Jesus Barrabas?

In seinem durchgehend nur in lateinischer Übersetzung erhalten gebliebenen Kommentar zum Matthäus-Evangelium überliefert Origenes eine bemerkenswerte Lesart aus der Passionserzählung: Pilatus will die Menge eine Wahl zwischen Jesus Barrabas und Jesus dem Messias treffen lassen.

Hier die lateinische Fassung des Textes, der Origenes griechisch vorlag: 1 Habebant autem tunc vinctum insignem, qui dicebatur Barabbas. congregatis ergo eis dixit eis Pilatus: quem vultis dimittam vobis, Iesum Barabbam, aut Iesum qui dicitur Christus? sciebat enim quod per invidiam tradiderunt eum (27, 16-18)

»Sie hatten damals aber einen bekannten Gefangenen, der Barabbas genannt wurde. Nachdem sie sich versammelt hatten, sagte Pilatus zu ihnen: wen wollt ihr, soll ich euch freilassen: Jesus Barabbas oder Jesus, der der Christus genannt wird? Denn er wußte, dass sie ihn aus Neid ausgeliefert hatten.« (MÜ)

Ein anonymes Exzerpt im Scholienkommentar des »Petrus von Laodicea« zum Matthäus-Kommentar des Origenes bewahrt folgende Ausführung des großen Alexandriners zu dieser Lesart in der ursprünglichen griechischen Sprache: 2

παλαιοῖς δὲ πάνυ ἀντιγράφοις ἐντυχὼν εὗρον καὶ αὐτὸν τὸν Βαραββᾶν Ἰησοῦν λεγόμενον. οὕτως γοῦν εἶχεν ἡ τοῦ Πιλάτου πεῦσις ἐκει· “τίνα ϑέλετε τῶν δύο ἀπολύσω ὑμιν, Ἰησοῦν τὸν Βαραββᾶν ἢ Ἰσοῦν τὸν λεγόμενον Χριστόν;”

»In ganz alten Abschriften begegnet einem, dass man diesen Barrabas auch Jesus genannt findet. Jedenfalls liest man dort auf diese Weise die Frage des Pilatus: ‚Wen wollt ihr, soll ich euch freilassen von den zwei, Jesus den Barrabas oder Jesus, der Christus genannt wird?’« (MÜ)

Die lateinische Fassung fährt fort:
In multis exemplaribus non continetur quod Barabbas etiam Iesus dicebatur, et forsitan recte, ut ne nomen lesu conveniat alicui iniquorum.

»Es ist nicht in vielen Abschriften enthalten, dass Barabbas auch Jesus genannt wird, und wohl zu Recht, weil der Namen Jesu nicht zu einem Übeltäter passt.« (MÜ)

In tanta enim multitudine scripturarum neminem scimus lesum peccatorem, sicut in aliis nominibus invenimus iustorum ut eiusdem nominis inveniantur esse etiam iniqui, ut puta Iudas apostolus zelotes et Iudas patriarcha item et Machabaeus Iudas omnes laudabiles, sed et ludas proditor;

»Denn wir kennen in einer so großen Menge von Schriften keinen Sünder Jesus, so wie wir von anderen Namen der Gerechten finden, dass deren Namen auch als Übeltätern gehörend erscheint, wie zum Beispiel Judas, der Apostel (und) Zelot und der Patriarch Juda, ebenso auch Judas der Makkabäer alle rühmeswert (sind), aber auch Judas (ein) Verräter (ist).« (MÜ)

Lectio difficilior

Die erkennbare Schwierigkeit des Origenes mit der Lesart »Jesus Barrabas« ist ein Argument für ihre Ursprünglichkeit. Wie sieht es mit den Handschriften aus?

Mt 27,16:
»Jesus Barrabas« wird in der aktuellen Ausgabe XXVIII des Nestle-Aland in [eckigen Klammern] geführt. Die großen Zeugen (Codex Sinaiticus, Alexandrinus, Bezae Cantabrigiensis) haben nur Barrabas, den Doppelnamen führen der Codex Coridethianus (eine Evangelienhandschrift aus dem 9. Jh.), die Minuskelfamilie f1 (12./13. Jh.), eine heute in London aufbewahrte Minuskel aus dem 11. Jh. (Egerton 2610), der Sinai Syrer (ein Palimpsest aus dem 4./5. Jh., mit dem Text in syrischer Übersetzung) und eben Origenes. Das sind alles keine erstklassigen Zeugen, aber sie sind auch nicht zu vernachlässigen.

Mt 27,17:
»Jesus Barrabas« haben nur die bereits erwähnten Codex Coridethianus und die Londoner Minuskel, sowie wiederum Origenes. Die beste Erklärung scheint zu sein, dass die Lesart »Jesus Barrabas« die ursprüngliche war, dann aber aus frommen Bedenken gestrichen wurde.

Auslegung

Was beabsichtigte Matthäus mit dieser eigenartigen Doppelung? Eine überzeugende Spur hat meiner Meinung nach Daniel Stökl ben Ezra gelegt, der bei einem genauen Vergleich mit der Markusvorlage des Matthäus zu dem Schluß kommt, der Evangelist habe das Motiv der beiden Böcke aus dem Jom Kippur Kapitel Lev 16 eingespielt. »Wer dem nicht zustimmt, soll eine bessere Erklärung dafür vorbringen, warum Matthäus beide Figuren so ähnlich gezeichnet hat, bis dahin, Barabbas den Vornamen Jesu beizulegen.« 3

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  1. Zitiert nach GCS XXXVIII, S. 255
  2. ebenda. Die vollständige Fassung findet sich in der Ausgabe von Heinrici, S. 323.; vgl. auch »Texte und Untersuchungen zur Geschichte der Altchristlichen Literatur«, XLII, S. 338-339;
  3. Bibel und Kirche 2/2014, S. 107. Daniel Stökl hat seine Beobachtungen nochmals in Bibel und Liturgie 1/2015 S. 7-16 vertieft.

Ein Gedanke zu „Jesus Barrabas?“

  1. Hallo, ich bin keine Theologin oder sowas. Ich weiß auch nicht, ob Jemand schon mal die gleiche Interpretation hatte wie ich, aber auch ich habe mir darüber Gedanken gemacht.

    Das ich meine Interpretation des Namens „Jesus Barabbas“
    Jesus Barabbas ist stellvertretend für uns Menschen, den er heißt nicht nur Jesus mit Vorname, sondern heißt mit Nachname „Sohn des Vaters“. Zufall? Finde ich nicht.
    Warum heißt ein berücksichtigter Mörder und verabscheu würdiger Mensch „Sohn des Vaters“ und nicht „Unwürdig“ , „Böse“ , „schlecht“ oder „verworfen“? Warum wird im entscheidendsten Moment des Lebens Jesu eine so wichtige Sache erwähnt? Man hätte seine Name auch nicht unbedingt sagen müssen, sondern nur irgendein Verbrecher. Warum trägt ein sogenannter Gegner Jesu einen würdevollen Namen?

    Weil die Befreiung Barabbas den Tod von Jesus von Nazareth bedeutete. Wenn wir die Geschichte von Jesus von Nazareth und Barabbas verfolgen, denken wir: „was für eine Ungerechtigkeit!“ und sind empört. Jesus, das perfekte Lamm, hat die Stelle von Barabbas der Mörder genommen, damit er lebt. Jesus musste sterben, damit der „Sohn des Vaters“ frei wird. Barabbas ist nicht verdammt, sondern ist begnadigt. Er ist „Sohn des Vaters“, obwohl es schlimme Dinge getan hat. Woran erinnert uns das? An uns alle, für die Jesus gestorben ist. Wir sind alle „Barabbas“ Kinder des Vater, für die es sich gelohnt hat zu sterben. Er verdammt uns nicht, er verwirft uns nicht, er nennt uns seine Kinder und befreit uns. Gott nimm uns an wie wir sind. Wie Barabbas, der nicht perfekt war, um befreit zu werden, erwartet Gott nicht, dass wir perfekt werden, damit er uns errettet. Er errettet uns, weil wir nicht perfekt sind. Wären wir perfekt, bräuchten wir keine Errettung.
    „Jesus Sohn des Vater“(Barabbas) hat Gnade von Gott erfahren. Es liegt an ihn, ob er es annimmt oder nicht.

    Warum hießt auch er mit Vorname „Jesus“ wie der Retter?
    In Jesus sind wir eine neue Kreatur. Wir werden ihn ähnlicher, je mehr wir uns aufgeben. Am Ende, werden wir mit Jesus eine und dieselbe Person sein, wir werden verschmelzen. Er will jetzt schon, dass wir uns aufgeben, damit er in uns wachsen kann. Der Herr sieht uns durch Jesus, das perfekte Opfer. Wenn wir ihn annehmen, werden wir durch ihn vollkommen, denn er gibt uns seinen Name.

    Jesus Barabbas ist ein Sinnbild für befreite Menschen in Christus, die söhne des Vaters sind und Jesus immer ähnlicher werden, obwohl sie es nicht verdient haben.

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