Was brennt im Fegefeuer?

Eine in vielen künstlerischen Darstellungen präsente Jenseits-Vorstellung betrifft das Fegefeuer, das lateinisch als purgatorium – Reinigungsort – bezeichnet wird. Was da eigentlich genau brennt ist eine Frage, die schon in der alten Kirche diskutiert wurde, mit einem – wie ich finde – erstaunlich modern klingenden Diskussionsbeitrag aus Alexandria.

Purgatorium; Quelle: wikimedia commons
Purgatorium; Quelle: wikimedia commons

Hier zunächst eine Darstellung des purgatoriums aus dem Waldburg-Gebetbuch von 1486. Die folgende Erklärung zu diesem Bild ist allerdings über tausend Jahre älter. Sie stammt aus dem grundlegenden Werk »De principiis« des Origenes (um 185 – 253), und ist so in der lateinischen Übersetzung des Rufin von Aquileia (um 345 – 411/412) auf uns gekommen.

Origenes

4. Si ergo ita se habet qualitas eius corporis, quod resurget a mortuis, videamus nunc quid sibi velit >ignis aeterni< comminatio. 1 Invenimus namque in Esaia propheta designari uniuscuiusque proprium esse >ignem< quo punitur; ait enim: »Ambulate in lumine ignis vestri et in flamma, quam accendistis vobismet ipsis«. Per quos sermones hoc videtur indicari, quod unusquisque peccatorum >flammam< sibi ipse proprii >ignis< >accendat<, et non in aliquem ignem, qui antea iam fuerit accensus ab alio vel ante ipsum substiterit, demergatur. Cuius ignis esca atque materia sunt nostra peccata, quae ab apostolo Paulo >ligna et faenum et stipula< nominantur. Et arbitror quod sicut in corpore escae abundantia et qualitas vel quantitas cibi contraria febres generat, et febres diversi vel modi vel temporis secundum eam mensuram, qua intemperies collecta materiam suggesserit ac fomitem febrium (quae materiae qualitas, ex diversa intemperie congregata, causa vel acerbioris morbi vel prolixioris existit): ita anima cum multitudinem malorum operum et abundantiam in se congregaverit peccatorum, conpetenti tempore omnis illa malorum congregatio effervescit ad supplicium atque inflammatur ad poenas; cum etiam mens ipsa vel conscientia per divinam virtutem omnia in memoriam recipiens, quorum in semet ipsa signa quaedam ac formas, cum peccaret, expresserat, et singulorum, quae vel foede ac turpiter gesserat vel etiam impie commiserat, historiam quandam scelerum suorum ante oculos videbit expositam: tunc et ipsa conscientia propriis stimulis agitatur atque conpungitur et sui ipsa efficitur accusatrix et testis. Quod ita sensisse etiam Paulum apostolum puto cum dicit: »Inter se invicem cogitationibus accusantibus aut etiam defendentibus in die, quo iudicabit deus occulta hominum secundum evangelium meum per lesum Christum«. Ex quo intellegitur quod circa ipsam animae substantiam tormenta quaedam ex ipsis peccatorum noxiis affectibus generantur. (CGS XXII; Origens Werke V, 177 f.)

»4. Wenn das also die Beschaffenheit des Körpers ist, der von den Toten aufersteht, wollen wir nun sehen, was die Drohung des >ewigen Feuers< (besagen) will. 1 Denn wir finden beim Propheten Jesaja angegeben, dass es das eigene >Feuer< jedes einzelnen ist, womit er bestraft wird, denn er sagt: Geht im Licht eures Feuers und in der Flamme, die ihr euch selbst entzündet habt. (Jes 50,11) Durch diese Worte scheint dies angedeutet zu werden, dass jeder einzelne der Sünder sich selbst die >Flamme< seines eigenen >Feuers< entzündet, und nicht in irgendein Feuer gesteckt wird, das schon früher von einem anderen entzündet wurde oder vor seiner Person existierte. Nahrung und Materie dieses Feuers sind unsere Sünden, die vom Apostel Paulus Hölzer, Heu und Stoppeln ( vgl. 1 Kor 3,12) genannt werden. Und ich nehme an, dass so wie im Körper ein Überfluss von Nahrung oder die Qualität oder auch die Menge der Speise als Reaktion Fieberanfälle erzeugt, und zwar unterschiedliche Fieberanfälle sowohl der Art als auch des Zeitraums, in dem Maß, wie das aufgenommene Übermaß die Materie, ja sogar den Zündstoff der Fieberanfälle liefert (die Qualität dieser Materie, die sich durch verschiedene Arten der Zügellosigkeit vereinigt, ist die Ursache, dass die Krankheit schmerzlicher oder günstiger verläuft); so entbrennt die Seele, weil sie die Menge der bösen Werke und den Überfluss der Sünden in sich vereinigt, entsprechend der Zeit dieser ganzen Vereinigung der bösen (Werke) zur Bestrafung oder wird vielmehr zur Busse entzündet. Dadurch, dass der Geist oder das Gewissen durch göttliche Wirkkraft alle (Werke) im Gedächtnis aufnimmt, deren Merkmale und Arten gewissermaßen in ihm selbst abgebildet werden, wenn er sündigte, wird er deren Einzelheiten, die er entweder abstoßend oder schändlich beging oder auch treulos verübte, gleichsam als offen zugängliche Geschichte seiner Verbrechen vor Augen sehen. Dann wird auch das Gewissen selbst durch die eigenen Stacheln verfolgt und gestochen und es wird zu seinem eigenen Ankläger und Zeugen gemacht. Ich meine, dass es auch der Apostel Paulus so verstanden hat, wenn er sagt: durch sich untereinander anklagende oder auch verteidigende Gedanken an dem Tag, an dem Gott die Geheimnisse der Menschen gemäß meinem Evangelium durch Jesus Christus richten wird (Röm 2,15-16). Dadurch erkennt man, dass es hinsichtlich des Wesens der Seele Qualen gibt, die gewissermaßen aus ihr selbst durch die Leidenschaften der strafbaren Sünden hervorgebracht werden.«
(De principiis, II,10,4; MÜ)

Dass Origenes hier eine Position vertrat, die in Alexandria verbreitet war, zeigt diese Aussage des Clemens von Alexandria (um 140/150 – 220):

Clemens von Alexandria

φαμὲν δ᾽ ἡμεῖς ἁγιάζειν τὸ πῦρ, οὐ τὰ κρέα, ἀλλὰ τὰς ἁμαρτωλοὺς ψυχὰς, πῦρ οὐ τὸ παμφάγον καὶ βάναυσον, ἀλλἀ τὸ φρόνιμον λέγοντες, διικνούμενον διὰ ψυχῆς τῆς διερχομένης τὸ πῦρ. (Stromateis, VII,6,34)

»Wir meinen aber, dass das Feuer nicht das Fleisch, sondern die sündhaften Seelen heiligt, nicht das alles verzehrende und alltägliche Feuer, sondern das, das weise genannt wird, indem es die Seele durchdringt 3, die durch das Feuer hindurchgeht«. (MÜ)

Hieronymus

Hieronymus (um 347 – 419), der auf der einen Seite Origenes fast alles verdankt, was er zu biblischen Themen zu sagen hatte, scheute sich auf der anderen Seite nicht, den längst Verstorbenen als Ketzer zu diffamieren. Wohl auch aus Gründen der literarischen Konkurrenz zerbrach über diesen seinen Umgang mit Origenes seine Freundschaft mit Rufin von Aquileia. In seiner Apologia adversus libros Rufini spricht er den nunmehrigen Gegner direkt zu diesem Thema an:

Ignes autem aeternos, quos intelligere soleat Origenes, puto quod te non fugiat, conscientiam videlicet peccatorum et poenitudinem interna cordis urentem. (Apologia adversus libros Rufini, II,7 zitiert nach CGS XXII, Origenes – Werke V, Fußnote)

»Ich meine auch, dass es Dir nicht entgangen sein dürfte, dass es Origenes offensichtlich gewohnt war, die ewigen Feuer als das Gewissen der Sünder und die brennende innere Reue des Herzens aufzufassen«. (MÜ)

Hinter dieser Aussage steht der Vorwurf, dass Rufin häretische Passagen des Origenes einfach auslasse oder sie so »übersetzte«, dass sie einen orthodoxen Sinn ergeben. Für Hieronymus war das von Origenes vertretene Verständnis des »Fegfeuers« häretisch. Das geht aus seinem Brief 124 an Avitus hervor, den er wohl 409 oder 410 geschrieben hat. In ihm schildert er das seltsame Schicksal, das angeblich seiner Übersetzung von De pricipiis widerfahren sei und listet dann die schlimmsten Irrlehren des Origenes in besagtem Werk auf. In dieser Aufzählung kommt er auch zu folgendem Punkt:

7. Ignem quoque gehennae et tormenta, quae scriptura sancta peccatoribus comminatur, non ponit in suppliciis, sed in conscientia peccatorum, quando dei uirtute et potentia omnis memoria delictorum ante oculos nostros ponitur et ueluti ex quibusdam seminibus in anima derelictis uniuersa uitiorum seges exoritur et, quidquid feceramus in uita uel turpe uel inpium, omnis eorum in conspectu nostro pictura describitur ac praeteritas uoluptates mens intuens conscientiae punitur ardore et paenitudinis stimulis confoditur. (CSEL LVI, 104)

»Auch das Feuer der Hölle und die Qualen, die die Heilige Schrift den Sündern androht, erklärt er nicht als Strafen, sondern mit dem Gewissen der Sünder, weil uns durch die Wirkkraft und die Macht Gottes sowohl die ganze Erinnerung der Vergehen vor unsere Augen geführt wird, als auch gleichsam durch eine Art von Samenkörnern, die in der Seele zurückgelassen wurden, das gesamte Saatfeld der Laster sprießt. Was wir auch immer im Leben getan haben, sowohl schändliches als auch treuloses, deren Bild wird vor unseren Augen eingezeichnet und der Geist, der die vergangenen Lüste betrachtet, wird durch die brennende Hitze des Gewissens bestraft und durch die Stacheln der Reue durchbohrt.« (Aus Brief 124,7 an Avitus; MÜ)

Und heute?

Es mag überraschen, aber in the long run hat sich die Sicht des Origenes durchgesetzt. Unter Papst Johannes Paul II. veröffentlichte die Glaubenskongregation am 17. Mai 1979 ein Schreiben an alle Bischöfe 4, in dem es heißt:

Cum autem agitur de hominis condicione post mortem, peculiari modo cavendum est a repraesentationibus, quae mentis fictione et arbitrio unice nituntur ; huiusmodi enim immoderatio haud modica causa est difficultatum, in quas saepe christiana fides incurrit. Attamen imaginibus, quarum usus apud Sacras Scripturas invenitur, reverentia praestanda est. Necessarium est arcanum earum sensum percipere, remoto periculo eas nimis extenuandi, cum hoc saepe inanes reddat realitates, quae per has imagines indicantur.

»Wenn man über das Geschick des Menschen nach dem Tode spricht, so muß man sich besonders vor Darstellungsweisen hüten, die sich ausschließlich auf willkürliche Phantasievorstellungen stützen; Übertreibungen in dieser Hinsicht sind nämlich ein nicht geringer Grund für die Schwierigkeiten, denen der christliche Glaube häufig begegnet. Jene Bilder hingegen, welche wir in der Heiligen Schrift verwandt finden, verdienen eine besondere Ehrfurcht. Man muß ihren tieferen Sinn verstehen und die Gefahr vermeiden, sie allzu sehr abzuschwächen, weil das oft die Wirklichkeit selbst verflüchtigt, die in diesen Bildern angedeutet wird.« (Deutsche Übersetzung der Vatikan-Homepage)

Mit anderen Worten: es spricht meiner Meinung nach nichts dagegen, dieses »Feuer« in dem von Origens und Clemens beschreibenen Sinn zu verstehen.

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  1. Derselbe Ausdruck wird in Hebr 4,12 verwendet.
  2. Das Schreiben heißt »Recentiores episcoporum synodi« – AAS 71 (1979) 939 – 943

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