So sagt Jesus in der Bergpredigt zu seinen Schülern und der ganzen Volksmenge (Mt 5,1 + 7,28). Auch wenn diese Aussage aus dem matthäischen Sondergut stammt (daher findet sie sich in der Zehnten Tabelle des Eusebius als Nr. 37), ist sie sehr gut bezeugt. Zunächst einmal die Passage aus der Bergpredigt:
Πάλιν ἠκούσατε ὅτι ἐρρέθη τοῖς ἀρχαίοις· Οὐκ ἐπιορκήσεις, ἀποδώσεις δὲ τῷ κυρίῳ τοὺς ὅρκους σου.
ἐγὼ δὲ λέγω ὑμῖν μὴ ὀμόσαι ὅλως· μήτε ἐν τῷ οὐρανῷ, ὅτι θρόνος ἐστὶν τοῦ θεοῦ·
μήτε ἐν τῇ γῇ, ὅτι ὑποπόδιόν ἐστιν τῶν ποδῶν αὐτοῦ· μήτε εἰς Ἱεροσόλυμα, ὅτι πόλις ἐστὶν τοῦ μεγάλου βασιλέως·
μήτε ἐν τῇ κεφαλῇ σου ὀμόσῃς, ὅτι οὐ δύνασαι μίαν τρίχα λευκὴν ποιῆσαι ἢ μέλαιναν.
ἔστω δὲ ὁ λόγος ὑμῶν ναὶ ναί, οὒ οὔ· τὸ δὲ περισσὸν τούτων ἐκ τοῦ πονηροῦ ἐστιν.
Weiter habt ihr gehört, dass den Alten gesagt wurde: du wirst nicht falsch schwören, du wirst dem Herrn deine Eidschwüre erfüllen.
Ich sage euch also: Überhaupt nicht schwören! Weder beim Himmel, denn er ist Gottes Thron, noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel seiner Füße, noch bei Jerusalem, denn sie ist die Stadt des großen Königs.
Du sollst nicht bei deinem Haupt schwören, denn du kannst nicht ein Haar weiß oder schwarz machen.
Es soll also euer Wort Ja Ja, Nein Nein sein; was darüber hinaus geht, ist vom Bösen. (Mt 5,33-37; MÜ)
Jakobusbrief
Der Jakobusbrief schärft dieses unbedingte Verbot Jesu ebenfalls ein:
Πρὸ πάντων δέ, ἀδελφοί μου, μὴ ὀμνύετε, μήτε τὸν οὐρανὸν μήτε τὴν γῆν μήτε ἄλλον τινὰ ὅρκον· ἤτω δὲ ὑμῶν τὸ Ναὶ ναὶ καὶ τὸ Οὒ οὔ, ἵνα μὴ ὑπὸ κρίσιν πέσητε.
Vor allem also, meine Brüder, schwört nicht! Weder beim Himmel, noch bei der Erde, noch irgend einen anderen Eid. Euer Ja sei ein Ja, und (euer) Nein ein Nein, damit ihr nicht unter ein Gericht fallt. (Jak 5,12 MÜ)
Justin der Märtyrer
Der Kirchenvater (ca. 100 – 165 n. Chr.) bietet folgende Fassung des Schwurverbotes:
Περὶ δὲ τοῦ μὴ ὀμνύναι ὅλως, τἀληϑῆ δὲ λέγειν ἀεί, οὓτως παρεκελεύσατο· Μὴ ὀμόσητε ὅλως· ἔστω δὲ ὑμῶν το ναὶ ναί, καὶ τὸ οὒ οὔ· τὸ δὲ περισσὸν τούτων ἐκ τοῦ πονηροῦ.
»Über das überhaupt nicht schwören, aber immer zuverlässig sprechen hat er geboten: Ihr werdet überhaupt nicht schwören: euer Ja soll ein Ja sein, und das Nein ein Nein. Was darüber hinaus geht – vom Bösen.« (Justin, Apologie I, 16, 5 MÜ)
Auffällig ist, dass Justin eine Mischform des Matthäus- und des Jakobuszitates bietet, entscheidend ist ihm wohl nicht so sehr der Wortlaut, als der Inhalt des Verbotes. Er schreibt kurz nach diesem Abschnitt:
οἳ δ᾽ ἂν μὴ εὑρίσκωνται, ὡς ἐδίδαξε, γνωριζέσθωσαν μὴ ὄντες Χριστιανοί, κἂν λέγωσιν διὰ γλώττης τὰ τοῦ Χριστοῦ διδάγματα· οὐ γὰρ τοὺς μόνον λέγοντας, ἀλλὰ τοὺς καὶ τὰ ἔργα πράττοντας σωθήσεσθαι ἔϕη.
»Die nun aber nicht als so lebend erfunden werden, wie er es gelehrt hat, werden als solche erkannt, die keine Christen sind, selbst wenn sie mit der Zunge von der Lehre Christi sprechen. Denn er erklärte, dass nicht die, die nur reden, sondern die, die die Werke vollbringen, gerettet werden.« (Justin, Apologie I, 16, 8; MÜ)
Pseudo-Clementinische Homilien
Dass dieses Gebot Jesu gerne in einer Art Mischform der Matthäus- und Jakobusstelle überliefert wurde, bezeugen auch die pseudo-clementinischen Homilien (wohl 2. Jh. n. Chr.). Sie bieten folgende Fassung:
῎Εστω ὑμῶν τὸ ναὶ, ναὶ, καὶ τὸ οὔ, οὔ· τὸ δὲ περρισσὸν τούτων ἐκ τοῦ πονηροῦ ἐστίν.
»Es soll euer Ja ein Ja sein, und das Nein ein Nein. Was darüber hinausgeht ist vom Bösen.« (Pseudo-Clementinische Homilie XIX,2; MPG II, 424; MÜ)
Clemens von Alexandria
In seinen Stromata definiert der Kirchenvater (ca. 150 – 215 n. Chr.) zunächst einmal den Eid:
ὅρχος μὲν γάρ ἐστιν ὁμολογία καθοριστικὴ μετὰ προσπαραλήψεως θείας· (…)
Ὀμνύναι γάρ ἐστι τὸ ὅρχον, ἢ ὡς ἂν ὅρχον, ἀπὸ διανοίας προσφέρεσθαι παραστατικῶς.
»Denn der Eid ist ein bekräftigtes Bekenntnis unter zusätzlicher Berufung auf das Göttliche. (…)
Schwören ist, den Eid, oder etwas wie einen Eid, zum Ausdruck des Gedankens darzubringen.«
(Stromata V, 8; MPG IX, 472; MÜ)
Er fügt dann allerdings hinzu, dass der wahre Gnostiker eben diesen Eid nicht benötigt, denn er wird immer die Wahrheit sagen. In diesem Zusammenhang wird auch das jesuanische Ja und Nein zitiert.
Origenes
Der größte und wichtigste Bibellehrer der Alten Kirche (185 – 253/254 n. Chr.) schreibt in seinem Werk De Principiis/Peri Archon, im 4. Buch, das davon handelt, wie man die Schrift verstehen soll:
καὶ πάλιν ἐν τῷ εὐαγγελίῳ ἐντολαί εἰσι γεγραμμέναι οὐ ζητούμεναι, πότερον αὐτὰς κατὰ τὴν λέξιν τηρητέον ἢ οὔ, ὡς ἡ φάσκουσα· “ἐγὼ δὲ λέγω ὑμῖν, ὃς ἐὰν ὀργισθῇ τῷ ἀδελφῷ αὐτοῦ” καὶ τὰ ἑξῆς, καί· “ἐγὼ δὲ λέγω ὑμῖν μὴ ὀμόσαι ὅλως”.
»Weiter sind im Evangelium Gebote aufgeschrieben, bei denen es keine Frage ist, ob sie wörtlich zu bewahren sind oder nicht, wie dieses: Ich sage euch also, wenn jemand seinem Bruder zürnt (vgl. Mt 5,22) usw.; und: Ich sage euch also: Überhaupt nicht schwören! (Mt 5,34).«
(De Principiis IV, 3, 4; MPG XI, 384; MÜ)
Auch für den Meister des mehrfachen Schriftsinnes ist es also keine Frage, dass das Schwurverbot Jesu wörtlich zu befolgen ist.
Johannes Chrysostomos
Der Patriarch (gestorben 407 nach Christus) sagt in seinem Kommentar zum Matthäusevangelium:
»Verliere also den Mut nicht, o Mensch, und laß nicht ab von deinem guten Eifer; es ist ja nicht so schwer, was dir aufgetragen ist. Oder sag mir doch, welche Mühe macht es dir, das Schwören zu lassen? Bringt es dir etwa Unkosten? Oder verursacht es dir viel Schweiß und Mühe? Es genügt ja, einfach zu wollen; damit ist alles getan. Wenn du aber einwendest, es sei so deine Gewohnheit, so sage ich, dass es gerade deswegen um so leichter ist, dich zu bessern; du brauchst ja nur die gegenteilige Gewohnheit anzunehmen und alles ist in Ordnung.« (Siebzehnte Homilie zum Matthäusevangelium, 7; Ü: Joh. Chrysostomus Baur, BKV)
Soweit die frühe griechische Tradition – was wurde daraus in der lateinischen Auslegung?
Eine Schwierigkeit besteht wohl auch darin, was unter »neder« im bekannten Satz איש כי-ידר נדר לה‘ או-השבע שבעה (Num 30,3) zu verstehen ist. Diese Passage wird zumeist mit »Wenn ein Mann dem Herrn ein Gelübde ablegt oder einen Eid schwört, sich eine Enthaltung aufzuerlegen, soll er sein Wort nicht brechen. Ganz so, wie er es ausgesprochen hat, soll er handeln« (Zürcher Bibel) übersetzt. Schwüre sind ein gewichtiges Thema auch in der ganzen rabbinischen Literatur. Wer sich dafür interessiert, dem seien hier nur einige wenige relevante Stellen (alle im babylonischen Talmud) genannt, die ausführlich auf die ganze Problematik eingehen: Gittin 35a, Schebuot 8a, Schabbat 33a, Baba Metzia 36b, Baba Qamma 11b, Sanhedrin 24a, Baba Qamma 106a, Qidduschin 27b, Sota 18b, Schebuot 3b, Schebuot 20b, Schebuot 31a, Joma 74a, Baba Batra 128a etc.