Siebzig oder fünfundsiebzig Personen

Das Ausgangsproblem

Nach dem Masoretischen Text (MT) von Ex 1,5 beträgt die Zahl aller Personen, die von Jakob abstammen: 70 Personen.

וַֽיְהִי כָּל־נֶפֶשׁ יֹצְאֵי יֶֽרֶךְ־יַעֲקֹב שִׁבְעִים נָפֶשׁ וְיוֹסֵף הָיָה בְמִצְרָֽיִם׃

Und er waren alle Person(en), die aus den Lenden Jakobs hervorgingen, Siebzig Person(en) – und Josef war in Ägypten. (MÜ)

Merwürdigerweise spricht Stephanus in seiner großen Rede vor seiner Ermordung in Apg 7,14 allerdings von 75 Personen:

ἀποστείλας δὲ Ἰωσὴφ μετεκαλέσατο Ἰακὼβ τὸν πατέρα αὐτοῦ καὶ πᾶσαν τὴν συγγένειαν ἐν ψυχαῖς ἑβδομήκοντα πέντε.

Josef aber sandte hin und rief seinen Vater Jakob und die ganze Verwandschaft zu sich: fünfundsiebzig Lebende (Ü: Fridolin Stier)

Lukas folgt damit der Septuaginta, die diese Zahl ebenfalls in Ex 1,5 bietet:

Ιωσηφ δὲ ἦν ἐν Αἰγύπτῳ. ἦσαν δὲ πᾶσαι ψυχαὶ ἐξ Ιακωβ πέντε καὶ ἑβδομήκοντα.

Joseph aber war (schon) in Ägypten. Es waren aber alle Menschen aus Jakob 75 an der Zahl. (Ü: LXX Deutsch)

Man könnte das jetzt als Eigenheit der griechischen Übersetzung der Tora abtun, aber so einfach ist es nicht: Denn in der vierten Höhle von Qumran wurden zwei Handschriften gefunden, die den hebräischen Text mit der Lesart 75 bietet: 4QGen-Exoda und 4QExodb.

Anmerkung: Ich habe das hebräische Wort næfæsch bewußt als "Person" - und nicht als "Seele" übersetzt, weil Seele im Deutschen einen Teil des Menschen meint, was dem Hebräischen fremd ist. Analog haben Fridolin Stier und LXX deutsch das griechische Wort psyché als "Lebender" bzw. "Mensch" verdeutscht. Ich werde in diesem Artikel auch im Griechischen bei "Person" als Übersetzung bleiben. Mit dieser Art der Übersetzung kann ich mich auf Nikolaus von Lyra berufen (s.u.).

Komplizierter wird die Lage dadurch, dass die Zahl der von Jakob abstammenden und nach Ägypten gegangenen Personen insgesamt dreimal in der Tora genannt wird, und die unterschiedlichen Traditionen folgende Anzahl bieten:

Aufstellung:

Tradition Gen 46,27 Ex 1,5 Dtn 10,22
4QGen-Exa 75
4QExodb 75
4QPaleoGen-Exod¹ 70
LXX 75 75 70
Codex. Alex. 75 75 75
Masoretischer Text 70 70 70

Es ist nicht zu entscheiden, welche Zahlenangabe ursprünglich ist, denn die ältesten Textzeugen die wir haben, stammen vom Toten Meer und bezeugen beide Lesarten: Neben der schon erwähnten Handschrift 4QGen-Exoda, die die Zahl 75 bietet, wird die Angabe 70 durch die Handschrift 4QPaleoGen-Exod¹ belegt: der entsprechende Text ist zwar nicht enthalten, aber die Lesart שבעים (=Siebzig) geht sich Platzmässig aus, חמש ושבעים (=Fünfundsiebzig) jedoch nicht.1 Entscheidend ist auf jeden Fall, dass der masoretische Text der jüngste Zeuge in dieser Reihe ist. Armin Lange datiert in seinem „Handbuch der Textfunde vom Toten Meer“, (Band 1 – tabellarische Übersicht S. 30-31) 4QGen-Exa auf 125-100 v. Chr.; 4QExodb auf 30 v. – 20 n. Chr. und 4QPaleoGen-Exod¹ auf 100-25 v. Chr.

Seltsame Rechenarten in Gen 46,8-27

Und damit kommen wir zum Kern des Problems: die ausführliche Aufstellung der Nachfahren – inklusive Zwischensummen – in Gen 46 werfen eine Reihe Fragen auf:

Nachfahren von Vers MT LXX Zusatz LXX
Jakob und Lea 46,15 33 33 In Syrien geboren
Jakob und Silpa 46,18 16 16
Jakob und Rahel 46,22 14 18 Bringt Söhne des Manasse und des Ephraim
Jakob und Bilha 46,25 7 7
Zwischensumme 46,26 66 66 aus den Hüften Jakobs
Söhne Josefs in Ägypten 46,27 2 9
Gesamtsumme 46,27 70 75

Zwei Probleme springen sofort ins Auge:

  • Die Probleme bei der Fassung des masoretischen Textes sind: die Zwischensumme in Gen 46,26 müsste 70 ergeben – und nicht 66. Dazu kommt: 66 + 2 macht ebenfalls nicht 70, wie Vers 46,27 aussagt.
  • Die Probleme bei der Fassung des Textes der LXX sind: die Zwischensumme in Gen 46,26 müsste 74 ergeben – und nicht 66. Im Abschnitt zu den Söhnen Rachels listet sie in 46,20 namentlich fünf Nachkommen von Manasse und Ephraim auf, die im MT fehlen – und kommt auf insgesamt achtzehn Nachfahren aus der Rachel-Linie, statt vierzehn im MT (46,22). Rätselhaft: Vierzehn und fünf macht eigentlich neunzehn. Das verschärft sich nochmals in 46,27: Statt zwei Nachkommen, wie im MT, werden dem Josef in Ägypten neun Nachkommen geboren – aber weiter oben wurden nur sieben aufgezählt. Man gewinnt den Eindruck, dass diese Fassung unbedingt auf die Zahl fünfundsiebzig kommen wollte.

Diese verwirrende Ausganslage schreit geradezu nach Lösungen, und genau die will ich hier in chronologischer Reihenfolge bringen.

Jubiläen 44:11-34 (2. Jh. v. daZR)

Der älteste für uns greifbare nichtbiblische Lösungsversuch zu dieser Frage stammt aus dem Buch der Jubiläen, das möglicherweise auf das 2. Jh. vor der Zeitrechnung zurückgeht. Der Text ist vollständig nur in Altäthiopisch (Ge’ez) auf uns gekommen, allerdings wurden am Toten Meer Fragmente in Hebräischer Sprache gefunden, in der das Buch ursprünglich geschrieben worden war.

Zu den oben gestellten Fragen hat das Jubiläenbuch folgende Rechnung anzubieten: Beide Zahlen, nämlich siebzig und fündundsiebzig sind richtig, allerdings müssen die Verstorbenen mit eingerechnet werden:

ወኵሉ መንፈስ ዘያዕቆብ ዘቦአ ውስተ ግብጽ ሰብዓ መንፈስ። እሉ እንከ ውሉዱ ወውሉደ ውሉዱ ኵሎሙ ሰብዓ ወኀምስቱ እለ ሞቱ በግብጽ ዘእንበለ ያውስቡ ወውሉድኒ አልቦሙ። (Jub 44,33)

»Und alle Seelen [der Kinder] Jakobs, die nach Ägypten kamen, [waren] siebzig Seelen. Und dies sind nun seine Kinder und die Kinder seiner Kinder, alle [zusammen] siebzig; und fünf, die in Ägypten starben, ehe sie heirateten und ohne Kinder zu haben.« (Ü: Enno Littmann)

In Jub 44,28-29 hatte der Autor berichtet, dass von den Söhnen Dans fünf in dem Jahr starben, in dem sie in Ägypten ankamen. Damit kann das Jubiläenbuch mit beiden Zahlen umgehen. Es fährt dann fort:

ወበምድረ ከናአን ሞትዎ ለይሁዳ ክልኤቱ ደቁ ኤር ወኣውናን ወአልቦሙ ውሉደ ወቀበርዎሙ ደቂቀ እስራኤል ለእለ ተሐጕሉ ወተሠይሙ ውስተ ሰብዓ ሕዝብ። (Jub 44,34)

»Und im Lande Kanaan waren dem Juda zwei seiner Söhne gestorben, Ger und Onan, ohne Kinder zu haben (s. Gen 38), und die Kinder Israel begruben die, welche umkamen, und sie wurden unter die siebzig Nationen gerechnet.« (Ü: Enno Littmann, ergänzt und verbessert durch Angaben der Übersetzung von James C. Vanderkam)

Mit diesem schönen Schluss kann Jub einen rätselhaften Abschnitt aus dem Lied des Mose in Dtn 32 einspielen:

זְכֹר יְמוֹת עוֹלָם בִּינוּ שְׁנוֹת דּוֹר־וָדוֹר שְׁאַל אָבִיךָ וְיַגֵּדְךָ זְקֵנֶיךָ וְיֹאמְרוּ לָֽךְ׃ בְּהַנְחֵל עֶלְיוֹן גּוֹיִם בְּהַפְרִידוֹ בְּנֵי אָדָם יַצֵּב גְּבֻלֹת עַמִּים לְמִסְפַּר בְּנֵי יִשְׂרָאֵֽל׃ כִּי חֵלֶק יְהֹוָה עַמּוֹ יַעֲקֹב חֶבֶל נַחֲלָתֽוֹ׃

⁷ Gedenke der Tage der Vorzeit, erwäget die Jahre Geschlechts auf Geschlecht, frag deinen Vater, er kündet’s dir, und deine Greise, sie sagen’s dir: ⁸ als Sitz gab der Höchste den Nationen, von einander schied des Menschen Söhne: sondert‘ er ab der Völker Grenzen für der Söhne Jisrael’s Zahl. – ⁹ Denn des Ewigen Theil ist sein Volk, Jakob das Loos seines Erbes. (Dtn 32,7-9; Ü: Ludwig Philippson)

Die Zahl der Söhne Israels (siebzig) steht in einem Verhältnis zur Zahl der Völker, die nach dem Geschlechtsregister in Gen 10 ebenfalls siebzig beträgt.

Das zweite Problem des Hebräischen Textes, das Jub lösen will, ist die Frage, wie die Zwischensumme aus Gen 46,26 – sechsundsechzig Personen – plus die zwei Söhne Josephs in Ägypten siebzig Personen ergeben soll. Die Antwort ist denkbar einfach: Jakob und Joseph müssen zur Gesamtzahl hinzugerechnet werden:

ወኵሉ ነፍስ ዘውሉደ ልያ ወውሉዶሙ እለ ቦኡ ምስለ ያዕቆብ አቡሆሙ ውስተ ግብጽ ዕሥራ ወተስዐቱ ወያዕቆብ አቡሆሙ ምስሌሆሙ። ወኮኑ ሠላሳ። (Jub 44,18) »Und alle Seelen der Söhne Leas und ihrer Söhne, die mit ihrem Vater Jakob nach Ägypten kamen, [waren] neunundzwanzig, und ihr Vater Jakob dazu; so waren es dreissig.«

ወተወልዱ ለዮሴፍ በግብጽ ዘእንበለ ይባእ አቡሁ ውስተ ግብጽ ዘወለደት ሎቱ አስኔት ወለተ ፉጢራዕ ሣውዕ ዘኢሊዮጳሊስ ምነሴሃ ወኤፍሬምሃ። ሠለስቱ። (Jub 44,24) »Und dem Joseph wurden in Ägypten, ehe sein Vater nach Ägypten kam, [Söhne] geboren, die ihm Asnath, die Tochter Potiphars, des Priesters von Heliopolis, gebar: Manasse und Ephraim – drei.« (Ü: Enno Littmann)

Auf die Zahl drei kommt Jub hier, weil zu Manasse und Ephraim ihr Vater Joseph gerechnet werden muss. Alles in allem haben wir es hier mit einem sorgfältigen und elaborierten Lösungsversuch zu tun, der noch dazu sehr alt ist. Allerdings entspricht sein Text im Endeffekt weder dem heutigen MT, noch der LXX.

Philo von Alexandrien (um 15 v. – ca. 40 n. daZR)

Philo (um 10 vor bis etwa 40 nach der allg. Zeitrechnung) kannte das Problem mit den beiden Zahlenangaben von siebzig und fünfundsiebzig ebenfalls. In seiner griechischen Fassung der Tora war er mit den unterschiedlichen Angaben in Ex 1,5 und Dtn 10,22 konfrontiert. Wie bei ihm üblich, wählte er einen allegorischen Zugang, um das Problem zu lösen. Die Zahl fünf steht für die fünf Sinne, die Israel erst im Lauf seiner Entwicklung zu Gunsten eines asketischen Zugangs hinter sich lassen konnte.

[199] νοητὸς μὲν γὰρ καὶ πρεσβύτερος καὶ ἄφϑαρτος λόγος ὁ τῶν ἑβδομήκοντα, αἰσϑητὸς δὲ καὶ νεώτερος ὁ ταῖς πέντε ἰσάριϑμος ὧν αἰσϑήσεσι. τούτῳ καὶ ὁ ἔτι γυμναζόμενος ἀσκητὴς ἐξετάζεται, μηδέπω δεδυνημένος ἐνέγκασϑαι τὰ τέλεια νικητήρια· λέγεται γὰρ ὅτι “ἦσαν αἱ πᾶσαι ψυχαὶ ἐξ Ἰακὼβ πέντε καὶ ἑβδομήκοντα“ (Exod. 1,5)· [200] τοῦ γὰρ ἀϑλοῦντος καὶ τὸν ὑπὲρ κτήσεως ἀρετῆς ἱερὸν ὄντως ἀγῶνα μὴ διαφϑείροντος ψυχαὶ μὲν πρὸ σωμάτων γεννήματα, οὔπω δ’ἐκτετμημέναι τὸ ἄλογον, ἀλλ‘ ἔτι τὸν αἰσϑήσεως ὄχλον ἐφελκόμεναι. παλαίοντος γὰρ καὶ κονιομένου καὶ πτερνίζοντος Ἰακώβ ἐστιν ὄνομα, οὐ νενικηκότος· [201] ὅταν δὲ τὸν ϑεὸν ὁρᾶν ἱκανὸς εἶναι δόξας Ἰσραὴλ μετονομασϑῇ, μόνῳ χρήσεται τῷ ἑβδομηκοστῷ λόγῳ, | τὴν πεντάδα τῶν αἰσϑήσεων ἐκτεμών· λέγεται γὰρ ὅτι “ἐν ἑβδομήκοντα ψυχαῖς κατέβησαν οἱ πατέρες σου εἰς Αἴγυπτον“ (Deut. 10,22). οὗτός ἐστιν ὁ ἀριϑμὸς Μωυσέως τοῦ σοφοῦ γνώριμος· τοὺς γὰρ ἀριστίνδην ἐκ παντὸς τοῦ πλήϑους ἐπιλελεγμένους ἑβδομήκοντα εἶναι συμβέβηκε καὶ πρεσβυτέρους ἅπαντας, οὐχ ἡλικίαις ἀλλὰ φρονήσει καὶ βουλαῖς, γνώμαις τε καὶ ἀρχαιοτρόποις ζηλώσεσιν. (De migratione Abrahami, Opera quae supersunt II, Berlin 1897, S. 307-308)

[199] Geistig erfassbar nämlich und älter und unvergänglich ist das Prinzip ‚Siebzig‘, sinnlich wahrnehmbar aber und jünger ist das Prinzip ‚Fünf‘, das die gleiche Zahl aufweist wie die fünf Sinne. Unter dieser Zahl wird auch der sich noch übende ‚Asket’ geprüft, da er noch nicht imstande ist, den vollkommenen Siegespreis davonzutragen; denn es heißt „Es waren alle von Jakob abstammenden Seelen fünfundsiebzig“ (Ex 1,5). [200] Denn aus dem, der kämpft und den wahrhaft heiligen Kampf zum Erwerb der Tugend nicht verdirbt, gehen anstelle von Körpern Seelen” hervor, die aber das Unvernünftige noch nicht aus sich abgesondert haben, sondern die den Schwarm der sinnlichen Wahrnehmung noch mit sich schleppen. Denn ‚Jakob‘ steht als Name für den Ringenden, sich im Staub Wälzenden und mit der Ferse Austretenden, nicht für den, der (schon) gesiegt hat; [201] Wenn er aber genügend geeignet zu sein scheint, Gott zu sehen, und in ‚Israel‘ umbenannt ist, wird er nur (noch) das Siebziger-Prinzip anwenden, nachdem er die Fünfheit der sinnlichen Wahrnehmungen beseitigt hat; denn es heißt „mit siebzig Seelen gingen deine Väter nach Ägypten” (Dtn 10,22). Dies ist die Zahl, die dem weisen Moses bekannt ist; denn es hat sich ergeben, dass diejenigen, die nach Verdienst aus der ganzen Menge ausgewählt waren, siebzig waren und sämtlich ‚Ältere‘, nicht an Jahren, sondern an Verstand und Rat, Urteil und Streben nach altbewährten Sitten. (Abrahams Aufbruch, 199-201; Ü: Heinz-Günther Nesselrath)

Philo ist auf jeden Fall ein starkes Argument dafür, dass die Lesart fünfundsiebzig in Dtn 10,22, die der Codex Alexandrinus bietet, für die LXX sekundär sein dürfte.

Flavius Josephus (um 37/38- ca. 100)

Auch Josephus kommt in seinen Jüdischen Altertümern auf diese Frage zu sprechen und paraphrasiert die Angaben von Gen 46 folgendermaßen:

[176] Τούτῳ θαρρήσας τῷ ὀνείρατι προθυμότερον εἰς τὴν Αἴγυπτον σὺν τοῖς υἱοῖς καὶ παισὶν τοῖς τούτων ἀπηλλάττετο. ἦσαν δ᾽ οἱ πάντες πέντε καὶ ἑβδομήκοντα. τὰ μὲν οὖν ὀνόματα δηλῶσαι τούτων οὐκ ἐδοκίμαζον καὶ μάλιστα διὰ τὴν δυσκολίαν αὐτῶν: [177] ἵνα μέντοι παραστήσω τοῖς οὐχ ὑπολαμβάνουσιν ἡμᾶς ἐκ τῆς Μεσοποταμίας ἀλλ᾽ Αἰγυπτίους εἶναι, ἀναγκαῖον ἡγησάμην μνησθῆναι τῶν ὀνομάτων. Ἰακώβου μὲν οὖν παῖδες ἦσαν δώδεκα: τούτων Ἰώσηπος ἤδη προαφῖκτο: τοὺς οὖν μετ᾽ αὐτὸν καὶ τοὺς ἐκ τούτων γεγονότας δηλώσομεν. [178] Ῥουβήλου μὲν ἦσαν παῖδες τέσσαρες, Ἀνώχης Φαλοὺς Ἐσσαρὼν Χάρμισος: Σεμεῶνος δ᾽ ἕξ, Ἰούμηλος Ἰάμεινος Πούθοδος Ἰαχῖνος Σόαρος Σααρᾶς: τρεῖς δὲ Λευὶ γεγόνασιν υἱοί, Γολγόμης Κάαθος Μαράιρος: Ἰούδᾳ δὲ παῖδες ἦσαν τρεῖς, Σάλας Φάρεσος Ἐζελοός, υἱωνοὶ δὲ δύο γεγονότες ἐκ Φαρέσου, Ἐσρὼν καὶ Ἄμουρος. Ἰσακχάρου δὲ τέσσαρες, Θούλας Φρουρᾶς Ἴωβος Σαμάρων. [179] τρεῖς δὲ Ζαβουλὼν ἦγεν υἱούς, Σάραδον Ἥλωνα Ἰάνηλον. τοῦτο μὲν τὸ ἐκ Λείας γένος: καὶ αὐτῇ συνανῄει καὶ θυγάτηρ αὐτῆς Δεῖνα. [180] τρεῖς οὗτοι καὶ τριάκοντα. Ῥαχήλας δὲ παῖδες ἦσαν δύο: τούτων Ἰωσήπῳ μὲν γεγόνεισαν υἱοὶ Μανασσῆς καὶ Ἐφράνης. Βενιαμεῖ δὲ τῷ ἑτέρῳ δέκα, Βόλος Βάκχαρις Ἀσαβῆλος Γήλας Νεεμάνης Ἴης Ἄρως Νομφθὴς Ὀππαῖς Ἄροδος. οὗτοι τέσσαρες καὶ δέκα πρὸς τοῖς πρότερον κατειλεγμένοις εἰς ἑπτὰ καὶ τεσσαράκοντα γίνονται τὸν ἀριθμόν. [181] καὶ τὸ μὲν γνήσιον γένος τῷ Ἰακώβῳ τοῦτο ἦν, ἐκ Βάλλας δὲ αὐτῷ γίνονται τῆς Ῥαχήλας θεραπαινίδος Δάνος καὶ Νεφθαλίς, ᾧ τέσσαρες εἵποντο παῖδες, Ἐλιῆλος Γοῦνις Σάρης τε καὶ Σέλλιμος, Δάνῳ δὲ μονογενὲς ἦν παιδίον Οὖσις. [182] τούτων προσγινομένων τοῖς προειρημένοις πεντήκοντα καὶ τεσσάρων πληροῦσιν ἀριθμόν. Γάδης δὲ καὶ Ἀσῆρος ἐκ Ζελφᾶς μὲν ἦσαν, ἦν Λείας δὲ αὕτη θεραπαινίς, παῖδας δ᾽ ἐπήγοντο Γάδης μὲν ἑπτά, Ζοφωνίαν Οὔγιν Σοῦνιν Ζάβρωνα Εἰρήνην Ἐρωίδην Ἀριήλην: [183] Ἀσήρωνός τε ἦν θυγάτηρ καὶ ἄρσενες ἀριθμὸν ἕξ, οἷς ὀνόματα Ἰώμνης Ἰσούσιος Ἠϊούβης Βάρης Ἀβαρός τε καὶ Μελχιῆλος. τούτων ἑκκαίδεκα ὄντων καὶ προστιθεμένων τοῖς πεντήκοντα τέσσαρσιν ὁ προειρημένος ἀριθμὸς πληροῦται μὴ συγκαταλεγέντος αὐτοῖς Ἰακώβου.
(Ant II, 176—183; Flavius Josephus. Flavii Iosephi opera. B. Niese, Berlin 1887, S. 118 ff.)

Durch diesen Traum wurde Jakob mit Vertrauen erfüllt und zog nun um so williger mit seinen Kindern und Kindeskindern nach Aegypten, die im ganzen siebzig an der Zahl waren. Ihre Namen wollte ich zuerst nicht anführen, da sie schwierig auszusprechen sind; indes glaubte ich dies doch thun zu müssen, um diejenigen zu widerlegen, die behaupten, wir stammten nicht aus Mesopotamien, sondern aus Aegypten. Jakob also hatte zwölf Söhne, von denen Joseph ausgeschieden werden kann, da er schon erwähnt ist. Von den anderen Söhnen hatte Rubel vier Söhne: Anoch, Phallus, Assaron und Charmis; Simeon sechs: Jamuel, Jamin, Jaod, Jachin, Soar und Saul; Levis drei: Gersom, Kaath, Marari; Judas ebenfalls drei: Sales, Phares und Zaras, und ausserdem zwei Enkel von Phares: Esron und Amyr. Isachar hatte vier Söhne: Thulas, Phuas, Jasub und Samaron; Zabulon drei: Sarad, Elon und Jale. Diese stammten nebst der Dina von der Lia, zusammen dreiunddreissig. Rachel hatte zwei Söhne. Von diesen hatte Joseph wieder zwei Söhne, Manasses und Ephraim, der andere, Benjamin, deren zehn: Bolosor, Bachar, Asabel, Gera, Naöman, Jes, Ros, Momphis, Optais und Arad. Diese vierzehn machen mit den vorher genannten zusammen siebenundvierzig aus. Das waren Jakobs rechtmässige Kinder. Von Balla, Rachels Dienerin, wurden ihm geboren Dan und Nephthali, von denen der letztere vier Söhne hatte: Jesel, Gunis, Issares und Sellim, Dan aber nur einen: Usis. Diese zu der obigen Zahl zugezählt giebt vierundfünfzig. Von der Zelpha, Lias Dienerin, stammten Gad und Aser. Gad führte sieben Söhne mit sich: Sophonias, Augis, Sunis, Azabon, Aeris, Eroedes und Arielas; Aser aber eine Tochter Sara und sechs Söhne: Jomnes, Isus, Isuis, Baris, Abar und Melchiel. Diese sechzehn den genannten vierundfünfzig zugezählt ergeben die oben angegebene Zahl, bei der Jakob selbst nicht mitgezählt ist. (Ant II,7,4; Ü: Heinrich Clementz; Des Flavius Josephus Jüdische Altertümer, Band I (Halle an der Saale 1900) S.103-104)

Josephus gelingt es so, auf die Zahl 70 zu kommen, wobei er im Unterschied zur LXX die Nachkommen von Manasse und Ephraim nicht nennt. Er orientierte sich ganz an der proto-masoretischen Tradition und schafft es, durch das Herausrechnen von Jakob und Joseph, die Zahl Siebzig als Ergebnis zu erzielen. So ergibt sich folgende Tabelle:

Nachfahren von MT LXX Josephus
Jakob und Lea 33 33 33
Jakob und Silpa 16 16 16
Jakob und Rahel 14 18 14
Jakob und Bilha 7 7 7
Söhne Josefs in Ägypten 2 9
Gesamtsumme (real) 72 83 70

Bemerkenswert ist, dass der Griechisch schreibende Josephus von der Zahl 75 nichts wissen will und sie – im Unterschied zu Philo – nicht einmal erwähnt. Die kritische Ausgabe von Niese zeigt allerdings, dass die Zahl nachträglich in die Handschriften eingedrungen ist – den Schreibern war sie einfach zu geläufig.

 Aus der kritischen Josephus-Ausgabe von Niese
Aus der kritischen Josephus-Ausgabe von Niese

Hieronymus (um 347–419/420)

Hieronymus geht auf diese Frage ebenfalls ausführlich ein:

(Vers. 26 et seqq.) «Omnes ergo animae, quae ingressae sunt cum Iacob Aegyptum, et quae exierunt de femoribus eius, absque mulieribus filiorum Iacob, animae sexaginta sex; filii autem Ioseph, qui nati sunt ei in Aegypto, animae novem. Omnes ergo animae, quae ingressae sunt cum Iacob in Aegyptum, septuaginta quinque.» Quod excepto Ioseph et filiis eius sexaginta sex animae, quae egressae sunt de femoribus Iacob, introierunt Aegyptum, nulla dubitatio est. Ita enim, et paulatim per singulos supputatus numerus approbat, et in Hebraeis voluminibus invenitur. Hoc autem quod in Septuaginta legimus: «Filii autem Ioseph, qui nati sunt ei in Aegypto animae novem»: sciamus in Hebraeo pro novem, esse duas. Ephraim quippe et Manasse, antequam Iacob intraret Aegyptum, et famis tempus ingrueret, nati sunt de Aseneth Putipharis filia in Aegypto. Sed et illud, quod supra legimus: «Facti sunt autem filii Manasse, quos genuit ei concubina Syra, Machir, et Machir genuit Galaad; filii autem Ephraim fratris Manasse, Suthalaam, et Thaam: filii vero Suthalaam Edem», additum est: si quidem id quod postea legimus, quasi per anticipationem factum esse describitur. Neque enim illo tempore, quo ingressus est Iacob Aegyptum, eius aetatis erant Ephraim et Manasse, ut filios generare potuerint. Ex quo manifestum est, omnes animas, quae ingressae sunt Aegyptum de femoribus Iacob, fuisse septuaginta, dum sexaginta sex postea ingressae sunt, et repererunt in Aegypto tres animas, Ioseph scilicet, cum duobus filiis eius, septuagesimus autem ipse fuerit Iacob.

Hanc rem, ne cui videamur adversum Scripturae auctoritatem loqui, etiam Septuaginta Interpretes in Deuteronomio (X, 22) transtulerunt, quod in septuaginta animabus ingressus sit Iacob in Aegyptum. Si quis igitur nostrae sententiae refragatur, Scripturam inter se contrariam faciet. Ipsi enim Septuaginta Interpretes, qui hic septuaginta quinque animas per πρόληψιν, cum Ioseph, et posteris suis Aegyptum ingressas esse dixerunt, in Deuteronomio septuaginta tantum intrasse memorarunt. Quod si e contrario nobis illud opponitur, quomodo in Actibus Apostolorum (VII), in concione Stephani dicatur ad populum, septuaginta quinque animas ingressas esse Aegyptum; facilis excusatio est. Non enim debuit sanctus Lucas, qui ipsius historiae scriptor est, in gentes Actuum Apostolorum volumen emittens, contrarium aliquid scribere adversus eam Scripturam, quae iam fuerat gentibus divulgata. Et utique maioris opinionis illo dumtaxat tempore Septuaginta Interpretum habebatur auctoritas, quam Lucae, qui ignotus, et vilis, et non magnae fidei in nationibus ducebatur. Hoc autem generaliter observandum, quod ubicumque sancti Apostoli, aut Apostolici viri loquuntur ad populos, his plerumque testimoniis abutuntur, quae iam fuerant in gentibus divulgata: licet plerique tradant Lucam Evangelistam, ut proselytum Hebraeas litteras ignorasse. (Hieronymus, Hebraicae Quaestiones in Genesim, Caput XLVI)

„(Verse 26 und folgende). Daher [waren] alle Personen, die mit Jakob Ägypten betraten und die aus seinen Hüften entsprangen, abgesehen von den Frauen der Söhne Jakobs, sechsundsechzig Personen. Und die Söhne Josephs, die ihm in Ägypten geboren wurden, [waren] neun Personen. Daher [waren] alle Personen, die mit Jakob nach Ägypten hineingingen, fünfundsiebzig. (Gen 46,26-27; Vetus Latina)

Vetus Latina I, Petrus Sabatier OSB 1743, S. 118
Vetus Latina I, Petrus Sabatier OSB 1743, S. 118

(Diese Fassung der Vetus Latina von Gen 46,26-27 ist bei Hieronymus überliefert.)

Daran, dass mit Ausnahme von Joseph und seinen Söhnen sechsundsechzig Personen, die aus den Hüften Jakobs entsprungen waren, Ägypten betraten, besteht kein Zweifel. Denn so, und durch einzelne (Personen) zusammengerechnet, ergibt sich nach und nach die Zahl und wird in den Hebräischen Büchern vorgefunden. Aber das ist es, was wir in der Septuaginta lesen: Die Söhne Josephs aber, die ihm in Ägypten geboren wurden, [waren] neun Personen. (Gen 46,27; Vetus Latina) Wir sollten wissen, dass im Hebräischen für neun [die Zahl] zwei steht. Denn Ephraim und Manasse wurden von Aseneth, der Tochter Putiphars in Ägypten geboren, bevor Jakob Ägypten betreten konnte und die Zeit des Hungers ausbrechen sollte. Doch auch das, was wir weiter oben lesen: Aber die Söhne Manasses, die ihm die syrische Nebenfrau gebar, waren Machir, und Machir zeugte Galaad; aber die Söhne Ephraims, des Bruders von Manasse, [waren] Suthalaam und Thaam; die Söhne Sulthalaams aber: Edem (Gen 46,20; Vetus Latina) wurde hinzugefügt: weil ja das, was wir später lesen, gleichsam als durch Vorwegnahme geschehen beschrieben wird. Denn zu jener Zeit, als Jakob Ägypten betrat, waren Ephraim und Manasse nicht einmal in einem Alter, dass sie Söhne hätten zeugen können. Daraus wird offensichtlich, dass alle Personen, die aus den Hüften Jakobs Ägypten betreten haben, Siebzig waren: als sechsundechzig [das Land] später betraten, fanden sie in Ägypten drei Personen vor, nämlich Josef mit seinen beiden Söhnen – Jakob selbst aber war der Siebzigste.

Damit wir in dieser Sache nicht gegen die Autorität der Schrift zu sprechen scheinen, übertrugen auch die Siebzig Übersetzer im Deuteronomium (Dtn 10,22), dass Jakob mit Siebzig Personen nach Ägypten hineingegangen sei. Wenn daher jemand gegen unsere Meinung stimmt, bewirkt er, dass die Schrift sich selbst entgegengesetzt ist. Denn die Siebzig Übersetzer selbst, die hier durch prólepsis (=Vorwegnahme) gesagt haben, dass mit Joseph und seinen Nachkommen fünfundsiebzig Personen Ägypten betraten, haben im Deuteronomium berichtet, dass nur Siebzig hineinkamen. Wenn uns also hingegen folgendes eingewendet wird, wie in den Taten der Apostel (Apg 7,14), in der Rede des Stephanus an das Volk gesagt wird, dass fünfundsiebzig Personen Ägypten betreten haben, ist die Ausrede leicht. Denn der Heilige Lukas, der der Verfasser dieses Geschichtswerkes ist, ist nicht verpflichtet gewesen, als er unter den Völkern den Band der Taten der Apostel herausgibt, etwas im Widerspruch gegen die Schift zu schreiben, die sich schon unter den Völkern verbreitet hatte. Zumal auch natürlich in jener Zeit die Siebzig Übersetzer die Autorität eines größeren Ruhms besassen als Lukas, der unbekannt und gering geschätzt [war] und unter den Nationen nicht für besonders glaubwürdig gehalten wurde. Auch ist dies generell zu beobachten, dass wo immer die heiligen Apostel oder die apostolischen Männer zu den Leuten sprechen, sie sehr oft diese [Schriften] zum Zeugnis nützten, die sich schon unter den Völkern verbreitet hatten: obgleich die Meisten überliefern, dass der Evangelist Lukas als Proselyt die Hebräischen Buchstaben nicht kannte.“ (Buch der Hebräischen Untersuchungen über die Genesis, Kapitel 46; MÜ)

Zu den rabbinischen Paralellen in der Erklärung des Hieronymus (um 347 bis 419/420) zitiere ich zunächst Moritz Rahmer (1837-1904). Der schrieb in seinem Werk „Die hebräischen Traditionen in den Werken des Hieronymus“ (Breslau 1861) über den oben zitierten Abschnitt:

XLVI. 26 u. 27. Um den Widerspruch an dieser Bibelstelle zu lösen, dass als Totalsumme der Mitglieder der Familie Jakob’s, die nach Aegypten zogen, die Zahl 70 angegeben wird, während das Personenregister nur 69 ergiebt, nimmt Hieronymus an, dass Jakob selbst ebenfalls mitzuzählen sei: „Septuagesimus autem ipse fuerit Jacob.“ Dieses ist auch die Ansicht „Einiger“ im Midrasch z. St. ױש אומרים יעקב השלים עמהם את המנין׃ Einige sagen: „Jakob habe die Zahl voll gemacht.“ Die Einwände, die gegen diese Erklärung zu machen sind, vgl. Ibn Esra’s Comment. z.St.

Raschi (um 1040-1105)

Bevor ich zur Auslegung von Gen 46,26-27 durch R. Schelomo Jitzchaqi (Raschi) komme, gebe ich hier den Text in der Fassung des masoretischen Textes wieder:

כָּל־הַנֶּפֶשׁ הַבָּאָה לְיַעֲקֹב מִצְרַיְמָה יֹצְאֵי יְרֵכוֹ מִלְּבַד נְשֵׁי בְנֵי־יַעֲקֹב כָּל־נֶפֶשׁ שִׁשִּׁים וָשֵֽׁשׁ׃ וּבְנֵי יוֹסֵף אֲשֶׁר־יֻלַּד־לוֹ בְמִצְרַיִם נֶפֶשׁ שְׁנָיִם כָּל־הַנֶּפֶשׁ לְבֵֽית־יַעֲקֹב הַבָּאָה מִצְרַיְמָה שִׁבְעִֽים׃

²⁶ Jede Person, die mit Jakob nach Ägypten kommt, hervorgegangen aus seinen Lenden – außer den Frauen der Söhne Jakobs – jede Person: Sechsundsechzig. ²⁷ Und die Söhne Josephs, die ihm in Ägypten geboren wurde(n): Zwei Person(en). Jede Person vom Haus Jakob, die nach Ägypten gekommen war: Siebzig. (MÜ)

Auf die grammatikalischen Besonderheiten geht Raschi dann in seinem Kommentar 2 ein:

כל הנפש הבאה ליעקב. שֶׁיָּצְאוּ מֵאֶרֶץ כְּנַעַן לָבֹא לְמִצְרַיִם; וְאֵין „הַבָּאָה“ זוֹ לְשׁוֹן עָבָר אֶלָּא לְשׁוֹן הוֹוֶה, כְּמוֹ בָּעֶרֶב הִיא בָאָה (אסתר ב‘ ד‘), וּכְמוֹ וְהִנֵּה רָחֵל בִּתּוֹ בָּאָה עִם הַצֹּאן (בראשית כ“ט), לְפִיכָךְ טַעְמוֹ לְמַטָּה בָּאָלֶ“ף, לְפִי שֶׁכְּשֶׁיָּצְאוּ לָבֹא מֵאֶרֶץ כְּנַעַן לֹא הָיוּ אֶלָּא שִׁשִּׁים וָשֵׁשׁ, וְהַשֵּׁנִי, כָּל הַנֶּפֶשׁ לְבֵית יַעֲקֹב הַבָּאָה מִצְרַיְמָה שִׁבְעִים – הוּא לְשׁוֹן עָבָר, לְפִיכָךְ טַעְמוֹ לְמַעְלָה בַּבֵּי“ת, לְפִי שֶׁמִּשֶּׁבָּאוּ שָׁם הָיוּ שִׁבְעִים, שֶׁמָּצְאוּ שָׁם יוֹסֵף וּשְׁנֵי בָנָיו, וְנִתּוֹסְפָה לָהֶם יוֹכֶבֶד בֵּין הַחוֹמוֹת. וּלְדִבְרֵי הָאוֹמֵר תְּאוֹמוֹת נוֹלְדוּ עִם הַשְּׁבָטִים, צְרִיכִים אָנוּ לוֹמַר שֶׁמֵּתוּ לִפְנֵי יְרִידָתָן לְמִצְרַיִם, שֶׁהֲרֵי לֹא נִמְנוּ כָאן; מָצָאתִי בְּוַיִּקְרָא רַבָּה, עֵשָׂו שֵׁשׁ נְפָשׁוֹת הָיוּ לוֹ, וְהַכָּתוּב קוֹרֵא אוֹתָן נַפְשׁוֹת בֵּיתוֹ, לְשׁוֹן רַבִּים, לְפִי שֶׁהָיוּ עוֹבְדִין לֶאֱלֹהוּת הַרְבֵּה; יַעֲקֹב שִׁבְעִים הָיוּ לוֹ, וְהַכָּתוּב קוֹרֵא אוֹתָן נֶפֶשׁ, לְפִי שֶׁהָיָה עוֹבְדִים לְאֵל אֶחָד

Jede Person, die mit Jakob kommt (Gen 46,26). (Das bedeutet:) dass sie aus dem Land Kanaan hinausgingen, um nach Ägypten zu kommen. „Die kommt“ – das ist nicht Ausdrucksweise der Vergangenheit, sondern Ausdrucksweise der Gegenwart, wie am Abend kommt sie (Esth 2,14) und wie und siehe, Rachel, seine Tochter, kommt (Gen 29,6); daher ist sein Betonungszeichen hinten beim Aleph, weil zur Zeit, als sie auszogen, um vom Land Kanaan zu kommen, waren sie nicht mehr [als] sechsundsechzig. Und beim zweiten [Mal, als der Ausdruck באה fällt] jede Person vom Haus Jakob, die nach Ägypten gekommen war: Siebzig (Gen 46,27) – das ist Ausdrucksweise der Vergangenheit; daher ist sein Betonungszeichen davor beim Beth, weil nachdem sie dorthin gekommen waren, waren sie Siebzig, denn sie fanden dort Josef und seine beiden Söhne vor. Und hinzuzuzählen ist ihnen Jochebed „zwischen den Befestigungsmauern“. 3 Und zu den Worten desjenigen, der sagt: „Zwillinge wurden mit den Siebzig geboren“ 4 müssen wir sagen, dass sie [wohl] gestorben sind, bevor sie nach Ägypten hinabgingen, denn siehe da: hier wurden sie nicht mitgezählt. In Wajjikra Rabba 5 habe ich [diese Auslegung] gefunden: [Zu] Esau gehörten sechs Personen und die Schrift nennt sie „die Personen (nafschot – Plural) seines Hauses“ (Gen 36,6) – Ausdrucksweise der Vielen – weil sie vielen Göttern dienten. [Zu] Jakob gehörten Siebzig und die Schrift nennt sie „eine Person“ (næfæsch – Einzahl), weil sie dem einen Gott dienten.

Aus der Biblia Hebraica Kittel von 1905
Aus der Biblia Hebraica Kittel von 1905

Ibn Ezra (ca. 1089-1164)

Mit Raschis Deutung setzte sich R. Avraham Ben Meïr Ibn Ezra kritisch auseinander.

יש אומרים: כי מספר שבעים בעבור שהוא סך חשבון, כי ס״ט היו. וזה המפרש טעה, בעבור שמצאנו: כל נפש בניו ובנותיו שלשים ושלש (בראשית מ״ו:ט״ו), והם ל״ב

Es gibt welche, die sagen: die Zahl Siebzig ist deswegen, weil sie die Summe einer Berechnung ist. Denn es waren [eigentlich] neunundsechzig [Personen]. Und der Ausleger [der das gesagt hat] irrte, weil wir [in der Schrift geschrieben] finden: Alle Person(en) seiner Söhne und seiner Töchter waren dreiunddreissig (Gen 46,15), aber sie waren [eigentlich] zweiunddreissig.6

ובדרש: כי יוכבד נולדה בין החומות (בבלי סוטה י״ב.). גם זה תמה, למה לא הזכיר הכתוב הפלא שנעשה עמה שהולידה משה בת ק״ל שנה. ולמה הזכיר דבר שרה שהיתה בת צ׳. ולא די לנו זה הצער, עד שעשו פיטנים פיוטים ביום שמחת תורה: יוכבד אמי אחרי התנחמי, והנה היא בת ר״נ שנה. וכן אחיה חי כך וכך שנים (בבלי ב״ב קכ״א:), דרך הגדה או דברי יחיד.

Und in der Auslegung [finden wir um dieses Problem zu lösen]: Denn Jochebed wurde zwischen den Befestigungsmauern geboren (bSotah 12a). Auch das ist erstaunlich – warum erwähnt die Schrift [dann] nicht das Wunder, das mit ihr geschah, als sie Mose im Alter von hundertdreissig Jahren gebar?7 Und warum erwähnt sie [dann] im Fall von Sarah, dass sie neunzig Jahre alt war [als sie Isaak gebar – Gen 17,17]? Und als ob wir nicht genug mit diesem Problem hätten, [kommt noch] dazu, dass die Dichter liturgischer Gesänge Pijjutim 8 zum Tag Simchat Tora 9 verfasst haben [in denen es heißt]: „Jochebed, meine Mutter, tröste dich nach mir [=nach meinem Tod]“ – und siehe, sie wäre [in diesem Fall sogar] zweihundertfünfzig Jahre alt [geworden]! Und so verhält es sich auch mit Achijahs Leben von soundsoviel Jahren (bBabaBatra 121b)10: das ist der Weg der Haggadah bzw. eine Einzelmeinung [und daher ohne weitere Bedeutung].

והנכון בעיני: שיעקב בחשבון וממנו יחל, כאילו אמר: כל נפש בניו ובנותיו עם נפשו שלשים ושלש (בראשית מ״ו:ט״ו). והראיה על זה שאמר בתחלה: יעקב ובניו (בראשית מ״ו:ח׳). ואם טען טוען ואמר, והנה כתוב: ויהי כל נפש יוצאי ירך יעקב שבעים נפש (שמות א׳:ה׳), די כי הכתוב לא חשש להוציא אחד משבעים, כאשר אמר: אשר ילד לוא בפדן ארם (בראשית ל״ה:כ״ו), ולא נולד לו בנימין שם

Aber das Richtige in meinen Augen ist: dass Jakob in der Berechnung ist und sie von ihm an [zu zählen] beginnt, als ob [der Vers] sagen würde: Jede Person seiner Söhne und seiner Töchter zusammen mit seiner Person waren dreiundreissig (vgl. Gen 46,15). Und der Beweis dafür ist, dass vorher gesagt wird: [ /Und dies sind die Namen der Söhne Israels, die nach Ägypten kamen:/] Jakob und seine Söhne (Gen 46,8). Und wenn jemand unbedingt Gründe vorbringt und sagt: Aber sieh doch, es ist geschrieben: Und er waren alle Person(en), die aus den Lenden Jakobs hervorgingen, Siebzig Person(en) (Ex 1,5)?! Es genügt [darauf zu antworten], dass die Schrift nicht besorgt ist, einen von den Siebzig herauszunehmen, wenn sie [doch über Jakobs Söhne] sagt: die ihm in Paddan Aram geboren wurden (Gen 35,26). Aber Benjamin wurde ihm dort nicht geboren (vgl. Gen 35,16-20).11

גם בזו הפרשה שנים עדים: האחד – שאמר: ואלה שמות בני ישראל הבאים מצרימה יעקב ובניו (בראשית מ״ו:ח׳), והנה הזכיר כי יעקב מבני ישראל, כי לא הלך הכתוב כי אם על הכל אוב הרוב. והעד השני – כל הנפש לבית יעקב הבאה מצרימה שבעים (בראשית מ״ו:כ״ז), ומנשה ואפרים לא באו למצרים, כי שם נולדו. וכתוב אחר: בשבעים נפש ירדו אבותיך מצרימה (דברים י׳:כ״ב), ואלה שניהם לא ירדו. גם זה הכתוב לעד כי יעקב נכנס בחשבון, כי נפש יש לו, והוא העיקר

Auch sind in diesem Tora-Abschnitt zwei Zeugen [für meine Auslegung]: Der eine ist, dass gesagt wird: Und dies sind die Namen der Söhne Israels, die nach Ägypten kamen, Jakob und seine Söhne (Gen 46,8). Und sieh, es erinnert daran, dass Jakob unter den Söhnen Israels [aufgezählt] ist, denn die Schrift verfährt nicht so, sondern bei der ganzen Entwicklung [des Gottesvolkes nennt sie nur] die Mehrheit. Und der zweite Zeuge: Alle Person(en) vom Haus Jakob, die nach Ägypten kam(en): Siebzig (Gen 46,27). Aber Manasseh und Ephraim kamen nicht nach Ägypten, denn sie wurden dort geboren (vgl. Gen 46,20). Und eine andere Schriftstelle sagt: Mit Siebzig Person(en) zogen deine Väter hinab nach Äygypten. (Dtn 10,22) Aber diese zwei von ihnen [nämlich Manasseh und Phraim] zogen nicht hinab. Auch dieses Schriftwort ist ein Zeuge [für meine Auslegung], dass Jakob in die Berechnung hinein gehört, denn auch er gehört zu den Personen [w. auch er hat eine Seele] und er ist der wichtigste/die Hauptsache [in dieser Aufzählung].

Die rationale, rein um den Wortlaut der Schrift besorgte Auslegung Ibn Ezras ist eine völlige Zurückweisung der haggadischen Deutungsvorschläge, die Raschi gebracht hatte. Ramban (1194-1270) versetzte das so in Zorn, dass er sich bei seinem Angriff auf Ibn Ezra sogar auf Spr 26,5 berief. Wir schwer sich fromme Kreise bis heute mit seinem Zugang tun, ist auch daran zu erkennen, das Sefaria.org den von mir hier übersetzten Kommentar einfach unter den Tisch fallen lässt … Da war die klassische Rabbiner-Bibel weiter, die Raschis und Ibn Ezra’s Kommentare einträchtig nebeneinander stellte.

Nikolaus von Lyra (um 1270-1349)

Der franziskanische Theologe versuchte in seiner Postille eine Zusammenfassung der bisher geschilderten Positionen und ging dabei auch ausdrücklich auf die rabbinische Deutung ein. Ich habe den unleserlichen Seitenrand der Druckausgabe nach dieser Inkunabel ergänzt.

Cunctaeque animae quae ingressae sunt etc. Circa istos numeros sequentes varii doctores varie dicunt et multipliciter, accipiam autem duos modos dicendi, qui videntur mihi probabiliores.

Und alle Personen, die hineingingen usw. (Gen 46,26) Über diese folgenden Zahlen sagen unterschiedliche Lehrer auch vielfach unterschiedliches; ich akzeptiere aber zwei Weisen (darüber) zu reden, die mir am wahrscheinlichsten vorkommen.

Sexagintasex. Iste numerus est personarum, quae egressae sunt de Iacob, et cum hoc ingressae sunt Aegyptum cum eo, ut patet in litera. Etiam ab hoc numero excluduntur Her et Onan, qui non intraverunt Aegyptum, sed mortuus sunt in terra Chanaan, ut praedictum est in isto capitolo et supra 38. Similiter excluduntur Ioseph et duo filii eius, qui iam erant in Aegypto, antequam Iacob ingrederetur et sic de numero 70 praedicto remanent cum quibus si ponatur Dina, quae fuit exclusa a numero 33 puerorum Liae ut supra dictum est, et qua ingressa est cum Iacob in Aegyptum, sic habemus 66 personas hic numeratas, cum quibus si addantur Ioseph et duo filiis eius et Iochabet filia Levi, quae concepta erat ante ingressum Iacob in Aegyptum, nondum tamen nata, ut dicunt Hebraei, et sic intravit in Aegyptum, licet in utero matris. Et sic habemus ultimum numerum, cum dicitur.

Sechsundsechzig (Gen 46,26) Diese Zahl ist die der Personen, die aus Jakob hervorgangen sind und mit der sie Ägypten mit ihm betreten haben, wie aus dem Literalsinn hervorgeht. Dazu sind aus dieser Anzahl Er und Onan ausgeschlossen, die Ägypten nicht betreten haben, weil sie im Land Kanaan gestorben sind, wie vorher in diesem Kapitel (Gen 46,12) und weiter oben (in Kapitel) 38 gesagt worden ist. In gleicher Weise sind Joseph und seine zwei Söhne ausgeschlossen, die schon in Ägypten waren, bevor Jakob es betrat und so von der vorher genannten Zahl Siebzig verbleiben; mit denen – wenn man annimmt, dass Dina, die von der Zahl der dreiunddreissig Kinder Leahs ausgeschlossen wurde wie weiter oben gesagt wird (Gen 46,15) und die mit Jakob nach Ägypten hineinging – so haben wir sechsundsechzig Personen hier aufgezählt, mit denen – wenn Joseph und seine beiden Söhne und Jochebed die Tochter Levis hinzugezählt werden, die empfangen wurde bevor Jakob nach Ägypten hineinging, doch noch nicht geboren wurde, wie die Hebräer sagen, und so nach Ägypten hineinging, wenn auch im Bauch der Mutter. Und so haben wir die letzte Zahl (nämlich Sechsundsechzig), wie gesagt wird.

Omnes animae domus Iacob, quae ingressae sunt Aegyptum, fuerunt 70. Sed scriptura non exprimit, quod Levi aliquam filiam habuerit, quem vocata sit Iocabeth, quia illa de qua sit mentio in Exodus, non fuit eius filia, ut ibi dicetur. ideo potest hic dimitti, et loco eius poni ipse Iacob, qui cum prole sua ingressus est, et sic sunt 70 unde et in hoc numero ulti[mo]. non dicitur: Omnes animae quae egressae sunt de femore Iacob, quia ipse non fuit egressus a seipso, sed dicitur Omnes animae domus Iacob, quae ingressae sunt Aegyptum, fuere 70. Et hic modus dicendi videtur convenientior, tamen ingressus ipsius Ioseph fuit ante ingressum patris, et similiter ingressus filiorum Ioseph qui dicuntur hic ingressi ratione patris sui, et sic in eo quodammodo ingressi sunt. Unde et de personis hic ultimo nominatis non dicitur Quae ingressae sunt cum Iacob in Aegyptum, sed quae ingressae sunt [ab]solute. Translatio vero 70 hic habet 75. Sed secundum Hieronymus hic cum [prae]dictis numeraverunt quinque filiorum Ioseph, qui tamen nondum erant nati, et hoc factum est per anticipationem propter honorem Ioseph[: pro]pter quem ab aliis fuerunt recepti honorifice in Aegypto. hanc transla[tio]nem secutus est Lucas Act. 7. Quod autem aliqui dicunt nullam mu[lie]rem hic computari, patet falsum, quia Sara computatus inter filios [Zel]phae, aliter non essent 16 sed 15. Sed 15 tantum quod est contra textum ubi dici[tur]: Sedecim animas etc. Considerandum etiam, quod cum dicitur hic Animae egressae de femore Iacob, non est per hoc intelligendum, q[uod] anima intellectiva sit per generationem sed accipitur hic anima pr[o ho]mine, eo modo quo totum denominatur a parte principaliori. licet au[tem] generetur, anima tamen intellectiva non generatur, sed creando infu[dit].

Alle Personen des Hauses Jakob, die Ägypten betraten, waren Siebzig (Gen 46,27). Aber die Schrift sagt nicht ausdrücklich, dass Levi irgendeine Tochter hatte, die Jochebed genannt worden sei, denn diejenige (Jochebed) der in (dem Buch) Exodus Erwähnung geschieht, war nicht seine Tochter, wie dort (Ex 6,20) gesagt wird.12 Daher kann sie hier ausgelassen und an ihre Stelle Jakob selbst gesetzt werden, der mit seiner Nachkommenschaft hineingekommen ist, und so sind es Siebzig (Personen), wenn er in diese Zahl der Letzte ist. Es heißt nicht Alle Personen, die aus den Lenden Jakobs hervorgingen, weil er selbst nicht aus sich selbst hervorgegangen ist, sondern es heißt Alle Personen des Hauses Jakob, die Ägypten betraten, waren Siebzig. Und diese Art zu reden scheint passender, doch der Eintritt des Joseph selbst geschah vor dem Eintritt des Vaters [Jakob nach Ägypten] und gleicherweise der Eintritt der Söhne Josephs von denen gesagt wird, dass sie nach der Art ihres Vaters eingetreten sind, und so sind sie gewissermaßen durch ihn [in das Land Ägypten] eingetreten. Daher wird auch von den Personen die hier zuletzt genannt sind nicht gesagt: Die mit Jakob nach Ägypten hineingekommen sind, sondern bedingungslos die hineingekommen sind (Gen 46,27). Aber die Übersetzung der Siebzig hat hier [als Zahlenangabe] Fünfundsiebzig. Aber nach Hieronymus zählten sie hier zusammen mit den vorausgesagten fünf der Söhne Josephs, die allerdings nocht nicht einmal geboren waren, 13 und das ist durch Vorwegnahme zur Ehre des Joseph geschehen, wegen dem sie von anderen in Ägypten in Ehren empfangen wurden (vgl. Gen 47,1-12). Dieser Übersetzung ist Lukas in Apostelgeschichte Sieben gefolgt (Apg 7,14). Was aber manche sagen, dass hier keine Frauen gezählt wurden, ist offensichtlich falsch, weil Sara unter die Söhne Silpas gerechnet wurde (Gen 46,17), anders wären sie nicht sechzehn, sondern fünfzehn. Aber fünfzehn ist zu wenig, weil es gegen den Text ist, wo gesagt wird: Sechzehn Personen usw. (Gen 46,18). Zu bedenken ist auch, dass das, was hier als Seelen, die aus der Hüfte Jakobs hervorgegangen sind (Gen 46,26) nicht dadurch zu begreifen ist, dass es die durch die Zeugung [geschenkte] rationale Seele sei, sondern hier ist „Seele“ als „Mensch“ aufzufassen, gemäß der Weise dass das Ganze [nämlich der Mensch] von seinem hauptsächlichsten Teil [nämlich der Seele] her benannt wird. Freilich wird die rationale Seele nicht gezeugt, sondern durch Schöpfung [in den Menschen] eingegossen.

Fazit

Eine befriedigende Lösung der Frage gibt es wohl nicht. Daher überlasse ich das Schlusswort Robert Alter, der eine herausragende englische Übersetzung der Tora angefertigt hat, die von ihm auch noch großartig kommentiert wurde. Er schreibt zu unserem Problem:

Die traditionellen Kommentatoren wenden eine Interpretations-Akrobatik an, um die Aufzählung zu einem Ergebnis von genau Siebzig kommen zu lassen – indem sie debattieren, ob Jakob selbst in die Aufzählung eingeschlossen werden muss, ob Joseph und seine Söhne ein Teil der Gesamtsumme sind usw. In Wahrheit illustriert das Beharren auf die Siebzig am Ende der Liste anschaulich die biblische Verwendung von Zahlen als symbolische Annäherungen an Stelle von arithmetisch präzisen Messungen. Siebzig bedeutet Fülle, eine große runde Zahl, zehnmal die heilige Sieben, und ihre Verwendung hier verdeutlicht, das Jakob, der einst ein vereinsamter Flüchtling war, zu einer großen Familie herangewachsen ist, dem Zellkern einer Nation. (Robert Alter, The five Books of Moses, New York 2004, S. 269 Fn. 27; MÜ)

Fußnoten


  1. Siehe die Transkription in: The Biblical Qumran Scrolls. Transcriptions and Textual Variants. Edited by Eugene Ulrich; Leiden/Boston 2010, S. 27
  2. Hanna Liss (Jüdische Bibelauslegung, UTB 2020): »Einen ‚Urtext‘ von Raschis Kommentar gibt es nicht (…), nicht einmal für den Pentateuch-Kommentar.« (S. 58) Auf sie geht auch die Bezeichnung von Raschis Kommentaren als »erste jüdische Glossa-Ordinaria« zurück. (S. 56)
  3. Die Erklärung dafür liefert Raschi in seinem Kommentar zu Gen 46,15. Er führt zu der dort angegebenen Zwischensumme der Nachkommen von Jakob und Leah, die dreiunddreissig beträgt aus: „Aber bei den [hier angeführten] Einzelnen [Personen] findest du nicht [diese Zahl]. Es sind [vielmehr] zweiunddreissig. Die eine war Jochebed, die zwischen den Befestigungsmauern geboren wurde, als sie in die [Grenz]Stadt [nach Ägypten] hineinkamen, denn es heißt welche geboren wurde, sie, dem Levi, in Ägypten (Lev 26,59). [Das bedeutet:] Sie wurde in Ägypten geboren und nicht in Ägypten gezeugt.“ Diese Auslegung geht auf bBabaBatra 123b zurück.
  4. Hier zitiert Raschi eine Deutung aus dem Midrasch Bereschit Rabba 84,21 zu Gen 37,35: Da standen alle seine Söhne und Töchter auf, um ihn zu trösten. Der Midrasch fragt sich, wieso hier von Töchtern Jakobs die Rede ist, obwohl die Schrift nur von einer Tochter Jakobs erzählt – nämlich Dina. Zu der naheliegenden Deutung, dass wohl die Schwiegertöchter gemeint sein müssten (was allerdings durch Gen 46,26 ausgeschlossen ist), bringt Rabbi Jehuda eine weitere: „Die Stämme haben ihre (Zwillings)Schwestern geheiratet“ und deshalb sage die Tora: Da standen alle seine Söhne und Töchter auf, um ihn zu trösten. Von daher stammt also die Vorstellung, alle Söhne Jakobs hätten eine Zwillingsschwester gehabt.
  5. Also in dem großen Midrasch zum Buch Levitikus 4,6.
  6. Wenn man die Nachkommen Leas zählt, kommt man auf zweiunddreissig Personen und nicht, die Gen 46,15 rechnet, auf dreiunddreissig. Siehe oben Fn. 3.
  7. Ben Ezra kommt auf dieses Alter auf Grund folgender Angaben: Nach Ex 7,7 war Mose 80 Jahre alt, als es zum Exodus kam. Aus dem haggadischen Seder Olam, ein „besonders (aber durchaus nicht auschließlich) chronographisch interessierter Midrasch“ (Günter Stemberger, Einleitung in Talmud und Midrasch⁸ (1992) S. 319) stammt die Angabe, dass Israel 210 Jahre in Ägypten war. Auf diese Zahl kommt man durch folgende Berechnung: Vierhundert Jahre von der Geburt Isaaks bis zum Exodus (Gen 15,13 – der hier erwähnte Samen Abrahams wird mit Isaak identifiziert); Isaak wiederum war Sechzig Jahre alt, als ihm Jakob geboren wurde (Gen 25,26); Jakob seinerseits war Hundertdreissig Jahre alt, als er nach Ägypten kam (Gen 47,9). So ergibt sich: 400-(60+130)=210. Wenn Jochebed bei der Einreise nach Ägypten geboren wurde, musste sie Hundertdreissig Jahre alt gewesen sein, als sie ihrerseits Mose gebar (230 Jahre Aufenthalt in Ägypten minus 80 Lebensjahre ihres Sohnes Mose beim Exodus.) Vgl. Seder Olam. The Rabbinic View of Biblical Chronology, übersetzt und kommentiert von Heinrich W. Guggenheimer (2005) S. 37. Zu der komplexen Auslegungstradition zu Jochebed vgl. James L. Kugel: Traditions of the Bible (1998) S. 524 ff.
  8. Pijjut leitet sich von ποιητής ab und bezeichnet ein religiöses Gedicht, dass Eingang in die Synagogenliturgie gefunden hat. (Vgl. Hanna Liss, S. 509 a.a.o.)
  9. Das Fest Simchat Tora (=Freude an der Tora) bringt als Lesung das Ende der Tora, also den Tod des Mose in Dtn 34 und gleich wieder den Anfang der Tora, deren Lesung von Neuem fortgesetzt wird.
  10. Die Tradition findet sich auch in Seder Olam 1. Ahija wird als Prophet aus Schilo erwähnt (1 Kön 11,29-39). Für die hier vertretene These gibt es keinen Schriftvers als Beleg, was es Ibn Ezra ermöglicht, diese und ähnliche Aussagen zu kritisieren.
  11. Mit diesem Beispiel verdeutlicht Ibn Ezra, dass es für die Tora nicht untypisch sei, einzelne Personen bei Aufzählungen mit einzuschliessen, obwohl sie gar nicht genannt werden.
  12. Allerdings sagt Num 26,59 ausdrücklich: Und der Name der Frau Amrams war Jochebed, einer Tochter Levis, die ihm geboren wurde, dem Levi, in Ägypten; uns sie gebar dem Amram Aaron und Mose und Mirjam, ihre Schwester. (MÜ)
  13. Nach Ephraim und Manasse (Gen 41,50-52) hat Joseph gemäß Gen 48,6 noch andere Nachkommen gezeugt.

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