Notizen zur Entwicklung des römisch-katholischen Eheverständnisses IV

Gratian hatte die Durchsetzung der Ehefähigkeit von Sklaven vorangetrieben und er urteilte, dass eine Frau nicht gegen ihren Willen verheiratet werden darf – ebenso wie ein Mann. Damit legte er die Grundlage für die klassische Formulierung des römisch-katholischen Eherechts, die in zeitlicher Nähe zu der Erstellung seiner Rechtssammlung erfolgte.

Papst Alexander III

Dieser Papst amtierte von 1159-1181 und er verschaffte den Vorarbeiten Gratians Gesetzeskraft. Dabei löste er auch noch in eleganter Weise den alten Konflikt zwischen römischem und germanischem Rechtsempfinden, wann eine Ehe Gültigkeit erlangt.

Nach germanischem Verständnis kam eine Ehe dadurch zustande, dass sie vollzogen wird: also durch den Geschlechtsverkehr der Eheleute. Nach römischem Rechtsverständnis aber durch den Konsens der Eheleute – ihren beiderseitigen Willen, eine Ehe einzugehen.

In einem Brief an den Bischof von Salerno, der in zwei Fragmenten in der Dekretalien-Sammlung Gregor des IX. erhalten geblieben ist, traf Papst Alexander III in den 1170er Jahren 1 eine Entscheidung, die im katholischen Kirchenrecht bis heute gültig geblieben ist.

Anlassfall ist ein Paar, das sich die Ehe versprochen hat, wobei sich ein Partner vor der sexuellen Vereinigung entschließt, doch ins Kloster zu gehen. Alexander beantwortet dazu zwei Fragen: Ist das erlaubt? Und darf der zurückgelassene Partner dann trotz des ursprünglichen Konsenses jemand anderen heiraten?

»Verum Post«

Gregor IX., Decretales Liber III, Tit. XXXII, C. 2 in der Druckausgabe von 1582
Gregor IX., Decretales Liber III, Tit. XXXII, C. 2 in der Druckausgabe von 1582

Der Brief wird nach seinen Eingangsworten als »verum post« zitiert, hier sein Text nach der Druckausgabe von 1582:

Verum post consensum legitimum des præsenti, licitum est alteri, altero etiam repugnante eligere monasterium (sicut sancti quidam de nuptiis vocati fuerunt) dummodo carnalis commistio non interuenerit inter eos: & alteri remanenti (si commonitus continentiam seruare noluerit) licitum est ad secunda vota transire. Quia cum non fuissent vna caro simul effecti, satis potest vnus ad Deum transire, & alter in seculo remanere. (Gregor IX., Decretales, L. III Tit. XXXII, C.2) 2

Aber nach dem rechtsmäßigen gegenwartsbezogenen Konsens ist es dem einen erlaubt, auch wenn sich der andere widersetzt, das Kloster zu erwählen (wie ja auch Heilige von der Hochzeit weg berufen wurden) solange nur kein fleischlicher Verkehr zwischen ihnen stattgefunden hat: und wenn der andere, der zurückbleibt (trotz Ermahnung keine Enthaltsamkeit üben will), so ist es ihm erlaubt, eine zweite Ehe einzugehen. Denn da sie nicht zusammen ein Fleisch (Gen 2,24; Mt 19,4-6; 1 Kor 6,16; Eph 5,31) geworden waren, kann der eine durchaus zu Gott übertreten und der andere in der Welt zurückbleiben. (Ü: DH 755)

Hier nun das zweite Fragment aus diesem Brief:

Gregor IX., Decretales, L. IV, Tit. IV, C.3 nach der Druckausgabe von 1582
Gregor IX., Decretales, L. IV, Tit. IV, C.3 nach der Druckausgabe von 1582

Consultationi tuae taliter respondemus, quod si inter virum & mulierem legitimus consensus interueniat de prasenti, ita quidem, quod unus alterum in suo mutuo consensu, verbis consuetis expresse recipiat, vtroque dicente: Ego accipio te in meam: &, ego accipio te in meum: siue sit iuramentum interpositum, siue non: non licet mulieri alii nubere: Et si nupserit, etiam si carnalis copula sit secuta, ab eo separari debet, & vt ad primum redeat, ecclesiastica districtione compelli: Quamuis aliter a quibusdam praedecessoribus nostris sit aliquando iudicatum. (Gregor IX., Decretales, L. IV Tit. IV, C.3)

Auf deine Anfrage anworten wir derart, dass wenn zwischen einem Mann und einer Frau ein rechtmäßiger gegenwartsbezogener Konsens eintritt, und zwar so, dass einer den anderen in gegenseitigem Einverständnis, mit den üblichen Worten ausdrücklich annimmt, indem beide sagen: Ich nehme dich als meine [Frau] an, und: ich nehme dich als meinen [Mann] an: ob nun dabei ein Schwur abgelegt wurde, oder nicht, so ist der Frau nicht erlaubt, einen anderen zu heiraten. Und wenn sie geheiratet hat, so muss sie, auch wenn eine fleischliche Verbindung folgte, von ihm getrennt, und mit kirchlicher Strenge dazu gebracht werden, zum ersten zurückzukehren: auch wenn von einigen unserer Vorgänger einmal anders geurteilt wurde. (Ü: DH; OA)

Damit war der alte römische Konsens als die konstituierende Ursache (causa efficiens) der Eheschließung festgelegt – und im Unterschied zum alten römischen Recht galt das auch für Sklaven und Sklavinnen.

Das heutige Kircherecht

Im heutigen Kirchenrecht hat diese Bestimmung von Papst Alexander III immer noch Gültigkeit. So heißt es in dem 1983 von Papst Johannes Paul II in Kraft gesetzten Codex Iuris Canonici:

Can. 1057
§ 1 Matrimonium facit partium consensus inter personas iure habiles legitime manifestatus, qui nulla humana potestate suppleri valet.
§ 2 Consensus matrimonialis est actus voluntatis, quo vir et mulier foedere irrevocabili sese mutuo tradunt et accipiunt ad constituendum matrimonium.

Kanon 1057
§ 1 Die Ehe kommt durch den Konsens der Partner zustande, der zwischen rechtlich dazu befähigten Personen in rechtmäßiger Weise kundgetan wird; der Konsens kann durch keine menschliche Macht ersetzt werden.
§ 2 Der Ehekonsens ist der Willensakt, durch den Mann und Frau sich in einem unwiderruflichen Bund gegenseitig schenken und annehmen, um eine Ehe zu gründen. (Ü: 4. Auflage der deutsch-lateinischen Ausgabe)

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  1. Ich folge bei der Datierung Anders Winroth: Readers, Texts and Compilers in the Earlier Middle Ages, S. 113; DH gibt »Zeit unsicher« an (755-756).
  2. Ich habe die Abkürzungen im Text der Druckausgabe ausgeschrieben

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