensch Gottes? Du bist zu mir gekommen, um meine Ungerechtigkeiten in Erinnerung zu rufen und meinem Sohn zu töten.“

וַתֹּ֙אמֶר֙ אֶל־אֵ֣לִיָּ֔הוּ מַה־לִּ֥י וָלָ֖ךְ אִ֣ישׁ הָאֱלֹהִ֑ים בָּ֧אתָ אֵלַ֛י לְהַזְכִּ֥יר אֶת־עֲוֺנִ֖י וּלְהָמִ֥ית אֶת־בְּנִֽי׃

„Und sie sprach zu Elijahu: Was mir und Dir, Mann Gottes? Du bist zu mir gekommen, um meine Schuld in Erinnerung zu bringen und meinen Sohn sterben zu lassen.“

Hier geschieht die Formulierung im Mund der Witwe von Sarepta, so der griechische Namen des Ortes, der auf Hebräisch Zarpat heißt. Auch hier ist die Übersetzung des Ausdrucks richtig.

2 Kön 3,13

καὶ εἶπεν Ελισαιε πρὸς βασιλέα Ισραηλ Τί ἐμοὶ καὶ σοί; δεῦρο πρὸς τοὺς προφήτας τοῦ πατρός σου. καὶ εἶπεν αὐτῷ ὁ βασιλεὺς Ισραηλ Μή, ὅτι κέκληκεν κύριος τοὺς τρεῖς βασιλεῖς τοῦ παραδοῦναι αὐτοὺς εἰς χεῖρας Μωαβ.
„Und Elisäus sprach zum König von Israel: Was mir und Dir? Auf, zu den Propheten deines Vaters! Da sprach der König Israels zu ihm: Nein, denn der Herr hat die drei Könige versammelt, um sie in die Hand Moabs auszuliefern.“

וַיֹּ֨אמֶר אֱלִישָׁ֜ע אֶל־מֶ֤לֶךְ יִשְׂרָאֵל֙ מַה־לִּ֣י וָלָ֔ךְ לֵ֚ךְ אֶל־נְבִיאֵ֣י אָבִ֔יךָ וְאֶל־נְבִיאֵ֖י אִמֶּ֑ךָ וַיֹּ֤אמֶר לוֹ֙ מֶ֣לֶךְ יִשְׂרָאֵ֔ל אַ֗ל כִּֽי־קָרָ֤א יְהוָה֙ לִשְׁלֹ֙שֶׁת֙ הַמְּלָכִ֣ים הָאֵ֔לֶּה לָתֵ֥ת אוֹתָ֖ם בְּיַד־מוֹאָֽב׃

„Da sagte Elischa zum König von Israel: Was mir und Dir? Geh zu den Propheten deines Vaters und zu den Propheten deiner Mutter! Da sagte der König von Israel zu ihm: Nein! Denn der HERR hat diese drei Könige gerufen, um sie in die Hand Moabs zu geben.“

Wieder ein Gespräch mit einem König, wieder ist die Übersetzung sinnvoll.

2 Chr 35,21

καὶ ἀπέστειλεν πρὸς αὐτὸν ἀγγέλους λέγων Τί ἐμοὶ καὶ σοί, βασιλεῦ Ιουδα; οὐκ ἐπὶ σὲ ἥκω σήμερον πόλεμον ποιῆσαι, καὶ ὁ θεὸς εἶπεν κατασπεῦσαί με· πρόσεχε ἀπὸ τοῦ θεοῦ τοῦ μετ᾽ ἐμοῦ, μὴ καταφθείρῃ σε.
„Und er sandte Boten zu ihm, sagend: Was mir und Dir, König von Juda? Ich bin heute nicht gekommen, um gegen dich Krieg zu führen und Gott hat gesprochen, um mich anzustacheln5. Hüte dich vor Gott, der mit mir ist, damit er dich nicht zerstört.“

וַיִּשְׁלַ֣ח אֵלָ֣יו מַלְאָכִ֣ים ׀ לֵאמֹר֩ ׀ מַה־לִּ֨י וָלָ֜ךְ מֶ֣לֶךְ יְהוּדָ֗ה לֹא־עָלֶ֨יךָ אַתָּ֤ה הַיּוֹם֙ כִּ֚י אֶל־בֵּ֣ית מִלְחַמְתִּ֔י וֵאלֹהִ֖ים אָמַ֣ר לְבַֽהֲלֵ֑נִי חֲדַל־לְךָ֛ מֵאֱלֹהִ֥ים אֲשֶׁר־עִמִּ֖י וְאַל־יַשְׁחִיתֶֽךָ׃

„Und er schickte Boten zu ihm, indem er sagte: Was mir und Dir, König von Juda? Nicht gegen dich selbst (geht es) heute, sondern gegen das Haus, das ich bekriege, und Gott hat gesprochen, um mich zu erschrecken/damit ich mich beeile6. Hör in deinem eigenen Interesse auf7, weil Gott es ist, der mit mir ist, damit er dich nicht verderben wird.

Hier fällt der Ausdruck in einem Gespräch zwischen dem Pharao Necho und König Josia. Dass Josia die Warnung nicht beachtete, geht für ihn tödlich aus.

1 Esr 1,24 LXX

καὶ διεπέμψατο βασιλεὺς Αἰγύπτου πρὸς αὐτὸν λέγων Τί ἐμοὶ καὶ σοί ἐστιν, βασιλεῦ τῆς Ιουδαίας;
„Und der König von Ägypten sandte zu ihm hinüber, indem er sagte: Was ist mir und dir, König von Judäa?“

Dieser Text stammt nicht aus dem hebräischen Buch Esra, sondern schildert ebenfalls die Begegnung aus 2 Chr 35,21. Hier ist die Form – einmalig für alle genannten Beispiele – mit dem Verb „sein“ verbunden: „Was ist mir und dir?“. Auch hier bleibt die Bedeutung: Was habe ich mit Dir zu schaffen – lass mich in Ruhe!

Epiktet

[5] διὰ τοῦτο πάσης οἰκειότητος προκρίνεται τὸ ἀγαθόν. οὐδὲν ἐμοὶ καὶ τῷ πατρί, ἀλλὰ τῷ ἀγαθῷ. ‘οὕτως εἶ σκληρός;’ οὕτως γὰρ πέφυκα: τοῦτό μοι τὸ νόμισμα δέδωκεν ὁ θεός.
„Deshalb ist das Gute jeder Verwandschaft vorzuziehen. Nichts mir und dem Vater, sondern dem Guten. „Auf diese Weise bist du hartherzig!“ Allerdings bin auf diese Weise von Natur aus: dieses gesetzmäßige Maß ist mir von Gott gegeben.“ (Epiktet, Diskurse 3.3.5; MÜ)

Dieses Beispiel zeigt, dass diese Art der Formulierung gar nicht so ungriechisch ist, wie man annehmen könnte. Ich meine, man kann den entscheidenden Satz des stoischen Philosophen (er lebte circa 50 – 138 n. Chr.) so wiedergeben: „Die wesentliche Bindung meines Lebens gilt nicht meinem Vater – sondern dem Guten“. Oder: „Was habe ich mit meinem Vater zu schaffen? Alles, was mich interessiert, ist das Gute“. Eine bemerkenswerte Parallele zu Joh 2,4.

Nachtrag

Dr. Alfred Dunshirn hat mich auf diese Passage aufmerksam gemacht, in der „anstelle von Pronomina zwei Nomina im Dativ zusammengestellt werden, eine Stelle, an der sich deutlich zeigt, dass die Fügung so zu verstehen ist, dass das eine nichts mit dem anderen zu tun hat.
Es handelt sich um einen Vers aus dem 19. Gesang der „Dionysiaka“ des Nonnus von Panopolis, dort spricht Dionysos‘ Wagenlenker, der gerade dabei ist, bei einem musischen Wettkampf anzutreten. Er betont seine eigene Frohnatur und die Fröhlichkeit des Gefolges des Dionysos insgesamt. In den Zeilen 169 f. sagt er dann:

εἰμὶ Μάρων, συνάεθλος ἀπενθήτοιο Λυαίου· / δακρυχέειν οὐκ οἶδα· τί δάκρυσι καὶ Διονύσῳ;

‚Ich bin Maron, ein Mitstreiter von Lyaios [des ‚Sorgenlösers‘, Dionysos]: / Ich verstehe mich nicht aufs Weinen. Was haben die Tränen und Dionysos gemein?'“
Ich danke ganz herzlich für diese weitere Bestätigung.

Zusammenfassung

Das Wort Jesu an seine Mutter in Joh 2,4 ist mit „Was habe ich mit Dir zu schaffen?“ korrekt übersetzt. Aus seinem biblischen Kontext der Septuaginta – aber auch in Hinsicht auf die stoische Philosophie, kann die Aussage so verstanden werden, dass Jesus das Anliegen Marias nicht wollte und als übergriffig empfand. Auffällig ist aber auch die distanzierende Anrede an seine Mutter: „Frau“. Hier hat der Verfasser des vierten Evangeliums allerdings ein kuntsvolles Gegenstück geschaffen, wenn es in der Johannes-Passion heißt:

Ἰησοῦς οὖν ἰδὼν τὴν μητέρα καὶ τὸν μαθητὴν παρεστῶτα ὃν ἠγάπα, λέγει τῇ μητρί· γύναι, ἴδε ὁ υἱός σου. εἶτα λέγει τῷ μαθητῇ· ἴδε ἡ μήτηρ σου. καὶ ἀπ’ ἐκείνης τῆς ὥρας ἔλαβεν ὁ μαθητὴς αὐτὴν εἰς τὰ ἴδια. (Joh 19,26-27)
„Jesus nun sehend die Mutter und den Schüler dabeistehend, den er liebte, sagt der Mutter: Frau, sieh, dein Sohn. Dann sagt er zu dem Schüler: Sieh, deine Mutter. Und von jener Stunde (an) nahm der Schüler sie zu dem Eigenenen.“ (Ü: Münchener NT)

Hier kann ich getrost dem großen Johann Sebastian Bach die Auslegung überlassen.

Fußnoten

  1. Das Wort εὐθὺς – sofort kommt allein in diesem ersten Kapitel des Markus elfmal vor. Die REÜ unterschlägt es an dieser Stelle einfach und übersetzt den Ausdruck im ersten Kapitel des Mk nur sieben Mal. Damit wird der extrem gedrängte Stil des Evangelisten vor dem Leser verschleiert.
  2. Gesenius/Buhl: Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das AT, ¹⁷1962, S. 401
  3. Der Text hat zwei ketib/kere Angaben, die ich mit den eckigen Klammern berücksichtigt habe.
  4. Übersetzung nach Takamitsu Muraoka: A Greek-English Lexicon of the Septuagint, 2009, S. 269
  5. Übersetzung nach Muraoka, S. 384 a.a.o.
  6. So nach Gesenius, S. 85 a.a.o. Piel Infinitiv von בהל, das auch die Bedeutung „sich beeilen“ haben kann.
  7. Nach Gesenius S. 215 a.a.o ein Dativus ethicus, „um die Bedeutung des betreffendes Vorgangs für ein bestimmtes Subjekt ausdrücklich hervorzuheben.“ (Gesenius/Kautzsch, Hebräische Grammatik, ²⁸1909, § 119 s)

2 Gedanken zu „Was habe ich mit Dir zu tun? Lass mich in Ruhe!“

  1. Das Wort Jesu an seine Mutter in Joh 2,4 ist mit „Was habe ich mit Dir zu schaffen?“ korrekt übersetzt.
    … in Hinsicht auf die stoische Philosophie, kann die Aussage so verstanden werden, dass Jesus das Anliegen Marias nicht wollte und als übergriffig empfand.

    OK, aber wie erklärt man dann Jesu Inkonsequenz, dass er aufsteht und Wasser in Wein verwandelt?
    Könnte Jesu Reaktion nicht als Verwunderung verstanden werden, dass seine Mutter es bekommen hat,
    seine Stunde zu erkennen?

    1. Nicht nur in Hinsicht auf die stoische Philosophie, sondern vor allem in Hinblick auf die Septuaginta!
      Ihre Frage ist in dem Zusammenhang natürlich berechtigt.

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