Die erste Heilung Jesu, von der das Markus-Evangelium (1,29-31) berichtet, gilt der Schwiegermutter des Petrus. Auf den ersten Blick scheint die kurze Perikope vor allem patriarchale Klischees zu bedienen.
Hier zunächst der griechische Text nach Nestle-Aland XXVIII mit meiner deutschen Übersetzung:
²⁹ Καὶ εὐθὺς ἐκ τῆς συναγωγῆς ἐξελθόντες ἦλθον εἰς τὴν οἰκίαν Σίμωνος καὶ Ἀνδρέου μετὰ Ἰακώβου καὶ Ἰωάννου.
³⁰ ἡ δὲ πενθερὰ Σίμωνος κατέκειτο πυρέσσουσα, καὶ εὐθὺς λέγουσιν αὐτῷ περὶ αὐτῆς.
³¹ καὶ προσελθὼν ἤγειρεν αὐτὴν κρατήσας τῆς χειρός· καὶ ἀφῆκεν αὐτὴν ὁ πυρετός, καὶ διηκόνει αὐτοῖς.
²⁹ Und sofort, als sie aus der Synagoge herausgingen, kamen sie in das Haus des Simon und Andreas mit Jakobos und Johannes.
³⁰ Aber die Schwiegermutter Simons lag fiebernd danieder und sofort redeten sie mit ihm über sie.
³¹ Und als er hinzutrat, richtete er sie auf, indem er sich der Hände bemächtigte: und das Fieber verliess sie und sie diente ihnen.
Die Schwiegermutter ist im Haus (und nicht in der Öffentlichkeit!) und wird dann geheilt, um den Männern im Haus dienen zu können — das wäre auf den ersten Blick wohl die naheliegende Deutung. Aber die halte ich für nicht zutreffend.
Eine Berufungserzählung
Schon Hieronymus erkannte, dass es sich bei der kurzen Perikope um eine Berufungserzählung handelt:
ingrediatur domum nostram: leuemus nos aliquando de lectulo, non iaceamus. iesus stat ante lectulum, et nos iacemus? surgamus, et stemus: ignominia nostra est, nos ante iesum iacere. (Tractatus in Marci euangelium)
Er tritt in unser Haus ein: wir sollen uns endlich vom Bett erheben, wir sollen nicht liegenbleiben. Jesus steht vor dem Bett, und wir bleiben liegen? Lasst uns aufstehen und stehen bleiben: Es ist ein Schande für uns, dass wir vor Jesus liegen bleiben! (MÜ)
Dienen im Markusevangelium
Dass es sich um eine Berufungsgeschichte handelt, wird auch durch den Kontext des Markus-Evangeliums und die griechische Grammatik bestätigt. Dienen (gr. diakonein) ist ein zentraler Ausdruck des Evangelisten, um die Verkündigung Jesu zu beschreiben.
καὶ γὰρ ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου οὐκ ἦλθεν διακονηθῆναι ἀλλὰ διακονῆσαι καὶ δοῦναι τὴν ψυχὴν αὐτοῦ λύτρον ἀντὶ πολλῶν. (Mk 10,45, NA XVIII)
Denn auch der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele. (Mk 10,45, Elberfelder)
Grammatikalisch bedeutsam ist, dass das Verb in καὶ διηκόνει αὐτοῖς – und sie diente ihnen im Imperfekt steht, was auf eine dauerhafte Betätigung verweist und damit nicht als bloßer Tischdienst abgetan werden kann. 1
Das Imperfekt διηκόνει weist auf etwas Gewohntes und Andauerndes hin. Aber in dem gewohnten Dienen, dem Aufwarten der Frau, findet auch hier die im begrenzten Raum wirkende ἐξουσία Jesu ihre Antwort. „Damit führt diese Geschichte weiter als die letzte, nämlich in die ‚Nachfolge des Dienens‘.“ Bezeichnend ist, dass sich der Dienst der Geheilten nicht allein auf ihren Retter richtet, sondern auf alle Anwesenden.
Karl Kertelge mit einem Zitat aus dem Markus Kommentar von Eduard Schweizer in: Die Wunder Jesu im Markusevangelium (1970) S. 61-62
Vor diesem Hintergrund ist Elisabeth Schüssler Fiorenza zuzustimmen, wenn sie schreibt:
Wir haben gesehen, dass diakonein nicht nur auf den Tischdienst beschränkt werden kann, weil diakonia die ganze Verkündigung Jesu zusammenfasst, der andere nicht unterordnet und versklavt nach der Art von heidnischen Herrschern (Mk 10,42), sondern der leidende Knecht ist, der sie befreit und aus ihrem Dienst emporhebt. In gleicher Weise müssen die, die in der Gemeinschaft Leitung ausüben, den letzten Platz auf der sozialen Rangliste der Gemeinschaft einnehmen und ihre Leitung als Dienst ausüben. Wie die Schwiegermutter des Petrus (Mk 1,31) werden die Frauen unter dem Kreuz 2 als die Schüler charakterisiert, die wahre christliche Leiterschaft verstanden und praktiziert haben.
In Memory of Her (¹⁰1994) S. 320-321; MÜ
Eine weitere Parallele
Ein Schritt weiter geht Monika Fander, die auf die Parallelen dieser Erzählung zu Apg 28,7-10 verweist, wo Paulus auf Malta den Vater des Publius in dessen Haus heilt. Der Unterschied ist nur, dass über die Reaktion des Vaters auf seine Heilung von Lukas nichts berichtet wird, im Unterschied zur Heilung der Schwiegermutter des Petrus. Sie folgert aus diesen Beobachtungen:
Das Ziel unserer Erzählung könnte folgendes sein: Uns wird berichtet, wie Simons Schwiegermutter auf Grund eines Wunders ein Schülerin von Jesus wurde. Gleichzeitig dient die Geschichte durch ihre Verbindung mit dem Namen Kafarnaum als Wiederhall des Beginns der christlichen Gemeinschaft an diesem Ort. In diesem Fall ist der Ursprung der Gemeinschaft mit einer Frau verbunden.
In: Elisabeth Schüssler Fiorenza (Hg.): Searching the Scriptures (1): A Feminist Introduction (1994) S. 211; MÜ
Gedächtnisspuren
Dass Petrus verheiratet war, wird im katholischen Kontext meiner Beobachtung nach nicht besonders hervorgehoben. Dass es sich um eine historisch zutreffende Aussage handelt, bestätigt dieses Wort des Paulus:
μὴ οὐκ ἔχομεν ἐξουσίαν ἀδελφὴν γυναῖκα περιάγειν ὡς καὶ οἱ λοιποὶ ἀπόστολοι καὶ οἱ ἀδελφοὶ τοῦ κυρίου καὶ Κηφᾶς;
„Haben wir etwa kein Recht, eine Schwester als Frau mitzunehmen wie die übrigen Apostel und die Brüder des Herrn und Kephas?“ (1 Kor 9,5; Elberfelder)3
In der alten Kirche machte das wohl wenig Aufsehen, wie dieses Epitaph der Frau und Kinder von Papst Felix III zeigt (nach Baronius wurde er 483 zum Bischof von Rom gewählt).
Aus dieser Grabinschrift geht hervor, dass Felix verheiratet war und zumindest zwei Kinder hatte. Zum Zeitpunkt seiner Papstwahl war er aber bereits seit 9 Jahren verwitwet. Spannend ist noch die Information des Johannes Diaconus, dass Felix über seine Kinder einer der Vorfahren von Papst Gregor dem Großen wurde (ejus atavus fuerit).4