Wurden die Evangelien zu Gunsten von Kaiser Konstantin verändert?

Ich bin bei Vorträgen der Frage begegnet, ob die Evangelien nicht im Sinne Kaiser Konstantins verändert worden sein. In diesem Zusammenhang wird gerne auf das bekannte Wort verwiesen: »gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört«. Ich will hier zeigen, warum dieses Wort keine nachträgliche Hinzufügung sein kann.

Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Aber der Reihe nach:

Ein Wort aus der synoptischen Tradition

Das Logion ist an drei Stellen überliefert: Mt 22,15-22; Mk 12,13-17 und Lk 20,20-26. Hier die Synopse (=Zusammenschau) und meine Übersetzung des griechischen Textes nach Nestle/Aland XXVIII:

Mt 22,15-22 Mk 12,13-17 Lk 20,20-26
15 Τότε πορευθέντες οἱ Φαρισαῖοι συμβούλιον ἔλαβον ὅπως αὐτὸν παγιδεύσωσιν ἐν λόγῳ.
16 καὶ ἀποστέλλουσιν αὐτῷ τοὺς μαθητὰς αὐτῶν μετὰ τῶν Ἡρῳδιανῶν λέγοντες· διδάσκαλε, οἴδαμεν ὅτι ἀληθὴς εἶ καὶ τὴν ὁδὸν τοῦ θεοῦ ἐν ἀληθείᾳ διδάσκεις καὶ οὐ μέλει σοι περὶ οὐδενός· οὐ γὰρ βλέπεις εἰς πρόσωπον ἀνθρώπων,
17 εἰπὲ οὖν ἡμῖν τί σοι δοκεῖ· ἔξεστιν δοῦναι κῆνσον Καίσαρι ἢ οὔ;
18 γνοὺς δὲ ὁ Ἰησοῦς τὴν πονηρίαν αὐτῶν εἶπεν· τί με πειράζετε, ὑποκριταί;
19 ἐπιδείξατέ μοι τὸ νόμισμα τοῦ κήνσου. οἱ δὲ προσήνεγκαν αὐτῷ δηνάριον.
20 καὶ λέγει αὐτοῖς· τίνος ἡ εἰκὼν αὕτη καὶ ἡ ἐπιγραφή;
21 λέγουσιν αὐτῷ· Καίσαρος. τότε λέγει αὐτοῖς· ἀπόδοτε οὖν τὰ Καίσαρος Καίσαρι καὶ τὰ τοῦ θεοῦ τῷ θεῷ.
22 καὶ ἀκούσαντες ἐθαύμασαν, καὶ ἀφέντες αὐτὸν ἀπῆλθαν.
 13 Καὶ ἀποστέλλουσιν πρὸς αὐτόν τινας τῶν Φαρισαίων καὶ τῶν Ἡρῳδιανῶν ἵνα αὐτὸν ἀγρεύσωσιν λόγῳ.
14 καὶ ἐλθόντες λέγουσιν αὐτῷ· διδάσκαλε, οἴδαμεν ὅτι ἀληθὴς εἶ καὶ οὐ μέλει σοι περὶ οὐδενός· οὐ γὰρ βλέπεις εἰς πρόσωπον ἀνθρώπων, ἀλλ’ ἐπ’ ἀληθείας τὴν ὁδὸν τοῦ θεοῦ διδάσκεις· ἔξεστιν δοῦναι κῆνσον Καίσαρι ἢ οὔ; δῶμεν ἢ μὴ δῶμεν;
15 Ὁ δὲ εἰδὼς αὐτῶν τὴν ὑπόκρισιν εἶπεν αὐτοῖς· τί με πειράζετε; φέρετέ μοι δηνάριον ἵνα ἴδω.
16 οἱ δὲ ἤνεγκαν. καὶ λέγει αὐτοῖς· τίνος ἡ εἰκὼν αὕτη καὶ ἡ ἐπιγραφή; οἱ δὲ εἶπαν αὐτῷ· Καίσαρος.
17 ὁ δὲ Ἰησοῦς εἶπεν αὐτοῖς· τὰ Καίσαρος ἀπόδοτε Καίσαρι καὶ τὰ τοῦ θεοῦ τῷ θεῷ. καὶ ἐξεθαύμαζον ἐπ’ αὐτῷ.
20 Καὶ παρατηρήσαντες ἀπέστειλαν ἐγκαθέτους ὑποκρινομένους ἑαυτοὺς δικαίους εἶναι, ἵνα ἐπιλάβωνται αὐτοῦ λόγου, ὥστε παραδοῦναι αὐτὸν τῇ ἀρχῇ καὶ τῇ ἐξουσίᾳ τοῦ ἡγεμόνος.
21 καὶ ἐπηρώτησαν αὐτὸν λέγοντες· διδάσκαλε, οἴδαμεν ὅτι ὀρθῶς λέγεις καὶ διδάσκεις καὶ οὐ λαμβάνεις πρόσωπον, ἀλλ’ ἐπ’ ἀληθείας τὴν ὁδὸν τοῦ θεοῦ διδάσκεις·
22 ἔξεστιν ἡμᾶς Καίσαρι φόρον δοῦναι ἢ οὔ;
23 Κατανοήσας δὲ αὐτῶν τὴν πανουργίαν εἶπεν πρὸς αὐτούς·
24 δείξατέ μοι δηνάριον· τίνος ἔχει εἰκόνα καὶ ἐπιγραφήν; οἱ δὲ εἶπαν· Καίσαρος.
25 ὁ δὲ εἶπεν πρὸς αὐτούς· τοίνυν ἀπόδοτε τὰ Καίσαρος Καίσαρι καὶ τὰ τοῦ θεοῦ τῷ θεῷ.
26 καὶ οὐκ ἴσχυσαν ἐπιλαβέσθαι αὐτοῦ ῥήματος ἐναντίον τοῦ λαοῦ καὶ θαυμάσαντες ἐπὶ τῇ ἀποκρίσει αὐτοῦ ἐσίγησαν.

Auch wenn man kein Griechisch lesen kann, ist deutlich, dass der Markus Text der Kürzeste ist. Nach der Zwei-Quellen-Theorie ist er auch der Älteste und wurde von Matthäus und Lukas bei der Abfassung Ihres Evangeliums verwendet.

Mt 22,15-22 Mk 12,13-17 Lk 20,20-26
 15 Da machten sich die Pharisäer auf – sie fassten einen Beschluss, um ihn mit einem Ausspruch in der Schlinge zu fangen.
16 Und sie senden ihm ihre Schüler mit den Herodianern [und] sagten: »Lehrer, wir wissen, dass du wahrhaftig bist und den Weg Gottes in Wahrheit lehrst und du kümmerst dich [dabei] um niemand:
denn Du schaust nicht ins Angesicht der Menschen hinein;
17 Also sag uns, was meinst Du: ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen oder nicht?«
18 Weil Jesus ihre Bosheit erkannte, sagte er: »Warum versucht ihr mich, Heuchler?
19 Zeigt mir die für Steuerzahlungen gültige Münze.« Da brachten sie ihm einen Denar herbei.
20 Und sagt er zu ihnen: »Wem gehört dieses Bild und die Aufschrift?«
21 Sie sagen zu ihm: »Dem Kaiser«. Daraufhin spricht er zu ihnen: »Gebt also das dem Kaiser Zustehende dem Kaiser, und das Gott [Zustehende] Gott.
22 Und als sie [das] hörten, staunten sie, liessen ihn stehen und gingen fort.
 13 Und sie senden einige der Pharisäer und der Herodianer zu ihm, damit sie ihn mit einem [unbedachten] Wort fingen.
14 Und als sie [zu ihm] kommen sagen sie zu ihm: »Lehrer, wir wissen, dass du wahrhaftig bist und du kümmerst dich [dabei] um niemand: denn du schaust nicht ins Angesicht der Menschen hinein, sondern du lehrst auf Wahrheit gegründet den Weg Gottes: ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen oder nicht? Sollen wir zahlen oder sollen wir nicht zahlen?«
15 Weil der aber ihre Heuchelei sieht, spricht er zu ihnen: »Warum versucht ihr mich? Holt mir einen Denar, damit ich [ihn] sehen kann.«
16 Da brachten die [Pharisäer und Herodianer einen Denar]. Und er sagt zu ihnen: »Wem gehört dieses Bild und die Aufschrift?« Die aber sprechen zu ihm: »Dem Kaiser«.
17 Da spricht Jesus zu ihnen: »Dem Kaiser gebt das dem Kaiser Zustehende und das Gott Zustehende Gott.« Und sie wunderten sich über ihn.
20 Und um [ihn] genau zu beobachteten, sandten sie Aufpasser, die vortäuschten, dass sie selbst gerecht seien, um ihn an einem Wort zu fassen, so dass sie ihn der Obrigkeit und der Amtsgewalt des Statthalters ausliefern [konnten].
21 Und sie befragten ihn: »Lehrer, wir wissen, dass du richtig redest und lehrst und nicht parteiisch bist, sondern du lehrst auf Wahrheit gegründet den Weg Gottes:
22 Ist es uns erlaubt, dem Kaiser eine Abgabe zu entrichten oder nicht?
23 Weil er ihre Hinterlist bemerkte, spricht er zu ihnen:
24 Lasst mich einen Denar sehen: wessen Bild und Aufschrift trägt er?« Die aber sprachen: »des Kaisers«.
25 Der aber spricht zu ihnen: »Demnach gebt dem Kaiser das dem Kaiser Zustehende und das Gott Zustehende Gott.«
26 Und so vermochten sie nicht, ihn angesichts des Volkes durch einen Ausspruch zu fassen und sie schwiegen, verwundert über seine Antwort.

Es ist deutlich erkennbar, wie Matthäus und Lukas ihre Markusvorlage, die sie teilweise wörtlich zitieren, in ihrem Sinn überarbeitet haben. Es scheint mir sehr unwahrscheinlich zu sein, dass dieses Vorgehensweise von späteren Kopisten nachgeahmt worden sein sollte.

Papyrus 45

Ein weiteres Argument gegen die konstantinische Anpassung des Textes liefert die Textkritik. Der nur bruchstückhaft überlieferte Papyrus 45 – der aus dem 3. Jh. stammt – ist auf jeden Fall vor der Machtergreifung Konstantins zu Beginn des 4. Jh. entstanden, möglicherweise sogar bis zu einem Jahrhundert früher. 1 Die rekonstruierende Transkription unserer Markusstelle auf dem P45 durch das Institut für neutestamentliche Textforschung in Münster sieht so aus:

[και] [αποστελλουσιν] [προ]ς αυ̣[τον] [τινας]
[των] [φαρισαιων] [και] [των]
[ηρωδιανων] [ινα] [αυτον] [αγρ]ευσωσ[ιν] [λογωι] οι
δ̣[ε] [ελθοντες] [ηρξαντο]
[ερωταν] [αυτον] [εν] [δολωι] [δ]ιδασκ[αλε] [οιδ]αμε[ν]
[οτι] [αληθης] [ει] [και] [ου]
[μελει] [σοι] [περι] [ουδενος] [ου] γαρ βλε[πεις] [ει]ς̣
προσ[ωπον] [ανθρωπων]
[αλλα] [επ] [αληθειας] [την] [οδο]ν του [θυ] [διδασ]κεις
[εξεστιν] [δουναι]
[κηνσον] [καισαρι] [η] [ου] [δω]μ̣εν ουν η [μη] [δω]μεν [ο]
[δε] [ειδως] [αυτων] [την]
[υποκρισιν] [ειπεν] [αυτοις] τι με πειραζ[ετ]ε
υποκ[ριται] [φερετε] [μοι]
[δηναριον] [ινα] [ιδω] [οι] [δε] [η]νεγκαν κα[ι]
[λε]γ̣ει αυ[τοις] [τινος] [η] [εικων]
[αυτη] [και] [η] [επιγραφη] [οι] δε ειπον [καισα]ρος·
κ[αι] [αποκριθεις] [ο]
[ιη] [ειπεν] [τα] [καισαρος] [αποδοτε] [καισαρι] και τ[α]
[του] [θυ] [τωι] [θω] [και]
[εξεθαυμαζον] [επ] [αυτωι]

Meine wörtliche Übersetzung:

[Und] [sie senden] [z]u i[hm] [einige]
[der] [Pharisäer] [und] [der]
[Herodianer] [damit] [ihn] [sie] fing[en] [mit Worten] Die
a[ber] [kamen] [sie begannen]
[zu fragen] [ihn] [mit] [List] [L]ehr[er] [wir w]isse[n]
[dass] [wahrhaftig] [du bist] [und] [nicht]
[kümmerst] [dich] [um] [niemand] [Nicht] denn schau[st du] [in]s
Ange[sicht] [der Menschen]
[sondern] [auf] [Wahrheit gegründet] [den] [We]g des [Gottes] [leh]rst du
[Ist es erlaubt] [zu zahlen]
[Steuer] [dem Kaiser] [oder] [nicht] [Geben] sollen wir nun oder [nicht] [geben] sollen wir [Der]
[aber] [sehend] [von ihnen] [die]
[Heuchelei] [sagt er] [zu ihnen] Warum mich prüft [ih]r
Heuch[ler] [holt] [mir]
[einen Denar] [damit] [ich sehe] [Die] [aber] [b]rachten un[d]
[er s]agt ihn[en] [Wessen ist] [das] [Bild]
[dieses] [und] [die] [Inschrift] [Die] aber sprechen [Des Kai]sers
u[nd] [es antwortet] [der]
[Jesus] [Er spricht] [Das] [dem Kaiser zustehende] [gebt] [dem Kaiser] und da[s]
[dem] [Gott zustehende] [dem] [Gott] [und]
[sie wunderten sich] [über] [ihn]

Zu beachten ist: Man muss auch noch den Rest der Seite einbeziehen und bei der Schreibweise die nomina sacra berücksichtigen. Die aus Mt 22,18 in den P45 eingeschleppten Heuchler sind als Lesart im kritischen Apparat zu Mk 12,15 des Nestle-Aland vermerkt.

Historischer Kontext

Ein letztes und gewichtiges Argument gegen die nachträgliche Einfügung des Logions ist der geschichtliche Kontext der Jesus-Bewegung. Gerade von ihrem galiläischen Hintergrund her hat das Thema eine hohe historische Plausibilität.

Das Schlüsselwort – bei Mk und Mt von mir mit »Steuer« übersetzt, heisst auf Griechisch κῆνσος (kēnsos). Das ist ein lateinisches Lehnwort (von census) und bedeutet nicht nur Steuer, sondern auch Volkszählung. Die Volkszählung war die Voraussetzung für die Eintreibung der Steuer. Auch Lukas, der in seiner Parallelstelle ein anderes Wort verwendet, kennt den Vorgang, wenn er in seinem Weihnachtsevangelium schreibt, dass Kaiser Augustus befohlen habe, den Erdkreis aufzuschreiben (Lk 2,1 ff.). Eine solche von Lukas erwähnte Zählung (Lk 2,2) hat in Galiläa einen Aufstand ausgelöst:

Τῆς δὲ Ἀρχελάου χώρας εἰς ἐπαρχίαν περιγραφείσης ἐπίτροπος τῆς ἱππικῆς παρὰ Ῥωμαίοις τάξεως Κωπώνιος πέμπεται μέχρι τοῦ κτείνειν λαβὼν παρὰ Καίσαρος ἐξουσίαν. ἐπὶ τούτου τις ἀνὴρ Γαλιλαῖος Ἰούδας ὄνομα εἰς ἀπόστασιν ἐνῆγε τοὺς ἐπιχωρίους κακίζων, εἰ φόρον τε Ῥωμαίοις τελεῖν ὑπομενοῦσιν καὶ μετὰ τὸν θεὸν οἴσουσι θνητοὺς δεσπότας. (Flavius Josephus, De bello Judaico, II, 217 f.)

»Das Gebiet des Archelaos wurde auf eine Provinz beschränkt, (als) Statthalter Coponius vom Stand der Ritter bei den Römern gesendet, der vom Kaiser eine Vollmacht bis zum Töten erhielt. Unter diesem trieb ein gewisser Galiläer mit Namen Judas die Einheimischen zum Abfall, indem er sie tadelte, falls sie es wagen würden, dem Kaiser eine Abgabe zu zahlen und außer Gott sterbliche Herrscher erdulden würden«. (MÜ)

Den Herrschaftsantritt des Archelaos habe ich hier geschildert, zu Judas dem Galiläer gibt Lukas in Apg 5,37 noch einen interessanten Hinweis:

μετὰ τοῦτον ἀνέστη Ἰούδας ὁ Γαλιλαῖος ἐν ταῖς ἡμέραις τῆς ἀπογραφῆς καὶ ἀπέστησεν λαὸν ὀπίσω αὐτοῦ· κἀκεῖνος ἀπώλετο καὶ πάντες ὅσοι ἐπείθοντο αὐτῷ διεσκορπίσθησαν.

Nach diesem stand Judas der Galiläer auf, in den Tagen der Einschreibung, und machte eine Menge Volk abtrünnig und brachte sie hinter sich; auch der kam um, und alle, die ihm Gehör gaben, wurden zerstreut. (Apg 5,37; Elberfelder)

Was war das Problem bei dieser Volkszählung? Für die jüdische Bevölkerung war durch die Erzählung in 2 Sam 24/1 Chr 21 klar, dass eine Volkszählung ein Frevel war. So unterstreichen auch diese bemerkenswerten Parallelen den jesuanischen Ursprung des Logions.

Show 1 footnote

  1. Larry Hurtado ordnet ihn in diesem Aufsatz zwischen 200 und 250 n. Chr. ein.

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