Ich habe mich dieser Tage noch einmal mit dem Königsgesetz aus Dtn 17,14-20 beschäftigt und dabei sind mir zwei Aspekte bei gängigen deutschen Übersetzungen von Dtn 17,18 aufgefallen.
Das hebräische וְהָיָה כְשִׁבְתּוֹ עַל כִּסֵּא מַמְלַכְתּוֹ וְכָתַב לוֹ אֶת־מִשְׁנֵה הַתּוֹרָה הַזֹּאת עַל־סֵפֶר מִלִּפְנֵי הַכֹּהֲנִים הַלְוִיִּֽם׃ wird so wiedergeben.
Luther 2017: Und wenn er nun sitzen wird auf dem Thron seines Königreichs, soll er eine Abschrift dieses Gesetzes, wie es den levitischen Priestern vorliegt, in ein Buch schreiben lassen.
Elberfelder: Und es soll geschehen, wenn er auf dem Thron seines Königreiches sitzt, dann soll er sich eine Abschrift dieses Gesetzes in ein Buch schreiben, aus ⟨dem Buch, das⟩ den Priestern, den Leviten, vor⟨liegt⟩.
Zürcher: Und wenn er dann auf seinem Königsthron sitzt, soll er sich eine Abschrift dieser Weisung in ein Buch schreiben nach dem, das sich bei den levitischen Priestern befindet.
REÜ: Und wenn er seinen Königsthron bestiegen hat, soll er sich von dieser Weisung, die die levitischen Priester aufbewahren, auf einer Schriftrolle eine Zweitschrift anfertigen lassen.
Luther und REÜ geben die Verbform כתב als Kausativ wieder: er soll schreiben bzw. anfertigen lassen. Aber das ist falsch.1 Der König selbst muss dieses Buch abschreiben. Das haben Zürcher und Elberfelder gut gelöst. Dafür bin ich mit der weiteren Übersetzung aller genannten Beispiele nicht ganz zufrieden. Es geht um עַל־סֵפֶר מִלִּפְנֵי הַכֹּהֲנִים הַלְוִיִּֽם. Die Elberfelder folgt wie so oft dem alten Gesenius, der zum Ausdruck מלפני schreibt: „nach כתב abschreiben, indem man es von den Priestern erhält“2. Das deckt sich mit der Vulgata, die in volumine accipiens exemplar a sacerdotibus leviticae tribus bietet. Ich meine, dass in dieser Übersetzung ein zweiter Aspekt verlorengeht: Im Hebräischen schwingt auch mit, dass diese Abschrift von den levitischen Priestern kontrolliert wird, da der König vor ihnen seiner Hausaufgabe nachkommen muss. In diesem Sinne verstehe ich auch die Fassung der LXX: εἰς βιβλίον παρὰ τῶν ἱερέων τῶν Λευιτῶν. Der König muss in ein Buch in/aus der Umgebung der levitischen Priester schreiben.3
Entscheidend ist aber, dass dieses Königsgesetz eine kulturelle und politische Revolution darstellt. Im sechsten Jahrhundert vor der Zeitrechnung wird die Vorstellung von einem Herrscher derart depotenziert, dass er auf seinem Thron sitzend nichts anderes zu tun hat, als täglich in dem von ihm mit eigener Hand abgeschrieben Buch zu lesen, dass er keinerlei Privilegien oder sonstige Vorrechte besitzt.4 Die wirkliche Autorität liegt in einem Text, genauer in dem Buch der Torah.5 Wenn man das liest, ist natürlich jede Vorstellung eines Gottesgnadentums hinfällig. Nicht umsonst haben die entsprechenden Passagen aus der Tora über die nicht vorhandenen Vorrechte des Königs (und die Verteilung des Landes an die Bevölkerung!) zur Zeit der englischen Revolution eine folgenreiche Rolle gespielt. Eric Nelson hat das in seinem Buch „The Hebrew Republic. Jewish Sources and the Transformation of European Political Thought“ (2010) gründlich dargestellt und gewürdigt.