Untersuchungen – Kapitel 6

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(Vers. 2.) «Videntes autem filii Dei filias hominum, quia bonae sunt.» Verbum Hebraicum ELOIM (אלהים), communis est numeri: et Deus quippe et dii similiter appellantur: propter quod Aquila plurali numero, filios deorum ausus est dicere: Deos intelligens, Sanctos, sive Angelos. Deus enim stetit in synagoga deorum: in medio autem deos discernit. [Al. diiudicat] [Psal. LXXXI, 1]. Unde et Symmachus istiusmodi sensum sequens, ait: «Videntes filii potentium filias hominum», et reliqua.

(Gen 6,2): »Die Söhne Gottes sahen aber, dass die Töchter der Menschen schön sind«. Das hebräische Wort Elohim ist nicht auf eine Zahl festgelegt und kann also sowohl Gott als auch Götter heißen. Deshalb wagte es Aquila, in der Mehrzahl Söhne der Götter zu sagen. Er verstand »die Götter« als »Heilige« oder »Engel«. Denn Gott stand in der Versammlung der Götter, und in (ihrer) Mitte urteilt er1 über sie (Ps 81,1 LXX). Daher sagt Symmachus, folgerichtig und sinngemäß: »Die Söhne der Mächtigen sahen die Töchter der Menschen« usw.

(Vers. 3.) «Et dixit Dominus Deus: Non permanebit spiritus meus in hominibus istis in aeternum, quia carnes sunt.» In Hebraeo scriptum est, Non iudicabit spiritus meus homines istos in sempiternum, quia caro sunt: hoc est, quia fragilis est in homine conditio, non eos ad aeternos servabo cruciatus: sed hic illis restituam quod merentur. Ergo non severitatem, ut in nostris codicibus legitur, sed clementiam Dei sonat, dum peccator hic pro suo scelere visitatur. Unde et iratus Deus loquitur ad quosdam: Non visitabo filias eorum, cum fuerint fornicatae, et sponsas eorum, cum adulteraverint (Osee IV, 14). Et in alio loco: Visitabo in virga iniquitates eorum, et in flagellis peccata eorum: verumtamen misericordiam meam non auferam ab eis [Ps. LXXXVIII, 33]. Porro ne videretur in eo esse crudelis, quod peccantibus locum poenitentiae non dedisset, adiecit: «Sed erunt dies eorum centum viginti anni». Hoc est, habebunt centum viginti annos ad agendam poenitentiam. Non igitur humana vita, ut multi errant, in centum viginti annos contracta est: sed generationi illi, centum viginti anni ad poenitentiam dati sunt. Siquidem invenimus, quod post diluvium Abraham vixerit annos centum septuaginta quinque, et caeteri amplius ducentis et trecentis annis. Quia vero poenitentiam agere contempserunt, noluit Deus tempus exspectare decretum: sed viginti annorum spatiis amputatis, induxit diluvium anno centesimo agendae poenitentiae destinato.

(Gen 6,3): »Und Gott der Herr sprach: Mein Geist wird nicht auf ewig in diesen Menschen bleiben, weil sie Fleisch sind.« Im Hebräischen steht geschrieben: »Nicht wird mein Geist diese Menschen für immer verurteilen, weil sie Fleisch sind.«2 Das heißt: Weil die Natur des Menschen zerbrechlich ist, werde ich sie nicht zu ewiger Qual aufsparen. Aber ich werde ihnen hier vergelten, was sie verdienen. Daher klingt hier nicht die Strenge Gottes an, wie man in unseren Handschriften lesen kann, sondern seine Güte, da ja der Sünder hier für seine Bosheit gestraft wird. Daher spricht Gott zornig zu einigen: Ich werde ihre Töchter nicht heimsuchen, wenn sie Unzucht treiben, und ihre Bräute nicht, wenn sie die Ehe brechen. (Hos 4,14 LXX) Und an einer anderen Stelle: Ich werde mit einer Zuchtrute ihr schuldhaftes Handeln strafen und mit Geißeln ihre Sünden; trotzdem werde ich mein Erbarmen nicht von ihnen nehmen (Ps 88,33). Weiters, damit er ihnen gegenüber nicht als grausam erscheine, weil er den Sündern keinen Zeitraum zur Busse vorgegeben hatte, fügt er an: »Aber ihre Tage werden 120 Jahre sein«. Das bedeutet, dass sie 120 Jahre Zeit hätten, um Busse zu tun. So wurde das menschliche Leben nicht, wie viele irrtümlich meinen, auf 120 Jahre verkürzt: Sondern jener Generation sind 120 Jahre zugesprochen worden, um Buße zu tun. 3 Denn wir finden in den Schriften, dass Abraham nach der Sintflut 175 Jahre lebte, und andere mehr als 200 und 300 Jahre. Da sie aber die Busse missachteten, wollte Gott den festgesetzten Zeitpunkt nicht abwarten: Sondern er kürzte den Zeitraum (zur Buße) um 20 Jahre und ließ die Sintflut kommen, und zwar im hundertsten Jahr, das er noch für das Bußetun bestimmt hatte.

(Vers. 4.) «Gigantes autem erant super terram in diebus illis, et post haec quomodo ingrediebantur filii Dei ad filias hominum, et generabant eis. Illi erant gigantes a saeculo homines nominati». In Hebraeo ita habet: «Cadentes erant in terra in diebus illis», id est, ANNAPHILIM (הנפלים). «Et post haec ut ingrediebantur filii deorum ad filias hominum, et generabant eis: hi erant fortes a principio viri nominati». Pro cadentibus, sive gigantibus, violentos interpretatus est Symmachus. Et angelis autem et sanctorum liberis convenit nomen cadentium.

(Gen 6,4): »Giganten aber waren auf der Erde in jenen Tagen und danach, wie die Söhne Gottes zu den Töchtern der Menschen hineingingen, zeugten sie ihnen Kinder. Jene waren von Anbeginn an Giganten und wurden Menschen genannt.« Auf hebräisch heißt es so: »Die Fallenden waren auf der Erde in jenen Tagen«, das heißt ha nefilim.4 »Und danach, wie die Söhne der Götter zu den Töchtern der Menschen hineingingen und ihnen (Nachkommen) zeugten: Das waren die, die am Anfang starke Männer/Helden genannt wurden. »Fallende« oder »Giganten« hat Symmachus mit Gewalttätige übersetzt. Aber sowohl zu den Engeln als auch zu den Kindern der Heiligen passt die Bezeichnung »Fallende« besser.

(Vers. 9.) «Noe vir iustus atque perfectus in generatione sua, Deo placuit». Signanter ait, in generatione sua: ut ostenderet non iuxta iustitiam consummatam: sed iuxta generationis suae iustitiam fuisse eum iustum. Et hoc est quod in Hebraeo dicitur: «Noe vir iustus, perfectus erat in generationibus suis: cum Deo ambulabat Noe»: hoc est illius vestigia sequebatur.

(Gen 6,9): »Noe war ein gerechter und vollkommener Mann in seiner Generation. Er gefiel Gott«. Bezeichnenderweise wird in seiner Generation gesagt, um zu zeigen, dass sie nicht entsprechend ihrer Gerechtigkeit ihr Ende fand, sondern dass er entsprechend der Gerechtigkeit seiner Generation gerecht gewesen sei.5 Und im Hebräischen wird gesagt: »Noe war ein gerechter Mann, vollkommen in seinen Generationen: Noe wandelte mit Gott«: Das bedeutet, dass es er seinen Spuren folgte.6

(Vers. 14.) «Fac tibi arcam de lignis quadratis». Pro quadratis lignis, bituminata legimus in Hebraeo.

(Gen 6,14): »Mache für dich eine Kiste aus viereckigen Hölzern.« Statt viereckigen Hölzern lesen wir im Hebräischen mit Pech abgedichtete.

(Vers. 16.) «Colligens, facies arcam, et in cubito consummabis eam desuper». Pro eo quod est, colligens facies arcam, in Hebraeo habet, meridianum facies arcae, quod manifestius interpretatus est Symmachus, dicens, διαφανὲς, hoc est, dilucidum facies arcae, volens fenestram intelligi.

(Gen 6,16): »Du wirst die Kiste machen in dem du sie berechnest und sie oben um eine Elle machst (in einer Elle vollendest?).« Für das, was »du wirst die Kiste machen, in dem du sie berechnest« heißt, steht im Hebräischen, einen Mittag 7 sollst du der Kiste machen, was Symmachus deutlicher übersetzt hat, in dem er diaphanḕs (durchscheinend) sagt, das heißt: Ein Helles sollst du der Kiste machen – er wollte das als »Fenster« verstehen. 8

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  1. Andere Handschriften lesen: Hielt er Gericht über …
  2. Die Bedeutung von lo jādōn ruchi wā’ādām lǝ’olām ist umstritten; je nachdem, ob jādon יָדוֹן von דון abgeleitet wird, was Gesenius als »walten« deutet; oder von דין = »richten« kann übersetzt werden: a: Nicht soll walten mein Geist in dem Menschen für immer (Zunz; Luther); b: Mein Geist soll nicht ewiglich mit dem Menschen rechten (Elberfelder 1905, Schlachter 2000); Koehler/Baumgartner bezeichnen das Wort als unerklärt und erschließen – wie die LXX – aus dem Kontext die Bedeutung »bleiben«. Diese Übersetzung hat auch die EÜ gewählt: Mein Geist soll nicht für immer im Menschen bleiben.
  3. Ähnlich Philo von Alexandria in seinen Fragen zur Genesis: »Aber vielleicht sind 120 Jahre nicht das allgemeine Maß des menschlichen Lebens, sondern nur das der Menschen, die zu dieser Zeit (=der Zeit Noes) lebten, die später in der Flut nach so einer Zahl von Jahren zugrunde gehen mussten, die ein gütiger Wohltäter verlängerte, um Busse für die Sünden zu ermöglichen.« Quaestiones in Genesim, I 91.
  4. Hieronymus leitet seine Deutung von der Wurzel נפל ab, was fallen bedeutet. Dabei greift er wieder eine alte jüdische Deutung auf: »Sie heissen endlich נפלים, weil sie die Welt zum Falle brachten und weil sie aus der Welt fielen und diese durch Ausschweifung mit Riesen füllten.« (MBR XXVI; Ü: August Wünsche)
  5. »Nach Rabbi Jehuda: Unter seinen Zeitgenossen war er ein Gerechter, hätte er aber in der Zeit Moses oder Samuels gelebt, so wäre er es nicht gewesen. Auf der Strasse, wo Blinde sind, wird ein Einäugiger ein Hellsehender genannt.« (MBR XXX; Ü: August Wünsche) Allerdings vertritt Rabbi Nechemja die entgegengesetzte Deutung: »Wenn Noach schon unter seinen Zeitgenossen gerecht war, um wieviel mehr würde er es gewesen sein, wenn er im Zeitalter Moses oder Samuels gelebt hätte!« (Ebenda)
  6. Ein ähnliches Bild zu diesem Vers bietet der Midrasch, der Noach mit einem Kleinkind vergleicht, das seinem Vater hinterhergeht – und Abraham mit einem älteren Kind, das dem Vater vorausgeht. a.a.o.
  7. Im Hebräischen steht das Wort צֹהַר tsōhar, dessen Bedeutung und Herleitung unsicher sind.
  8. Auch diese Übersetzung ist wieder nur vor dem Hintergrund der rabbinischen Tradition zu verstehen: »Nach Rabbi Abba bar Kahana bedeutet צהור (sic!) Fenster, nach Rabbi Levi dagegen: Perle (Edelstein). Rabbi Pinchas sagte im Namen des Rabbi Levi: Während der 12 Monate, in welchen Noach in der Arche war, bedurfte er am Tage nicht des Sonnen- und des Nachts nicht des Mondlichtes, sondern er hatte einen in der Luft schwebenden Edelstein, war dieser finster, so wusste er, dass es Tag war, leuchtete er, so wusste er, dass es Nacht war.« (MBR XXXI; Ü: August Wünsche)