Das Frankfurter Silberamulett

² Te decet hymnus Deus in Sion et tibi reddetur
votum in Hierusalem“
(Ps 64,2 Vulg. iuxta LXX)

 

Im Grab eines römischen Gräberfeldes in Frankfurt wurde ein Amulett aus dem 3. Jahrhundert gefunden, das aus einer extrem dünnen, beschrifteten Silberfolie besteht, die in einer silbernen Hülle aufbewahrt wurde. Dank bildgebender Verfahren war es möglich, die Inschrift zu entziffern, ohne das fragile Gebilde öffnen zu müssen, was es wohl zerstört hätte. Dieser Film schildert den Fund und seine Auswertung.

Für einen Blog zur Bibelauslegung besonders interessant ist der Umstand, dass das Amulett zwei Bibelzitate enthält: Das trishagion (= das dreimal Heilig) aus Jes 6,3 und einen Abschnitt aus dem sog. Philipper-Hymnus, nämlich Phil 2,10-11. Im Unterschied zum trishagion wird der Philippertext in lateinischer Sprache zitiert, womit das Amulett nicht nur das früheste Zeugnis für ein lateinischsprachiges Christentum, sondern überhaupt das früheste christliche Zeugnis im Gebiet des heutigen Deutschland sein dürfte. (Digitale Entfaltung und Übersetzung finden sich hier. Eine Transkription des Textes mit seinen nomina sacra ist hier veröffentlicht worden.)

Handelt es sich bei Phil 2,6-11 um einen Hymnus?

Als ich von dem Fund erfuhr, musste ich sofort an eine Diskussion denken, die schon seit einigen Jahrzehnten geführt wird: Handelt es sich bei dem Text aus dem Philipper um einen Hymnus, also einen im Gottesdienst verwendetes Lobgebet? Die These, dass es sich um eine Paulus bereits vorliegende Tradition handle, die er im Gottesdienst der Urgemeinde kennengelernt habe, geht auf Ernst Lohmeyer zurück: Kyrios Jesus: Eine Untersuchung zu Phil. 2, 5-11. Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (Heidelberg: Carl Winters Universitätsbuchhandlung, 1928). Wie man im Blog des leider schon verstorbenen Larry Hurtado nachlesen kann, wird Lohmeyers These von einigen Wissenschaftlern kritisch hinterfragt.

Einige Jahre vor Lohmeyers bahnbrechenden Untersuchung erschien diese Publikation von Joseph Kroll über „Die christliche Hymnodik bis zu Klemens von Alexandria1.
Dort wird, soweit ich sehe, der Philippertext nicht als Beispiel genannt.

Ein weiteres Problem könnte sein, dass Lohmeyer in seiner Publikation mit einer Reihe von Begriffen arbeitete, um den Text von Phil 2,6-11 zu charakterisieren: Er bezeichnete ihn wahlweise als carmen christi2, urchristliche Psalmdichtung, Gedicht, eine Art urchristlichen Choral, Hymnus, judenchristlichen Psalm, liturgische Poesie, Danksagung (εὐχαριστία), Lied, Ode, Dankgebet. Diese definitorische Unklarheit bei der Bestimmung der Textsorte hat dem Anliegen des Aufsatzes sicher nicht gutgetan, ebenso wenig Aussagen wie

Der Psalm, der in so starker Geschlossenheit der Form wie des Inhalts auftritt, scheint doch alles andere als ein Psalm zu sein.3

Oder:

So könnte man den Psalm mit heutigen Worten eine Ideendichtung in Form eines Mythos nennen …4

Und dennoch: Nach dem Fund des Amuletts haben die Argumente Lohmeyers eine starke Unterstützung erhalten: Es macht deutlich, dass der Text aus dem Philipper schon sehr früh eine herausragende Stellung genoss und stärkt die Position derer, die wie Lohmeyer, einen gottesdienstlichen Text in ihm erkennen wollen.

Die Aussage des Origenes aus CC VIII,67

ὕμνους γὰρ εἰς μόνον τὸν ἐπὶ πᾶσι λέγομεν θεὸν καὶ τὸν μονογενῆ αὐτοῦ θεὸν λόγον.5 (GCS 3 (1899) S. 283)

„Denn Hymnen singen wir nur zu dem einen, der Gott über alles [ist] und [zu] seinem einziggezeugten Gott, den Logos“ findet hier seine eindrucksvolle Bestätigung.


  1. Hurtado schrieb zu diesem Werk: „Though now hard to find (except in really good theological libraries), it remains a noteworthy study that ranges widely through early Christian texts and examples of hymns.“ (Quelle)↩︎
  2. Eine klare Anspielung auf den Brief des jüngeren Plinius an seinen Kaiser Trajan, in dem der römische Beamte von den Christen berichtete, dass sie Christus als ihrem Gott Lieder (lat. carmen) singen würden: „carmenque Christo quasi deo dicere“ (Ep. X,96)↩︎
  3. Kyrios Jesus S. 62↩︎
  4. S. 63 a.a.o.↩︎
  5. Ich verdanke den Hinweis auf diese Stelle Joseph Kroll S. 10 Fn. 2 a.a.o.↩︎

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