Hier einige wenige Anmerkungen zum Kontext und der Wirkungsgeschichte dieser Erzählung aus dem lukanischen Sondergut:
Die knappe Notiz des Evangelisten lautet nach der Nestle-Aland XXVIII-Ausgabe:
46 καὶ ἐγένετο μετὰ ἡμέρας τρεῖς εὗρον αὐτὸν ἐν τῷ ἱερῷ καθεζόμενον ἐν μέσῳ τῶν διδασκάλων καὶ ἀκούοντα αὐτῶν καὶ ἐπερωτῶντα αὐτούς·
47 ἐξίσταντο δὲ πάντες οἱ ἀκούοντες αὐτοῦ ἐπὶ τῇ συνέσει καὶ ταῖς ἀποκρίσεσιν αὐτοῦ.
„46 Und es geschah, nach drei Tagen fanden sie ihn in dem Tempel, als er inmitten der Lehrer saß und ihnen zuhörte und sie (zurück)fragte. 47 Alle aber staunten, die ihn hörten, über seine Auffassungsgabe und seine Antworten.“ (Lk 2,46-47; MÜ)
Kontext
Zum Kontext dieser Erzählung gehört eine ähnliche Schilderung aus der Vita des Flavius Josephus:
Ὁ πατὴρ δέ μου Ματθίας οὐ διὰ μόνην τὴν εὐγένειαν ἐπίσημος ἦν, ἀλλὰ πλέον διὰ τὴν δικαιοσύνην ἐπῃνεῖτο, γνωριμώτατος ὢν ἐν τῇ μεγίστῃ πόλει τῶν παρ᾽ ἡμῖν τοῖς Ἱεροσολυμίταις. ἐγὼ δὲ συμπαιδευόμενος ἀδελφῷ Ματθίᾳ τοὔνομα, γεγόνει γάρ μοι γνήσιος ἐξ ἀμφοῖν τῶν γονέων, εἰς μεγάλην παιδείας προύκοπτον ἐπίδοσιν μνήμῃ τε καὶ συνέσει δοκῶν διαφέρειν, ἔτι δ᾽ ἀντίπαις ὢν περὶ τεσσαρεσκαιδέκατον ἔτος διὰ τὸ φιλογράμματον ὑπὸ πάντων ἐπῃνούμην συνιόντων ἀεὶ τῶν ἀρχιερέων καὶ τῶν τῆς πόλεως πρώτων ὑπὲρ τοῦ παρ᾽ ἐμοῦ περὶ τῶν νομίμων ἀκριβέστερόν τι γνῶναι. (Flavii Josephi Opera, Vol. IV (Berlin 1890) S. 322)
„Mein Vater Matthias war aber nicht bloss um seines Adels, sondern noch mehr um seiner Gerechtigkeit willen ein hervorragender Mann und deshalb in unserer Hauptstadt Jerusalem allgemein geachtet. Mit meinem leiblichen Bruder Matthias gemeinsam erzogen, eignete ich mir einen hohen Grad von Bildung an, und man glaubte von mir, dass ich die anderen an Gedächtnis und Verstand überträfe. So kam es, dass ich schon als Knabe von etwa vierzehn Jahren meiner Wissbegierde wegen von jedermann gelobt wurde und dass selbst die Hohepriester und Vornehmen der Stadt mich besuchten, um eine besonders gründliche Auslegung des Gesetzes von mir zu erfahren.“ (Vita 2; Ü: Heinrich Clementz)
Natürlich wäre es verfehlt, hier eine literarische Abhängigkeit zu postulieren – aber das Motiv des Hochbegabten, dessen Potenzial sich schon frühzeitig erkennen lässt, ist eben auch ein literarischer Topos der Antike. 1
Auslegungsgeschichte
Die Szene hat zahlreiche bildliche Darstellungen gefunden. Hier ist bemerkenswert, dass die Schilderung des Evangelisten deutlich verändert wurde. Während Jesus bei Lukas inmitten (gr. en mésō) der Lehrer sitzt, Fragen stellt und durch kluge Antworten auffällt, sinken die Lehrer auf den Gemälden zu bloßen Schülern herab. Jesus sitzt erhöht auf einem Lehrstuhl und erklärt ihnen die Schriften Israels.

Nördlich der Alpen wird der antijüdische Charakter dieser Darstellung noch deutlicher. Nicht nur kann Jesus von jüdischen Lehrern gar nichts lernen, sondern diese werden als Menschen karikiert, die unfähig sind, zu begreifen, was ihnen Christus erklärt.

Besonders deutlich wird der Abstand zwischen Jesus und den Lehrern auch in diesem Bild:

Dass diese projektive Vorstellung bis in die Neuzeit wirkmächtig geblieben ist, zeigt dieser Katechismus von 1904:

Dass es auch anders ging, belegen diese Skizzen von Rembrandt (hier und hier). Was einem jüdischen Künstler widerfuhr, als er diese Szene malte, lässt sich hier nachlesen.
Zu den im Artikel angeführten Bildern: