Katholiken sind es gewohnt, diese Worte Jesu aus dem Matthäusevangelium mit dem Papstamt in Verbindung zu bringen. In diesem Sinn sagt der Weltkatechismus der katholischen Kirche:
936 Der Herr hat den hl. Petrus zum sichtbaren Fundament seiner Kirche gemacht und ihm die Schlüssel der Kirche übergeben Der Bischof der Kirche von Rom, der Nachfolger des hl. Petrus, ist „Haupt des Bischofskollegiums, Stellvertreter Christi und Hirte der Gesamtkirche hier auf Erden “(CIC, can. 331).
Von daher schmückt auch das lateinische Zitat des Herrenwortes die Kuppel des Petersdoms in Rom: Tu es Petrus et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam […] et tibi dabo claves regni caelorum – du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen […] und ich werde dir die Schlüssel des Königreiches der Himmel geben (Mt 16,18.19)
Nach einem Blick auf den griechischen Text der Perikope möchte ich hier eine weitere, sehr alte Auslegungstradition dieser Perikope vorstellen.
Die Textstelle
¹³ Ἐλθὼν δὲ ὁ Ἰησοῦς εἰς τὰ μέρη Καισαρείας τῆς Φιλίππου ἠρώτα τοὺς μαθητὰς αὐτοῦ λέγων· τίνα ⸆ ⸉λέγουσιν οἱ ἄνθρωποι εἶναι⸊ °τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου; ¹⁴ οἱ δὲ εἶπαν· ⸂οἱ μὲν⸃ Ἰωάννην τὸν βαπτιστήν, ἄλλοι δὲ Ἠλίαν, ἕτεροι δὲ Ἰερεμίαν ἢ ἕνα τῶν προφητῶν. ¹⁵ λέγει αὐτοῖς ⸆· ὑμεῖς δὲ τίνα με λέγετε εἶναι; ¹⁶ ἀποκριθεὶς δὲ Σίμων Πέτρος εἶπεν ⸆· σὺ εἶ ὁ χριστὸς ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ ⸂τοῦ ζῶντος⸃. ¹⁷ ⸂Ἀποκριθεὶς δὲ⸃ ὁ Ἰησοῦς εἶπεν αὐτῷ· μακάριος εἶ, Σίμων ⸀Βαριωνᾶ, ὅτι σὰρξ καὶ αἷμα οὐκ ἀπεκάλυψέν σοι ἀλλ᾿ ὁ πατήρ μου ὁ ⸄ἐν τοῖς οὐρανοῖς⸅. ¹⁸ κἀγὼ δέ σοι λέγω ὅτι σὺ εἶ Πέτρος, καὶ ἐπὶ ταύτῃ τῇ πέτρᾳ οἰκοδομήσω μου τὴν ἐκκλησίαν καὶ πύλαι ᾅδου οὐ κατισχύσουσιν αὐτῆς.
¹³ Als Jesus in die (Landes)Teile vom Cäsarea des Phillipos gekommen war, fragte er seine Schüler: Wer – sagen die Menschen – dass der Menschensohn sei? ¹⁴ Die sprachen: Die einen: Johannes der Täufer. Andere aber Elijas, wieder andere Jeremias oder einer der Propheten. ¹⁵ Er sagt zu ihnen: Ihr nun, wer sagt ihr, dass ich bin? ¹⁶ Da antwortete Simon Petros, er sprach: Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes. ¹⁷ Da antwortete Jesus, er sprach zu ihm: Selig bist du, Simon Barjona, denn nicht Fleisch und Blut haben [es] dir enthüllt, sondern mein Vater, der in den Himmeln [ist]. ¹⁸ Ich selbst sage dir, dass Du Petros bist, und auf diesem Felsen (gr. pétra) werde ich meine Kirche bauen und Tore der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.
(MÜ)
Eine weitere Auslegungstradition
Origenes
Eine geradezu „demokratische“ Deutung unserer Textstelle vertritt der große Alexandriner (185-253), wenn er in seinem Kommentar schreibt:
εἰ δὲ φήσαντες καὶ ὑμεῖς ὡς ὁ Πέτρος· σὺ εἶ ὁ Χριστὸς ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ ξῶντος (οὐχ ὡς σαρκὸς καὶ αἵματος ἡμῖν ἀποκαλυψάντων, ἀλλὰ φωτὸς ἡμῶν τῇ καρδίᾳ ἐλλάμψαντος ἀπὸ τοῦ ἐν οὐρανοῖς πατρός), γινόμεθα Πέτρος. καὶ ἡμῖν ἂν λέγοιτο ἀπὸ τοῦ <θεοῦ> λόγου τὸ σὺ εἶ Πέτρος καὶ τὰ ἑξῆς. πέτρα γὰρ πᾶς ὁ Χριστοῦ μιμητής, ἀφʼ οὗ ἔπινον οἳ »<ἔπινον> ἐκ πνευματικῆς ἀκολουθούσης πέτρας«. καὶ ἐπὶ πᾶσαν τὴν τοιαύτην πέτραν οἱκοδομεῖται ὁ ἐκκλησιαστικὸς πᾶς λόγος καὶ ἡ κατʼ αὐτὸν πολιτεία. ἐν ἑκάστῳ γὰρ τῶν τελεὶων, ἐχόντων τὸ ἄθροισμα τῶν συμπληρούντων τὴν μακαριότητα λόγων καὶ ἔργων καὶ νοημάτων <πάντων>, ἐστὶν ἡ ὑπὸ τοῦ θεοῦ οἰκοδομουμένη ἐκκλησία. (Matthäuserklärung
XII,10; GCS XL, S. 85-86)
Wenn nun auch wir wie Petrus sagen:
Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes,
(so haben uns das nicht Fleisch und Blut enthüllt, sondern Licht, das vom Vater in den Himmeln in unser Herz schien), werden wir Petrus. Auch uns wird wohl von dem Wort <Gottes> das du bist Petrus usw. gesagt. Denn ein Felsen ist jeder Nachahmer Christi, von dem die tranken, »die aus dem hinterher gehenden geistlichen Felsen tranken« (1 Kor 10,4). Und auf einen jeden solchen Felsen wird das ganze kirchliche Lehrgebäude und die ihm entsprechende Verfassung aufgebaut. Denn in jedem der Vollkommenen, die an der die Seligpreisungen vollständig erfüllenden Lehre – sowohl der Werke als auch <aller> Verständnisse – festhalten, ist die von Gott erbaute Kirche. (Matthäuserklärung
XII,10; GCS XL, S. 85-86)
Die gewohnte Deutung von Mt 16,13 ff. durch Origenes wird bei Eusebius in der lateinischen Fassung von KG VI,25,8 berichtet:
Petrus, auf den die Kirche Christi gebaut ist, welche von den Toren der Hölle nicht überwältigt werden wird, hat nur einen allgemein anerkannten Brief hinterlassen. Er mag noch einen zweiten hinterlassen haben, doch wird derselbe bezweifelt. (Übersetzung: BKV)
Allerdings wäre hier wohl zu fragen, in wieweit Rufin bei dieser Übersetzung nachgebessert hat, es wäre nicht das erste Mal.
Augustinus
Werfen wir einen Blick auf die Auslegung des Aurelius Augustinus (354–430) In epistolam Ioannis ad Parthos, Tractatus X, Caput IV,11
Cum Dominus quaereret quis esset, et quem illum dicerent homines, responderunt illi discipuli : Alii dicunt te Joannem Baptistam, alii Eliam, alii Jeremiam. aut unum ex Prophetis. Et ille: Vos autem quem me esse dicitis? Respondit Petrus, et ait: Tu es Christus Filius Dei vivi. Et audivit a Domino : Beatus es, Simon Bar Jona, quia non revelavit tibi caro et sanguis. sed Pater meus qui est in coelis. Videte quae laudes prosequantur hanc fidem: /Tu es Petrus, et super hanc petram aedificabo Ecclesiam meam (Matth. XVI,13-18). Quid est, super hanc petram aedificabo Ecclesiam meam? Super hanc fidem, super id quod dictum est, Tu es Christus Filius Dei vivi. Super hanc petram, inquit, fundabo Ecclesiam meam. Magna laus! In epistolam Ioannis ad Parthos, Tractatus X, Caput IV,1 (MPL
XXXV,2054)
Als der Herr fragte, wer er sei und als wen ihn die Menschen bezeichnen würden, antworteten die Schüler: Einige nennen dich Johannes den Täufer, andere Elija, noch andere Jeremia oder einen von den Propheten. (Mt 16,14). Und er: Ihr aber, wer sagt ihr, dass ich bin? (Mt 16,15) Petrus antwortete und sagte: Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. (Mt 16,16) Und er bekam vom Herrn zu hören: Selig bist du, Simon Bar Jona, weil nicht Fleisch und Blut dir offenbart haben. Sondern mein Vater, der in den Himmeln ist. (Mt 16,17) Seht, welches Lob auf diesen Glauben folgt: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen. (Mt 16,18) Was bedeutet auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen? Auf diesen Glauben, auf das, was gesagt worden ist: Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Auf diesen Felsen, sagt er, werde ich meine Kirche gründen. Ein großes Lob! (In epistolam Ioannis ad Parthos, Tractatus X, Caput IV,1 MPL
XXXV,2054)
In diesem Sinn äußert sich der afrikanische Kirchenvater auch in den Retractationes I,20,2:
In quo dixi quodam loco de apostolo Petro, quod in illo tamquam
in petra fundata sit ecclesia. qui sensus etiam cantatur ore multorum in uersibus beatissimi Ambrosi, ubi de gallo gallinacio ait:hoc ipse, petra ecclesiae,
canente culpam diluit.sed scio me postea saepissime sic exposuisse, quod a domino dictum est:
tu es Petrus, et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam
, ut super hunc intellegeretur, quem confessus est Petrus dicens:tu es Christus, filius dei uiui
, ac sic Petrus ab hae petra appellatus personam ecclesiae figuraret, quae super hanc petram aedificatur et accepitclaues regni caelorum
. non enim dictum illi est: tu es petra, sed:tu es Petrus. petra autem erat Christus
, quem confessus Simon, sicut et tota ecclesia confitetur, dictus est Petrus. harum duarum autem sententiarum quae sit probabilior, eligat lector. (GCS
36,97-98)
Dort schreibt er in der kritischen der Revision seines Buches „Gegen den Brief des Häretikers Donatus“:
In ihm habe ich an einer Stelle über den Apostel Petrus gesagt, dass die Kirche auf ihn gleichsam wie auf einen Felsen gegründet wurde. Diese Deutung wird durch den Mund vieler in Versen des seligen Ambrosius besungen, wo er über den Hahn sagt:
hier selbst, der Fels der Kirche
wusch die Schuld beim Krähen ab2Aber ich weiß, dass ich später sehr häufig erklärte, was vom Herrn gesagt worden ist:
Du bist Petrus, und auf diesem Felsen werde ich meine Kirche erbauen
, dass „auf diesen“ verstanden werden soll, was Petrus bekannt hat, indem er sagt:Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes
.
Und daher bildet Petrus, der nach diesem Felsen benannt ist, den Charakter der Kirche ab, die auf diesen Felsen erbaut wurde und empfängtdie Schlüssel des Himmelreichs
. Denn es wurde nicht zu ihm gesagt: du bist der Felsen , sondern:Du bist Petrus. Der Felsen aber war Christus
(1 Kor 10,4), den Simon bekannte, wie auch die ganze Kirche bekennt, er wird [deshalb] Petrus genannt. Welche dieser beiden Bedeutungen aber wahrscheinlicher ist, möge der Leser entscheiden.
Retractationes I,20,2 (GCS 36,97-98)3
Dass der Hymnus des Ambrosius in seiner Aussage über Petrus alles andere als eindeutig ist, hat Brian P. Dunkle aufgezeigt4.
Gregor der Große
Der Papst (um 540-604) kommt in seinen Moralia in Iob auf unsere Stelle zu sprechen, wenn er von der katholischen Kirche sagt:
Sola est in qua superna mysteria ueraciter contemplemur. Vnde et ad Moysen Dominus dicit: Est locus apud me et stabis supra petram. Et paulo post: Tollam manum meam et uidebis posteriora mea. Quia enim ex sola catholica Ecclesia ueritas conspicitur, apud se esse locum Dominus perhibet de quo uideatur. In petra Moyses ponitur, ut Dei speciem contempletur, quia nisi quis fidei soliditatem tenuerit, diuinam praesentiam non agnoscit. De qua soliditate Dominus dicit: Super hanc petram aedificabo Ecclesiam meam. (Mt 16,18) (Moralia in Iob XXXV,8,13, CCSL 143b, S. 1782)
Es ist sie allein, in der wir wahrhaftig die höheren Mysterien betrachten können. Daher sagt der Herr auch zu Mose: Es ist ein Platz bei mir und du wirst dich auf einen Felsen stellen. (Ex 33,21) Und ein wenig später: Ich werde meine Hand wegnehmen und du wirst meinen Rücken sehen (Ex 33,23). Denn weil die Wahrheit allein
aus der katholischen Kirche wahrgenommen werden kann, erwähnt der Herr, dass bei ihm ein Platz ist, von dem aus er geschaut werden kann. Moses wird auf einen Felsen gestellt, damit der Anblick Gottes betrachtet werden kann, weil jemand, der nicht die Festigkeit des Glaubens besitzen sollte, die göttliche Gegenwart nicht erkennt. Von dieser Festigkeit sagt der Herr: Auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen (Mt 16,18) (Moralia in Iob XXXV,8,13, CCSL 143b, S. 1782)
Interessanterweise bezieht auch Gregor diese Aussage nicht auf sein Amt und dessen Ausübung, sondern auf den Glauben der Kirche insgesamt.
Fazit
Die alte Kirche kennt also auch die Deutung, dass der Felsen, auf den Christus seine Kirche baut, nicht die Person des Apostels Petrus, sondern der von Petrus formulierte Glauben der Kirche ist. In diesem Sinn sind nach Origenes alle Petrus, die Jesus als Messias und Sohn Gottes bekennen.
Interessante Zitate der Kirchenväter zu diesem Thema. Das Fazit verwundert eigentlich nicht, da sich das Papstamt so wie wir es heute kennen ja historisch gesehen auch erst über die Jahrhunderte hinweg entwickelt hat. Und in der Alten Kirche war der Bischof von Rom zwar hoch geachtet, aber nicht unbedingt immer (von allen) als höchste (unfehlbare) Instanz des Glaubens angesehen worden. Der katholische Glaube ist tatsächlich nicht immer ganz so einfach (zu begründen) wie manche meinen und m. E. dennoch unfehlbar wahr