Nachdem ich mich mit den unterschiedlichen Angaben zur Todesstunde Jesu befasst habe, geht es jetzt um die Frage der Datierung: An welchem Tag wurde Jesus nach Angabe der Evangelisten gekreuzigt? Der nun folgende Artikel setzt die Kenntnis der entsprechenden biblischen Zeit-Angaben voraus, die ich in diesem Beitrag erklärt habe.
Der Wochentag
Ich beginne zunächst mit einem Konsens der Evangelisten:
„Nach übereinstimmender Aussage aller vier Evangelien starb Jesus an einem Freitag.“1
Eindeutig äußert sich in diesem Sinne Markus, wenn er zur Grablegung Jesu angibt:
Mk 15,42: Καὶ ἤδη ὀψίας γενομένης, ἐπεὶ ἦν παρασκευὴ ὅ ἐστιν ⸀προσάββατον,
Mk 15,42: Und es war bereits Abend geworden, da es ein Rüsttag war, das ist: Vorsabbat.
Jesus stirbt bei ihm also am Tag vor dem Sabbat – dem Freitag.
In diesem Sinn hat auch Matthäus seine Zeitangabe überliefert, wenn er beschreibt, was am Tag nach der Kreuzigung Jesu vorgefallen sei:
Mt 27,62: Τῇ δὲ ἐπαύριον, ἥτις ἐστὶν μετὰ τὴν παρασκευήν, συνήχθησαν οἱ ἀρχιερεῖς καὶ οἱ Φαρισαῖοι πρὸς Πιλᾶτον
Mt 27,62: Am nächsten Tag nun, welcher nach dem Rüsttag ist, versammelten sich die Hohepriester und die Pharisäer vor Pilatus.
In diesem Sinn auch Lukas bei der Schilderung der Grablegung Jesu:
Lk 23,54: ⸂καὶ ἡμέρα ἦν παρασκευῆς καὶ σάββατον ἐπέφωσκεν⸃.
Lk 23,54: Und [es war der] Tag des Rüsttages und der Sabbat leuchtete auf.
Und auch der vierte Evangelist schildert, dass Jesus am Tag vor dem Sabbat stirbt, wenn er schreibt:
Joh 19,31.42: ³¹ Οἱ οὖν Ἰουδαῖοι, ⸉ἐπεὶ παρασκευὴ ἦν, ἵνα μὴ μείνῃ ἐπὶ τοῦ σταυροῦ τὰ σώματα ἐν τῷ σαββάτῳ⸊, ἦν γὰρ μεγάλη ἡ ἡμέρα ⸀ἐκείνου τοῦ σαββάτου, ἠρώτησαν τὸν Πιλᾶτον ἵνα κατεαγῶσιν αὐτῶν τὰ σκέλη καὶ ἀρθῶσιν. (…) ⁴² ἐκεῖ οὖν διὰ τὴν παρασκευὴν τῶν Ἰουδαίων, ὅτι ἐγγὺς ἦν τὸ μνημεῖον, ἔθηκαν τὸν Ἰησοῦν.
Joh 19,31: Die Judäer/Juden nun, da es ein Rüsttag war, damit nicht die Leiber auf dem Kreuz blieben an dem Sabbat, denn der Tag jenes Sabbats war groß, fragten den Pilatus, dass ihnen die Beine zerschlagen und sie [vom Kreuz] weggenommen würden. Joh 19,42: Dorthin nun, wegen dem Rüsttag der Judäer/Juden, weil das Grab nahe war, legten sie den Jesus.
Wieso aber war der Tag jenes Sabbats groß?2 Hier kommen wir zu einem deutlichen Unterschied zwischen Johannes und den Synoptikern.
Pessach oder Rüsttag des Pessachfestes?
Bei den Synoptikern fällt der Freitag, an dem Jesus stirbt, auf den [ersten] Tag des Pessachfestes, im vierten Evangelium allerdings auf den Tag vor dem Pessachfest, den Rüsttag.
Die Synoptiker
Mk 14,12: Καὶ τῇ πρώτῃ ἡμέρᾳ τῶν ἀζύμων, ὅτε τὸ πάσχα ἔθυον, λέγουσιν αὐτῷ οἱ μαθηταὶ αὐτοῦ· ποῦ θέλεις ἀπελθόντες ἑτοιμάσωμεν ἵνα φάγῃς τὸ πάσχα;
Mk 14,13: καὶ ἀποστέλλει δύο τῶν μαθητῶν αὐτοῦ καὶ λέγει αὐτοῖς· ὑπάγετε εἰς τὴν πόλιν, καὶ ἀπαντήσει ὑμῖν ἄνθρωπος κεράμιον ὕδατος βαστάζων· ἀκολουθήσατε αὐτῷ
Mk 14,14: καὶ ὅπου ἐὰν εἰσέλθῃ εἴπατε τῷ οἰκοδεσπότῃ ὅτι ὁ διδάσκαλος λέγει· ποῦ ἐστιν τὸ κατάλυμά μου ὅπου τὸ πάσχα μετὰ τῶν μαθητῶν μου φάγω;
Mk 14,15: καὶ αὐτὸς ὑμῖν δείξει ἀνάγαιον μέγα ἐστρωμένον ἕτοιμον· καὶ ἐκεῖ ἑτοιμάσατε ἡμῖν.
Mk 14,16: καὶ ἐξῆλθον οἱ μαθηταὶ ⸆ καὶ ἦλθον εἰς τὴν πόλιν καὶ εὗρον καθὼς εἶπεν αὐτοῖς καὶ ἡτοίμασαν τὸ πάσχα.
Mk 14,12: Und am ersten Tag des [Festes der] Ungesäuerten [Brote],
als sie das Pessach[-Lamm] schlachteten3, sagen seine Schüler zu ihm: Wo möchtest du, sollen wir weggehend bereiten, damit du das Pessach[-Lamm] essen kannst?
Mk 14,13: Und er sendet zwei seiner Schüler und sagt zu ihnen: Begebt euch in die Stadt und es wird euch ein Mensch begegnen, der einen Tonkrug mit Wasser trägt. Folgt ihm!
Mk 14,14: Und wo er auch hineingeht, sagt zu dem Hausherrn, dass der Lehrer sagt: Wo ist meine Herberge, wo ich das Pessach mit meinen Schülern essen kann?
Mk 14,15: Und der wird euch ein großes oberes, gepflastertes Stockwerk zeigen, [das] bereit [ist]. Und dort bereitet uns [das Pessach] vor!
Mk 14,16: Und die Schüler gingen hinaus und kamen in die Stadt und fanden, wie er es ihnen gesagte hatte und bereiteten das Pessach vor.
Das letzte Mahl Jesu mit seinen Schülern wird also als Pessach-Mahl geschildert. Matthäus übernimmt diese Aussage von seiner Markus-Vorlage, wenn er über die Vorbereitung des letzten Abendmahls schreibt:
Mt 26,17: Τῇ δὲ πρώτῃ τῶν ἀζύμων προσῆλθον οἱ μαθηταὶ τῷ Ἰησοῦ λέγοντες· ποῦ θέλεις ἑτοιμάσωμέν σοι φαγεῖν τὸ πάσχα;
Mt 26,17: Am ersten [Tag] nun [des Festes] der Ungesäuerten [Brote] kamen die Schüler zu Jesus, indem sie sagten: Wo möchtest Du, dass wir dir vorbereiten das Pessach zu essen?
Auch bei Lukas ist das letzte Mahl ein Pessach-Mahl:
Lk 22,7: Ἦλθεν δὲ ἡ ἡμέρα ⸂τῶν ἀζύμων⸃, °[ἐν] ᾗ ἔδει θύεσθαι τὸ πάσχα·
Lk 22,8: καὶ ἀπέστειλεν Πέτρον καὶ Ἰωάννην εἰπών· πορευθέντες ἑτοιμάσατε ἡμῖν τὸ πάσχα ἵνα φάγωμεν (…)
Lk 22,15: καὶ εἶπεν πρὸς αὐτούς· ἐπιθυμίᾳ ἐπεθύμησα τοῦτο τὸ πάσχα φαγεῖν μεθ ᾿ ὑμῶν πρὸ τοῦ με παθεῖν·
Lk 22,7: Es kam nun der Tag [des Festes] der Ungesäuerten [Brote], an dem das Pessach geschlachtet werden musste.
Lk 22,8: Und er schickte Petrus und Johannes, indem er sprach: Macht euch auf, bereitet uns das Pessach, damit wir es essen können.
Lk 22,15: Und er sprach zu ihnen: Ich habe ein sehnliches Verlangen gehabt [w. mit Verlangen habe ich danach verlangt], dieses Pessach mit euch zu essen, vor meinem Leiden.
Das vierte Evangelium
Anders aber im vierten Evangelium: das Todesurteil und dessen Vollstreckung fallen auf den Tag vor dem Pessachfest.
Joh 19,14: ἦν δὲ παρασκευὴ τοῦ πάσχα, ὥρα ⸂ἦν ὡς⸃ ⸀ἕκτη. καὶ λέγει τοῖς Ἰουδαίοις· ἴδε ὁ βασιλεὺς ὑμῶν.
Joh 19,14: Es war nun der Rüsttag des Pessach, es war um [die] sechste Stunde. Und er sagt zu den Juden/Judäern: Siehe, euer König!
Und im Kapitel vorher heißt es:
Joh 18,28: Ἄγουσιν οὖν τὸν Ἰησοῦν ἀπὸ τοῦ Καϊάφα εἰς τὸ πραιτώριον· ἦν δὲ πρωΐ· * καὶ αὐτοὶ οὐκ εἰσῆλθον εἰς τὸ πραιτώριον, ἵνα μὴ μιανθῶσιν ⸀ἀλλὰ φάγωσιν τὸ πάσχα.
Joh 18,28: Nun führen sie Jesus von Kajaphas in das Prätorium. Es war nun früh Morgens. Und sie gingen nicht in das Prätorium, damit sie nicht verunreinigt würden, sonder das Pessach essen konnten.
Bei Johannes ist demnach das letzte Mahl Jesu kein Pessachmahl gewesen.
Zur Datierung des Pessachfestes
Zwei nicht-biblische jüdische Quellen informieren uns, wie das Pessachfest vor und nach der Zeit Jesu gefeiert wurde.
Jubiläen
49 ¹ Gedenke des Gebots, das Gott dir geboten hat in betreff des Passah, daß du es haltest am 14. des 1. Monats, daß du es schlachtest, ehe es Abend wird, und daß man es esse in der Nacht, am Abende des 15. von der Zeit des 15. von der Zeit des Sonnenuntergangs an. (Ü: Enno Littmann)
Josephus Flavius
καὶ τῆς τῶν ἀζύμων ἐνστάσης ἡμέρας τεσσαρεσκαιδεκάτῃ Ξανθικοῦ μηνός, ἐν ᾗ δοκοῦσιν Ἰουδαῖοι τὸν πρῶτον ἀπαλλαγῆναι καιρὸν Αἰγυπτίων. (Griechischer Text nach Niese)
Bell. V,3,1: Vor der Thür stand das Fest der ungesäuerten Brote, der vierzehnte des Monats Xanthikos, auf welchen die Juden den Anfang ihrer Befreiung von der aegyptischen Knechtschaft setzen. (Ü: Heinrich Clementz)
οἱ δ᾽ ἐνστάσης ἑορτῆς, πάσχα καλεῖται, καθ᾽ ἣν θύουσιν μὲν ἀπὸ ἐνάτης ὥρας μέχρις ἑνδεκάτης … (Griechischer Text nach Niese)
Bell. VI,9,3: Da nun gerade das Paschafest einfiel, an welchem von der neunten bis zur elften Stunde Opfer dargebracht werden … (Ü: Heinrich Clementz)
ὅθεν εἰς μνήμην τῆς τότε ἐνδείας ἑορτὴν ἄγομεν ἐφ᾽ ἡμέρας ὀκτὼ τὴν τῶν ἀζύμων λεγομένην.
(Griechischer Text nach
Niese)
Ant. II,15,1: Zum Andenken an diese Not feiern wir acht Tage hindurch das Fest der ungesäuerten Brote. Ü: Heinrich
Clementz)
Zwei unterschiedliche Datierungen
Somit ergeben sich aus der Darstellung der Evangelisten zwei unterschiedliche Datierungen des Todestages Jesu: der 15. Nisan – der Tag des Pessachfestes bei den Synoptikern und der 14. Nisan, der Rüsttag des Pessachfestes, bei Johannes. Das soll folgende Grafik verdeutlichen5:

Die Datierung des Vierten Evangeliums wird durch Paulus gestützt, der den Tod Jesu ebenfalls mit dem Rüsttag des Pessachfestes in Verbindung bringt:
1 Kor 5,7: ἐκκαθάρατε ⸆ τὴν παλαιὰν ζύμην, ἵνα ἦτε νέον φύραμα, καθώς ἐστε ἄζυμοι· καὶ γὰρ τὸ πάσχα ἡμῶν ⸇ ἐτύθη Χριστός.
1 Kor 5,7: Räumt den alten Sauerteig aus, damit ihr neues Geknetetes seid, dem zufolge seid ihr ungesäuert: denn unser Pessach wurde geschlachtet, der Messias.
Und wer hat recht?
Die Frage wird in den gängigen Einleitungen diskutiert, wo die Argumente für die Datierung der Synoptiker und des Vierten Evangelisten gegeneinander abgewogen werden. Im letzten Jahrhundert sah man eher die Chronologie der
Synoptiker als zutreffend an (Joachim Jeremias, Rudolf Pesch), in jüngerer Zeit dürfte das Evangelium nach Johannes der Favorit sein.6 Ich schließe mich der johanneischen Datierung an und werde im nächsten Beitrag versuchen, das mögliche Datum des Todestages Jesu zu errechnen.
- Theißen, Gerd, & Merz, Anette: Der historische Jesus. Ein Lehrbuch. Vandenhoeck & Ruprecht (2011) S. 152↩︎
- Der vierte Evangelist spricht in bereits in Joh 7,37 von einem großen Festtag.↩︎
- Broer/Weidemann sehen diese Angabe als Beweis dafür, dass Markus vom Judentum keine Ahnung habe, denn der erste Tag der ungesäuerten Brote könne nicht gleichzeitig der Rüsttag des Pessachfestes sein (Vgl. Broer, Ingo & Weidemann, Hans-Ulrich: Einleitung in das Neue Testament. Echter-Verlag (³2010) S. 86). Anders sieht das Eduard Schweizer: „Die Datierung „am ersten Tag der ungesäuerten Brote“ (vgl. zu 14,1) ist für den Griechen und Römer, für
den der Tag am Morgen beginnt, richtig, nicht aber für den Juden, der seinen Tag mit Sonnenuntergang anfangen läßt, so daß er sagen müßte „am Tag vor den ungesäuerten Broten“; da sich die falsche Zählung aber gelegentlich im Judentum findet, könnte es auch Ungenauigkeit sein.“ (Schweizer, Eduard: Das Evangelium nach Markus. Vandehoeck & Ruprecht (¹⁸1998) S. 160) Siehe auch die entsprechenden Verweise von Rudolf Pesch auf Flavius Josephus in: Das Markusevangelium. Zweiter Teil (Herder-Verlag Sonderausgabe 2001 = Nachdruck der Ausgabe von 1977) S. 342.↩︎ - „Nach der Berechnung des Johannes war also der Donnerstag der dreizehnte Nisan bis zum Sonnenuntergang; das letzte Abendmahl fand zu Beginn des vierzehnten Nisan statt und war somit kein Pessachmahl; Jesus wurde gekreuzigt, starb und wurde an einem Freitag begraben, der der vierzehnte Nisan bis zum Sonnenuntergang war; und der Pessachtag begann mit dem Pessachmahl bei Sonnenuntergang am Freitag, dem fünfzehnten Nisan. Wie man unschwer erkennen kann, fiel nach Johannes in jenem schicksalhaften Jahr, in dem Jesus starb, der Pessachtag mit dem Sabbat zusammen. Dies mag der Grund sein, warum Johannes die besondere Sorge der Juden betont, die Leichen von den Kreuzen zu entfernen, bevor der Sabbat begann, „denn der Tag dieses Sabbats war groß“ (19,31), d. h., dieser Sabbat war ein besonders feierlicher Tag.“ (Meier, John P.: A marginal Jew. Rethinking the historical Jesus. Volume One: The roots of the problem and the person. Doubleday (1991) S. 389-390; Ü: OA mit Hilfe von deepl.com)↩︎
- Diese Grafik wurde von mir mit Ditaa nach einer entsprechende Übersicht in der Einleitung von Broer/Weidemann S. 208 erstellt. (A.a.o.)↩︎
- Zwei ganz unterschiedliche Stimmen dazu: Theissen/Merz schreiben: „Die Differenzen zwischen Joh und den Synoptikem lassen sich nicht ausgleichen. Eine Entscheidung ist schwer möglich, die Argumente für die joh Chronologie sind jedoch gewichtiger.“ (S. 154 a.a.o.) Joseph Ratzinger schreibt in seinem Jesus-Buch: „Was sollen wir also sagen? Die sorgsamste Erwägung aller bisher versuchten Lösungen habe ich in dem Jesus-Buch von John P. Meier gefunden, der am Ende seines ersten Bandes eine umfassende Studie über die Chronologie des Lebens Jesu vorgelegt hat. Er kommt zu dem Ergebnis, dass man zwischen der synoptischen und der johanneischen Chronologie zu wählen habe, und zeigt aufgrund des gesamten Quellenbefundes, dass der Entscheid zugunsten von Johannes ausfallen muss.“ (Jesus von Nazareth. Zweiter Teil. Herder (2011), S. 131-132)↩︎