Die Worte der Dämonen bei Markus

In Mk 1,23-26 wird die erste Dämonenbannung Jesu in diesem wohl ältesten kanonischen Evangelium beschreiben:

Griechischer Text nach Nestle-Aland 28 Übersetzung Münchener NT
Καὶ εὐθὺς ἦν ἐν τῇ συναγωγῇ αὐτῶν Und sofort war in ihrer Synagoge
ἄνθρωπος ἐν πνεύματι ἀκαθάρτῳ ein Mensch in unreinem Geist
καὶ ἀνέκραξεν λέγων· und aufschrie er, sagend:
τί ἡμῖν καὶ σοί, Ἰησοῦ Ναζαρηνέ; Was uns und dir, Jesus, Nazarener?
ἦλθες ἀπολέσαι ἡμᾶς; Kamst du, uns zu vernichten?
οἶδά σε τίς εἶ, Ich kenne dich, wer du bist,
ὁ ἅγιος τοῦ θεοῦ. der Heilige Gottes.
καὶ ἐπετίμησεν αὐτῷ ὁ Ἰησοῦς λέγων· Und anfuhr ihn Jesus, sagend:
φιμώθητι καὶ ἔξελθε ἐξ αὐτοῦ. Verstumme und komm heraus aus ihm.
καὶ σπαράξαν αὐτὸν τὸ πνεῦμα τὸ ἀκάθαρτον Und zerrend ihn der unreine Geist
καὶ φωνῆσαν φωνῇ μεγάλῃ und schreiend mit lauter Stimme
ἐξῆλθεν ἐξ αὐτοῦ. kam er heraus aus ihm.

Über einen Teil der Antwort des Dämonen habe ich bereits hier geschrieben: ti hēmin kaì soí – wörtlich: was uns und dir? Doch eine weitere Aussage gewinnt durch den Blick in die Lebenswelt Jesu Tiefenschärfe – aber dazu müssen wir die seltsame Welt der griechischen Zauberpapyri betreten. Warum? Weil sich eine der Aussagen des Dämons praktisch wörtlich dort in einem Liebesbindezauber wiederfindet:

Aussage des Markus-Textes Zauberpapyrus VIII
οἶδά σε τίς εἶ, οἶδά σε, Ἑρμῆ, τίς εἶ πόθεν εἶ
Ich kenne dich, wer du bist Ich kenne dich, Hermes, wer du bist
und woher du bist

(Zauberpapyrus VIII, 13; zitiert nach Papyri Graecae Magicae II, Stuttgart ²1974, S. 46; eine ältere Wiedergabe findet sich in Richard Reitzensteins Poimandres, Leipzig 1904, S.20)

Diese Kombination aus „ich kenne dich“ bzw. deine Identität ist in den Zauberpapyri prominent vertreten.

Beispiele aus den griechischen Zauberpapyri

Zauberpapyrus III

In diesem Papyrus findet sich ein Vereinigungsgebet an Helios, den Sonnengott:

ἔπάκουσόν μου ἐν πανττί, ᾧ [ἐπικαλοῦμαι] πράγματι καὶ ποίησον πάντα τὰ τῆς εὐχῆς μ[ου ἐντε]λέστατα, ὅτι οἶδά σου τὰ σημεῖα καὶ τὰ [π]αράσ[ημα καὶ μ]ορφὰς καὶ καθ‘ ὥραν τίς εἶ καὶ τί σου ὄνομα.

In der Übersetzung von Preisendanz:

Erhöre mich bei jeder Handlung, zu der ich [dich anrufe] und erfülle alle meine Bitte aufs vollkommenste; denn ich weiß deine Zeichen und deine Symbole und deine Gestalt und (weiß) zu jeder Stunde sowohl, wer du bist, als auch deinen Namen.

(Papyri Graecae Magicae I; Papyrus III, Kol. XVI, 497-503; Leipzig 1928, S. 52-55)

Ein ähnlicher Abschnitt findet sich dann später in eben diesem Papyrus, dabei handelt es sich diesmal um einen Schattenzauber:

ποίησόν μοι ὑπηρε[τήσε]ιν ν[ῦν τ]ὴν σκιάν μου, ὅτι οἶδά σου τὰ ἅγ[ια] ὀνόμ[ατα κα]ὶ τὰ σημεῖα καὶ τὰ παράσημα καὶ [τίς εἶ καθ‘ ὥρ]αν καὶ τί σοι ὄνομα.

Karl Preisendanz übersetzte:

Mach, daß mir [jetzt] mein Schatten dienen muß; denn ich weiß deine heiligen Namen, Zeichen, Symbole, [wer du zur Stunde bist] und wie dein Name lautet.

(Papyri Graecae Magicae I; Papyrus III, Kol. XIX, 623-625; Leipzig 1928, S. 58-59)

Zauberpapyrus IV

Im großen Zauberpapyrus IV findet sich dieser Abschnitt aus einem Abwehrzauber für die Mondgöttin Seléne (im dritte Textbeispiel wird deutlich, wie der Zauber gedacht war):

τὸ δεῖνα ποιήσεις, κἂν θέλῃς, κἂν μὴ θέλῃς, ὄτι οἶδά σου τὰ φῶτα πρὸς στιγμῆς μέτρον καὶ τῶν καλῶν σοῦ μυσταγωγὸς πραγμάτων ἐπόπτης τ᾽ εἰμὶ καὶ συνίστωρ, παρθένε.

In der Übersetzung von Karl Preisendanz:

Was du mußt, wirst du tun, du magst wollen oder nicht; denn ich kenne deine Lichter bis in den kleinsten Punkt und bin dienender Mystagoge deines schönen Kultus und Mitwisser, Jungfrau!

(Papyri Graecae Magicae I; Papyrus IV, 2250; Leipzig 1928 S. 142 und 143)

Im selben Papyrus findet sich weiter unten diese Passage, die ebenfalls noch zu dem Seléne-Abwehrzauber gehört:

παρθένε· δόλου γέμουσαν καὶ φόβου σωτηρίνην ἦ σ‘ οἶδά, πάντων ὡς μάγων ἀρχηγέτης, Ἑρμῆς ὁ πρέσβυς, Ἴσιδος πατὴρ ἐγώ.

Übersetzung:

Jungfrau: Als Listenvolle und Retterin aus Schrecknis kenne ich dich wohl, ich, als aller Zauberer Stammvater, Hermes, der Altehrwürdige, der Isis Vater.

(2287-2290; S. 142-143 a.a.o.)

Ein drittes Beispiel aus diesem Papyrus, immer noch der gleiche Abwehrzauber:

ἥκεις; ὀργίσθητι, παρθένε, τῷ δεῖνα, ἐχθρῷ τῶν ἐν οὐρανῷ θεῶν, Ἡλίου Ὀσίριδος καὶ συνεύνου Ἴσιδος. οἷον λέγω σοι, εἴσβαλε εἰς τοῦτον κακόν, ὅτι οἶδά σὰ τὰ καλὰ καὶ μεγάλα, Κόρη, ὀνόματα σεμνά.

Übersetzung des Herausgebers:

Bist du da? Ergrimme, Jungfrau, über den N.N., den Feind der himmlischen Götter, des Helios-Osiris und seiner Gattin Isis! Wirf auf ihn ein Unheil, wie ich es dir angebe; denn ich kenne deine schönen und großen und hehren Namen, Kore.

(2340-2344; S. 144-145; a.a.o.)

Bedeutung für die Markusstelle

Für einen antiken Leser ist klar, dass der Dämon in der kurzen Erzählung Mk 1,23-26 gegen den Exorzisten Jesus eine Art Gegenbeschwörung versucht, die allerdings durch das Schweigegebot Jesu wirkungslos bleibt. Noch deutlicher wird das in der Szene Mk 5,1-13 – der Heilung des Besessenen von Gerasa. Hier versucht der Dämon den Exorzisten zu beschwören:

Griechischer Text nach Nestle-Aland 28 Übersetzung Münchener NT
καὶ κράξας φωνῇ μεγάλῃ λέγει· Und schreiend, mit lauter Stimme sagt er:
τί ἐμοὶ καὶ σοί, Ἰησοῦ Was mir und dir, Jesus,
υἱὲ τοῦ θεοῦ τοῦ ὑψίστου; Sohn Gottes, des Höchsten?
ὁρκίζω σε τὸν θεόν, μή με βασανίσῃς. Ich beschwöre dich bei Gott, quäle mich nicht!

Das Verb ὁρκίζω (horkizō) – beschwören – wird bei einem zeitgenössischen Leser eher Assoziationen zu dem Horkrux aus dem Harry Potter Universum hervorrufen, aber in der Antike gehört es in den Bereich der Magie. Hier ein Beispiel für einen Zauber, der einen von ihm beschworenen Gott wieder entfernen will:

ἵλαθί μοι, πραπάτωρ, προγενέστερε, αὐτογένεθλε· ὁρκίζω τὸ πῦρ τὸ φανὲν πρῶτον ἐν ἀβύσσῳ, ὁρκίζω τὴν σὴν δύναμιν, τῆν πᾶσι μεγίστην, ὁρκίζω τὸν φθείροντα μέχρισ Ἄϊδος εἴσω, ἵνα ἀπέλθῃς εἰς τὰ ἴδια πρυμνήσια καὶ μή με βλάψῃς, ἀλλ‘ εὐμενὴς γενοῦ διὰ παντός.

Preisendanz übersetzt das als

Sei mir gnädig, Urvater, früh geborener, aus dir selbst gewordener. Ich beschwöre das Feuer, das zuerst im Abgrund erschien, ich beschwöre deine Macht, die für alle die größte ist, ich beschwöre den, der bis in den Hades hinein vernichtet: geh weg auf dein eigenes Schiff und schade mir nicht, sondern werde mir wohlgesinnt auf immer.

(Papyrus I, 340-347; S. 18-19 a.a.o.)

Auch das Verb βασανίζω (basanízō) – foltern, quälen erscheint in substantivierter Form in den Papyri in diesem Kontext: Es geht um einen Götterzwang zum Erlangen einer Weissagung:

ἐὰν μὴ οὕτως ὑπακούσῃ, ἐνειλήσασ τῷ αὐτῷ ῥάκει τὸ ζῴδιον βάλε εἰς ὑποκαύστραν βαλανείου τῇ πέμ[π]τῃ ἡμέρα, μετὰ τὴν ἐπίκλησιν λέγων· ‚αβρι· και αβρω· εξαντιαβιλ· θεὲ θεῶν, βασιλεῦ βασιλέων, καὶ νῦν μοι ἐλθεῖν ἀνάγκασον φίλον δαίμονα χρησμῳδόν, ἵνα μὴ εἰς χείρονας βασάνους ἔλθω τὰς κατὰ τῶν πιττακίων.‘

Ich passe die Übersetzung von Preisendanz an der entscheidenden Stelle an:

Wenn er so nicht darauf hört, wickle die Figur in den selben Fetzen und wirf sie in die Fußbodenheizung eines Bades am fünften Tag nach der Beirufung, indem du sprichst: ‚Abri und Abro, Exantiabil, Gott der Götter, König der Könige, auch jetzt zwinge einen freundlichen Wahrsagedämon zu mir zu kommen, damit ich nicht zu schlimmeren Qualen (Preisendanz: Strafen) greife, zu denen auf den Blättchen.‘

(Papyrus II, Kol. II, 51-55; S. 24-5 a.a.o.)

Das ergibt für die vorliegende Markusstelle: Auch hier versucht der Dämon eine Gegenbeschwörung – und erreicht dann immerhin durch Bitten, dass er die Gegend nicht verlassen muss und stattdessen in eine Schweineherde fahren darf (Mk 5,10-13). Doch warum fragt Jesus den Dämon in Mk 5,9 nach seinem Namen?

Griechischer Text nach Nestle-Aland 28 Übersetzung Münchener NT
καὶ ἐπηρώτα αὐτόν· τί ὄνομά σοι; Und er befragte ihn: Was (ist) dein Name?
καὶ λέγει αὐτῷ· λεγιὼν ὄνομά μοι, Und er sagt ihm: Legion (ist) mein Name,
ὅτι πολλοί ἐσμεν. weil wir viele sind.

Auch hier findet sich diese Parallele in den magischen Papyri, noch dazu in einer Heilung eines Dämonisch Besessenen:

ὁρκίζω σε τὸν ὀπτανθέντα τῷ Ὀσραὴλ ἐν στύλῳ φωτινῷ καὶ νεφέλῃ ἡμερινῇ καὶ ῥυσάμενον αὐτοῦ τὸν λαὸν ἐκ τοῦ Φαραὼ καὶ ἐπενέγκαντα ἐπὶ Φαραὼ τὴν δεκάπληγον διὰ τὸ παρακούειν αὐτόν. ὁρκίζω σε, πᾶν πνεῦμα δαιμόνιον, λαλῆσαι, ὀποῖον καὶ ἂν ᾖς, ὅτι ὁρκίζω σε κατὰ τῆς σφραγῖδος, ἧς ἔθετο Σολομὼν ἐτὶ τὴν γλῶσσαν τοῦ Ἰηρεμίου, καὶ ἐλάλησεν.

In der Übersetzung von Preisendanz:

Ich beschwöre dich bei dem, der Israel geoffenbart wurde in einer Lichtsäule und einer Wolke bei Tag und sein Volk gerettet hat vor dem Pharao und gebracht hat gegen Pharao die Zehnzahl der Plagen, weil er ihn nicht hörte. Ich beschwöre dich, jedweden dämonischen Geist, dass du sagst, wer immer du auch seist; denn ich beschwöre dich bei dem Siegel, das Salomon auf die Zunge des Ieremias legte: und er redete.

(Papyrus IV, 3032-3038; S. 170-171 a.a.o.)

In diesem Kontext erhält auch das Niederfallen des Besessenen vor Jesus (Mk 5,6) und die anschließende Beschwörung, nicht gequält zu werden,eine mögliche weitere Bedeutung:

ἴσθι δὲ ἀνακείμενος ἐπὶ ψιάθῳ θρυΐνῃ ὑπεστρωμένῃ σοι χαμαί. εἰσελθόντος δὲ τοῦ θεοῦ μὴ ἐναντένιζε τῇ ὄψει, ἀλλὰ τοῖς ποσὶ βλέπε ἅμα δεόμενος, ὡς πρόσδιόρθωσιν βίου μελλόντων σοι λέγεσθαι.

Übersetzung Preisendanz:

Liegen sollst du auf einer Binsenmatte, die du dir auf dem Boden untergebreitet hast. Kommt dann der Gott herein, so blick nicht geradeaus in sein Antlitz hinein, sondern sieh auf seine Füße und sprich zugleich das Gebet wie es vorliegt und danke ihm, dass er dich nicht hochmütig behandelt, sondern daß du gewürdigt wurdest der Belehrung zur günstigen Gestaltung deines Lebens.

Zauberpapyrus XIII, Kol 16; zitiert nach Papyri Graecae Magicae II, Stuttgart ²1974, S. 119; eine ältere Wiedergabe findet sich in Abraxas (1891) S. 185. Der Papyrus selbst bezeichnet sich als „Achtes Buch Mosis“ (Pap. XIII, Kol. IX, 344)

Es scheint fast so, als ob der Dämon Jesus wie eine Gottheit beschwören möchte. Vor dem Hintergrund der Papyri ergibt sich so eine Auseinandersetzung in mehreren Stationen zwischen Jesus und den Dämonen, die sich ‚Legion‘ nennen:

  1. Stufe: Der Besessene und Jesus treffen im heidnischen Gebiet aufeinander (Mk 5,1-6).
  2. Stufe: Jesus befiehlt dem (ihm unbekannten Dämon) den Besessenen Menschen zu verlassen (Mk 5,8).
  3. Stufe: Der Dämon, der Jesus kennt, antwortet mit einer Gegenbeschwörung (Mk 5,7).1
  4. Stufe: Jesus bringt den Dämon dazu, seine Identität preiszugeben (Mk 5,9).
  5. Stufe: Der Dämon bringt Jesus dazu, dass er das Gebiet nicht verlassen zu muss (Mk 5,10+12).
  6. Stufe: Der Dämon fährt in die Schweineherde – Jesus muss das Gebiet verlassen (Mk 5,13-17).
  7. Stufe: An seiner Stelle verkündet der Befreite die frohe Botschaft von Jesus (Mk 5,18-20).

Mit Otto Bauernfeind bleibt so bis heute zu fragen, ob diese Anrede Jesu durch die Dämonen (Sohn Gottes, des Höchsten; der Heilige Gottes) im Sinne eines markinischen Messias-Geheimnisses zu deuten sind? Mir scheint, dass den Adressaten in der markinischen Gemeinde ein solches Verständnis wohl eher fern lag …


  1. Zu dem merkwürdigen Umstand, dass die Reihenfolge der Auseinandersetzung von Markus in der Erzählung vertauscht wird, weil 5,8 erst nach 5,7 folgt, siehe die erhellenden Ausführungen von Otto Bauernfeind: Die Worte der Dämonen im Markusevangelium, Stuttgart 1927 (unveränderter Nachdruck 2009) S. 34-56. Dieser Beitrag verdankt sich inhaltlich vollkommen dieser Vorarbeit aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts.

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