Wenn ein Mann und eine Frau über das Gleiche lachen, ist es trotzdem nicht dasselbe

In Gen 17 und 18 lachen zuerst Abraham und dann Sara, als sie von Gott erfahren, dass sie in ihrem hohen Alter noch einen Sohn bekommen sollen. Von dem Verb צחק (= lachen) wird der Namen des Kindes – nämlich יצחק (Jitzchak – Isaak) abgeleitet. Interessant finde ich, wie unterschiedlich in der traditionellen Bibelauslegung das Lachen des Mannes und das Lachen der Frau über den selben Sachverhalt beurteilt wird.

Raschi

Wie ich hier bereits gezeigt habe, bewertet Raschi das Lachen Saras sehr negativ.

ויפל אבראהם על פניו ויצחק
זה ת״א לשון שמחה וחדי
ושל שרה לשון מחוך
למדת שאברהם האמין ושמח
ושרה לא האמינה ולגלגה

Und Abraham fiel auf sein Angesicht und lachte (Gen 17,17).
Dies ist die Übersetzung von Onkelos – ein Ausdruck von Freude und er freute sich (= aram.).
Und bei Sarah (Gen 18,12) ist es Ausdruck eines unanständigen Lachens.
Du hast gelernt, dass Abraham vertraute und sich freute,
und Sarah nicht vertraute und spottete/höhnte.

Doch mit dieser Bewertung steht die rabbinische Tradition in perfekter Übereinstimmung mit der der Kirchenvätern.

Glossa ordinaria

Die Glossa ordinaria ist die Standard-Ausgabe der Heiligen Schrift für die mittelalterliche Bibelauslegung »in einem charakteristischen graphischen Format. Die Seiten zeigen ein Textfenster mit Vulgatatext (…) und Interlinearglossen, umrahmt von meist lemmatisierten Kommenstarstücken auf den Rändern (Marginalglossen). Beide Glossenarten bieten Worterklärungen, Zitate und Zusammenfassungen von Kirchenvätertexten zur Erklärung v.a. der geistl. Schriftsinne.« 1 Zur Veranschaulichung hier eine Seite der Druckausgabe von 1603, auf die ich mich gleich beziehen werde.

Die Glossa Ordinaria zu Gen 18
Die Glossa Ordinaria zu Gen 18

Fröhlich schreibt in dem eben zitierten Artikel noch, dass sich eine standardisierte Form der Glossa ordinaria ab 1170 vor allem von Paris ausgehend verbreitet haben dürfte; diese Ausgabe der Heiligen Schrift war vierhundert Jahre lang (13. – 16. Jh.) das Unterrichtsbuch zur Bibelauslegung an den Universitäten.

Werfen wir einen Blick in ihre Auslegung von Abrahams Lachen in Gen 17,17.

Zu Gen 17,17

Cecidit Abraham in faciem suam et risit in corde suo. Applaudendo, non disceptando. Unde Paulus Nec consideravit corpus suum emortuum, cum iam esset centum annorum et emortuam vulvam Sara.
Abraham fiel auf sein Gesicht und lachte in seinem Herzen. (Gen 17,17) Beifall klatschend, nicht streitend. Daher [sagt] Paulus: und er betrachtete nicht seinen abgestorbenen Leib, obwohl er schon hundert Jahre alt war und den abgestorbenen Mutterschoß Saras. (Röm 4,19)

Hieronymus:
Cecidit Abraham in faciem suam et risit in corde suo. Post paulum sequitur: Et vocabis nomen eius Isaac qui risus interpretatur de risu Abrahae, non de risu Sarae. Postquam enim ex risu Abrahae vocatus est filius eius Isaac, legitur Saram risisse.
Abraham fiel auf sein Gesicht und lachte in seinem Herzen. (Gen 17,17) Kurz danach folgt: Und du wirst seinen Namen Isaak rufen (Gen 17,19), der als »Lachen« übersetzt wird, [dieser Namen kommt] vom Lachen Abrahams, nicht vom Lachen Saras. Denn erst nachdem wegen Abrahams Lachen sein Sohn Isaak genannt wurde, liest man, dass Sara gelacht hat (vgl. Gen 18,12).

Kommentar von Nikolaus von Lyra:
Cecidit Abraham in faciem: regratiando Deo de tanto beneficio.
Abraham fiel auf das Gesicht: [das bedeutet:] Um Gott für eine so große Wohltat zu danken.

Den nun folgenden Text konnte ich nur mit Hilfe dieser Inkunabel der Glossa ordinaria von 1495 entziffern, da der Scan der Druckausgabe hier unleserlich ist.

Inkunabel der Glossa ordinaria zu Gen 17,17
Inkunabel der Glossa ordinaria zu Gen 17,17

Et risit. Non ex derisione, alioquin fuisset increpatus a deo sicut fuit Sara, ut habetur capitulo sequenti sed risit pro cordis exultatione.
Und er lachte (Gen 17,17) Nicht aus Spott, sonst wäre er – wie Sara – von Gott getadelt worden, wie im folgenden Kapitel steht, sondern er lachte um der Herzensfreude willen.

Zu Gen 18,12

Ubi est Sara uxor tua? Ille respondit: Ecce in tabernaculo est. Quia in ecclesia mulieri non permittitur docere, latet Sara. Quasi, non est mulieris in publicum prodire.
Wo ist Sara, deine Frau? Er antwortete: Siehe, sie ist im Zelt. (Gen 18,9) [Das steht geschrieben,] weil es der Frau in der Kirche nicht erlaubt ist zu lehren, ist Sara verborgen. Gleichfalls kommt es der Frau nicht zu, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen.

Quo auditio, Sara risit post ostium tabernaculi. Hic Sara synagogam significat, quae in umbra sacramentorum se abscondens: Christum venire non credit. Quia nondum fidem adhibuit.
Als sie es hörte, lachte Sara hinter dem Eingang des Zeltes. (Gen 18,10+12) Hier bedeutet Sara die Synagoge, die sich im Schatten der Geheimnisse verbirgt: Sie glaubt nicht, dass Christus kommt. Weil sie den Glauben noch nicht angenommen hat.

Augustinus: Quo audito etc. Arguitur Sara quia risit, et non Abraham, cum similiter riserit, quia illius risus admirationis fuit, huius dubitationis, quod diiudicare potuit qui corda novit. Negat Sara se risisse cum Deum non possit latere, sed forte homines putabat. Abraham vero Deum intelligebat, sed humanitatis officia praebendo, quae tantum infirmae carni necessaria sunt, mirum est, nisi homines prius arbitratus est, sed in quibus Deum loqui intelligeret, quibusdam signis divinae maiestatis apparentibus sicut in hominibus Deum apparuisse saepe scriptura testatur, sed postea angelos fuisse cognoverunt. (Quaestiones in Gen.)

Als sie es hörte (Gen 18,12) Sara ist ein Vorwurf zu machen, weil sie lacht, aber nicht Abraham, obwohl er auf ähnliche Weise lachte, denn sein Lachen geschah aus Bewunderung, ihres aus Zweifel, was der unterscheiden kann, der die Herzen kennt. Sara leugnete, dass sie gelacht hatte, obwohl sie es Gott nicht verbergen konnte, aber sie glaubte vielleicht, dass es Menschen waren [die Abraham besuchten]. Abraham jedoch erkannte Gott, aber er ließ für sich menschliche Dienste anbieten, die nur wegen der Schwäche des Fleisches notwendig sind; es ist erstaunlich, dass er sie nicht zuerst für Menschen hielt, sondern in dem, was gesprochen wurde, Gott erkannte; die Schrift bezeugt häufig, wie bei einigen Erscheinungen Gott mit Anzeichen der göttlichen Majestät durch Menschen erscheint, aber später erkannt wurde, dass es Engel gewesen waren.

Origenes: Ideo Sara latuit, quia in ecclesia mulieri non permittitur docere.
Sara verbarg sich deshalb, weil es der Frau in der Kirche nicht gestattet ist, zu lehren. 2

In den Fußnoten:

Gregor der Große: Voluptati operam dabo etc. Cura carnis, cum saepe dicitur, ut de femine (sic!) praesumat, et totam se in divinae spei fiduciam transferat descipit (sic!), et cessante studio adesse sibi vitae subsidia diffidit. Unde Sara promissiones Dei audiens ridet, sed ridens corripitur, correpta protinus foecundatur, et quae in iuventute vigens foecundari non potuit, annis fracta senilibus concepit, quia cum cura carnis sui confidentiam habere desistit, contra spem ex divina promissione accipit, quod habituram se ex humana ratione dubitavit. Unde bene qui generatur risus dicitur, quia dum supernae spei fiduciam concipit, quid mens nostra aliud quam gaudium parit? (Moralia in Job, IX)

Ich werde mich der Mühe um die Wollust unterziehen (Gen 18,12 Vulgata) Wie häufig gesagt wird, wird die Sorge um das Fleisch von einer Frau eher angenommen; sie täuscht sich, damit sie ganz in das Vertrauen auf die göttliche Hoffnung verwandelt wird, und da ihr Eifer nachlässt, hat sie kein Vertrauen mehr, dass es für sie Hilfe im Leben gibt. Daher lacht Sara, als sie die Versprechungen Gottes hört. Als Lachende wird sie getadelt, die Getadelte wird sofort schwanger, und die, die in ihrer Jugend blühte, konnte nicht schwanger werden, gebeugt durch die Jahre des Greisenalters [jedoch] empfängt sie. Denn als die Sorge um das Fleisch ihr Selbstvertrauen zum Erliegen brachte, erhielt sie gegen alle Hoffnung durch ein göttliches Versprechen, was sie aus Gründen menschlicher Vernunft bezweifeln musste. Daher wird zu Recht der, der gezeugt wurde »Lachen« genannt, denn was gebiert unser Geist anderes als Freude, wenn er Vertrauen auf die Hoffnung von oben erhält?

Kommentar des Nikolaus von Lyra: Quo audi etc. Reputans illud actum frivolum, et causa subditur.
Als (Sara) hörte usw. Dies ist als wertlose Handlung aufzufassen und wird als Ausrede vorgeschoben.
Moralische Anwendung: Et habebit filium Sara. Per hoc ostenditur, quod praedicatores non debent suis hospitibus dicere frivola, sed aedificatoria, ex quibus Sara, per quam ratio significatur, ut dictum est supra, concipiat dicitur et pariat opus bonum.
Und Sara wird einen Sohn haben (Gen 18,10). Dadurch wird angezeigt, dass die Prediger ihren Zuhörern nichts Wertloses sagen sollen, sondern etwas Aufbauendes, wodurch Sara, durch die die Vernunft bezeichnet wird, wie weiter oben gesagt wurde, empfangen und ein gutes Werk gebären soll.

Zusammenfassung

In ihrer Frauenfeindlichkeit stehen sich beide angeführten Auslegungstraditionen in nichts nach. Beide stützen sich dabei auf Überlieferungen, die bis in die Antike zurückreichen. Ich fürchte, dass die Wirksamkeit dieses Motivs bis heute anhält …

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  1. Karlfried Froehlich in: RGG⁴ S. 1012
  2. Das ist eine Zusammenfassung der Ausführungen des Origenes in der Vierten Homilie zum Buch Genesis.

Ein Gedanke zu „Wenn ein Mann und eine Frau über das Gleiche lachen, ist es trotzdem nicht dasselbe“

  1. Danke für diese erhellende Zusammenstellung.
    Meine Interpretation wäre ja eher, dass Sara im Zelt „still in sich hinein“ lacht (Gen 18,12), während Abraham so heftig lacht, dass er sich vor Lachen nicht mehr auf den Füßen halten kann.
    Aber ich habe schon einige Predigten zu diesem Thema gehört, und sie kamen alle zu dem Schluss, dass Abraham ein ehrbarer Erzvater war, Sara dagegen eine ungläubige Frau.
    Besonders nett finde ich die Bemerkung Origines‘, dass Sara schon in grauer Vorzeit wusste, was die Kirche dereinst erlauben bzw. verbieten würde.

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