Über das Knien beim Sonntagsgottesdienst

Seit meiner Kindheit im Rheinland bin ich es gewohnt, während des Hochgebetes von der Epiklese bis zum Herrengebet zu knien. Hier in Wien ist eine mildere Variante üblich – während der Wandlung wird gekniet, nach der Volksakklamation setzen sich alle nieder. Beides wäre in der Alten Kirche am Sonntag nicht nur undenkbar gewesen, es war sogar ausdrücklich verboten.

Basilius der Große

Das hängt ursächlich mit der symbolischen Bedeutung des Kniens bzw. Stehens zusammen. Basilius der Große (um 330 – 379), einer der drei Kappadozier und Bischof von Caesarea, schrieb 374-375 sein Buch »Über den Heiligen Geist«. Dort heißt es:

Καὶ καϑ᾽ ἑκάστην δὲ γονυκλισίαν καὶ διανάστασιν, ἔργῳ δείκνυμεν, ὅτι διὰ τῆς ἀμαρτίας εἰς γῆν κατερρύημεν, καὶ διὰ τῆς φιλανϑρωπίας τοῦ κτίσαντος ἡμᾶς εἰς οὐρανὸν ἀνεκλήϑημεν. (Περί του Αγίου Πνεύματος, 66)

»Und durch jedes Beugen der Knie und (jedes) Aufstehen zeigen wir mit der Ausführung an, dass wir durch die Sünde zur Erde niederstürzten, und durch die Menschenfreundlichkeit dessen, der uns schuf, in den Himmel zurückgerufen wurden.« (MPG XXXII, 192; MÜ)

Im gleichen Werk kommt Basilius auf nicht in der Schrift überlieferte, und trotzdem von der Kirche hochgehaltene Traditionen zu sprechen, unter anderem listet er hier das Kreuzzeichen, die Herabrufung des Geistes auf die eucharistischen Gaben und die Segnung des Taufwassers auf. Außerdem bezeugt er folgende Regel:

Ὀρϑοὶ μὲν πληροῦμεν τὰς εὐχὰς ἐν τῇ μιᾷ τοῦ σαββάτου· τὸν δὲ λόγον οὐ πάντες οἴδαμεν. (Περί του Αγίου Πνεύματος, 66)

»Aufrecht vollbringen wir die Gebete am ersten (Tag) der Woche: aber den Grund wissen wir nicht alle.« (MPG XXXII, 192; MÜ)

Diese Tradition, am Sonntag nicht zu knien, setzt Basilius also bereits voraus, ihre Erklärung ebenfalls.

Irenäus von Lyon

Im zweiten Band seiner Irenäus-Ausgabe bringt Wigan Harvey Fragmente aus verloren gegangen Werken des Kirchenvaters (seit 178 Bischof von Lyon). Darunter befindet sich diese Passage aus dem fälschlicherweise Justin dem Märtyrer zugeschriebenen Werk »Quaestiones et responsiones ad orthodoxos«, das nach Claus Peter Vetten von Theodoret von Cyrus (um 393 – etwa 466) stammt. 1

Το δὲ ἐν κυριακῇ μῆ κλίνειν γόνυ, σύμβολόν ἐστι τῆς ἀναστάσεως, δι᾽ ἧς τῇ τοῦ Χριστοῦ χάριτι, τῶν τε ἁμαρτημάτῶν, καὶ τοῦ ἐπ᾽ αὐτῶν τεθανατωμένου θανάτου ἠλευθερῶθημεν. Ἐκ τῶν ἀποστολικῶν δὲ χρόνων ἡ τοιαύτη συνήθεια ἔλαβε τὴν ἀρχὴν, καθώς ϕησιν ὁ μακάριος Εὶρηναῖος, ὁ μάρτυρ καὶ ἐπίσκοπος Λουγδούνου, ἐν τῷ περὶ τοῦ Πάσχα λόγῳ, ἐν ᾧ μέμνηται καὶ περὶ τῆς Πεντηκοστῆς. ἐν ᾗ οὐ κλίνομεν γόνυ, ἐπειδὴ ἰσοδυναμεῖ τῇ ἡμέρᾳ τῆς κυριακῆς, κατὰ τὴν ῥηθεῖσαν περὶ αὐτῆς αἰτίαν. (Harvey II, 478-479)

»Dass das Knie am Herrentag nicht gebeugt wird, ist ein Symbol der Auferstehung, mit der wir durch die Gnade Christi von den Sünden und von dem durch sie tödlichen Tod befreit worden sind. Diese Gewohnheit beginnt aber in apostolischer Zeit, so wie der selige Irenäus, der Märtyrer und Bischof von Lugdunum (=Lyon) in der Schrift „Über das Pascha“ erklärt, in der er auch die fünfzig Tage (von Ostern bis Pfingsten) erwähnt. An ihnen beugen wir nicht das Knie, weil sie ja dem Tag des Herrentages gleichwertig sind, gemäß dem, was über seine Ursache gesagt worden ist.« (Quaestiones et responsiones ad orthodoxos 115; MÜ)

Wigan Harvey hält das Fragment für authentisch, auch wenn es vielleicht nicht die ipsissima verba des Irenäus bewahrt habe.

Konzil von Niceä

Die Väter des ersten ökumenischen Konzils (325) erließen 20 Kanones, 2 der letzte von ihnen äußert sich zu unserem Thema, indem er das Knien am Sonntag und in der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten verbietet:

Ἐπειδή τινές εἰσιν ἐν τῇ κυριακῇ γόνυ κλίνοντες καὶ ἐν ταῖς τῆς πεντηκοστῆς ἡμέραις· ὑπὲρ τοῦ πάντα ἐν πάσῃ παροικίᾳ [ὁμοίως] 3 φυλάττεσϑαι, ἑστῶτας ἔδοξε τῄ ἁγίᾳ συνόδῳ τὰς εὐχὰς ἀποδιδόναι τῷ ϑεῷ. (Hefele, Conciliengeschichte I, 430)

»Weil es ja einige sind, die am Herrentag und in den Tagen der Pentekoste [=die fünfzig Tage von Ostern bis Pfingsten OA] das Knie beugen: um der [gleichen] Befolgung durch alle in jeder Diözese willen, beschloss die Heilige Synode, Gott die Gebete stehend darzubringen.« (MÜ)

Wie sieht es mit der Einhaltung dieses Kanons – der sich bezeichnenderweise nicht im Denzinger-Hünermann findet – im lateinischen Westen aus?

Tertullian

Der nordafrikanische Kirchenvater (gestorben um 220) schreibt in seinem Werk »De corona militis« einen Abschnitt, der deutliche Parallelen zu dem späteren Werk des Basilius aufweist. Auch hier geht es um mündliche Überlieferungen, die nicht der Schrift entnommen, aber trotzdem zu halten sind.

Die dominico ieiunium nefas ducimus, uel de geniculis adorare. Eadem immunitate a die Paschae in Pentecosten usque gaudemus.

»Am Herrentag halten wir das Fasten oder das Beten auf Knien für einen Frevel. Ab dem Tag des Pascha erfreuen wir uns fünzig Tage lang der gleichen Begünstigung.« (De corona militis 3; MÜ)

Decretum Gratiani

Der wohl wirkmächtigste Text für das Leben der Kirche in lateinischer Sprache stammt aus dem kanonischen Recht. Hier findet sich der Kanon XX des Konzils von Nicäa in lateinischer Übersetzung wiedergegeben, in dieser Ausgabe in Decreti Tertia Pars, De consecratione, Distinctio III, Cap. X.

Aus dem Decretum Gratiani, Ausgabe 1661
Aus dem Decretum Gratiani, Ausgabe 1661

Was seine Wirkungsgeschichte angeht: es handelt sich offensichtlich um genau so totes Recht wie die Bestimmungen des Konzils von Chalcedon zur Weihe von Diakoninnen.

Ganz anders dagegen erging es den basilianischen Aussagen über den Wert der nichtbiblischen Traditionen in der Kirche. Sie finden sich in Decreti Prima Pars, Distinctio XI, Cap. V wieder. Die Herausgeber zitieren den Text und weisen die Ansicht zurück, er stamme von Augustinus. Sie machen sich sogar die Mühe, den griechischen Text aus Περί του Αγίου Πνεύματος zu zitieren. 4 Auf dem Konzil von Trient sollte dieser Passus dann eine wichtige Rolle spielen. 5

 

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  1. Lexikon der antiken christlichen Literatur, hg. v. Siegmar Döpp und Wilhelm Geerlings, S. 366. Aus diesem Werk stammen auch die Lebensdaten Theodorets.
  2. Kanon 19 habe ich hier behandelt.
  3. Ergänzt nach der Wiedergabe des Kanons auf patristica.net
  4. In dieser Ausgabe des Decretum Gratiani von 1661, die einmal dem ersten Vize-Präsidenten und zweiten Präsidenten der USA, John Adams (1735-1826), gehörte, findet sich der Abschnitt auf S. 21 ff.
  5. Vgl. Johannes Beumer: Der Begriff der „traditiones“ auf dem Trienter Konzil im Lichte der mittelalterlichen Kanonistik; Scholastik 3/1960, S. 342 ff.

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