Das besprochene Werk, 2014 im Kohlhammer-Verlag erschienen, wurde vom Autor Jan Heilmann 2013 bei Peter Wick an der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation eingereicht. Im Kern besteht es aus der These, dass die traditionell eucharistisch aufgefassten Texte des Johannesevangeliums, besonders die Brotrede im sechsten Kapitel, keinen Bezug auf das letzte Mahl Jesu haben.
Der Schlüsseltext ist Joh 6,53: Ἀμὴν ἀμὴν λέγω ὑμῖν, ἐὰν μὴ φάγητε τὴν σάρκα τοῦ υἱοῦ τοῦ ἀνθρώπου καὶ πίητε αὐτοῦ τὸ αἷμα, οὐκ ἔχετε ζωὴν ἐν ἑαυτοῖς.
Amen, amen, ich sage euch: wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr kein Leben in euch selbst.
Nach Heilmann gehe es hier gerade nicht um die Eucharistie, sondern um eine Metaphorik des Essens und Trinkens als Annahme der Lehre Jesu.
Die Begründung seiner These, die in deutlicher Abhängigkeit von den Arbeiten Klinghardts zum Thema entwickelt wird, geht von der Grundthese aus, dass es in neutestamentlicher Zeit nicht das Abendmahl gegeben habe, auf dessen eindeutigen Ritus sich Paulus, die Synoptiker und Johannes bezogen hätten. Auch die apostolischen Väter und insbesondere Origenes werden als Kronzeugen dafür aufgeboten, dass ein eucharistisches Verständnis der Brotrede in den ersten Jahrhunderten nicht gegeben war.
Wie Heilman selbst ausführt, ist das Unbehagen gegen eucharistische Aussagen des Vierten Evangeliums nichts Neues. Schon Bultmann wollte die einschlägigen Aussagen als nachträgliche Einfügungen eine Redaktors ausscheiden. Zu Recht geht Heilmann von dieser Auffassung ab und versteht auch den o.g. Vers als integralen Bestandteil der Brotrede. Aber das Ergebnis bleibt letztendlich dasselbe: das Vierte Evangelium spreche nicht von der Eucharistie – entsprechend formuliert der Untertitel der Arbeit: »Das Ende der Eucharistie im Johannesevangelium und dessen Konsequenzen«.
Zur Argumentation
Was die Lektüre etwas mühsam macht, ist die teilweise wirre Argumentation: Auf S. 96 will der Autor die Aussage von Lk 22,20 als Libation verstanden wissen, räumt aber vier Seiten später ein, dass eine Libation auf »der historischen Ebene der frühchristlichen Mähler« wohl eher nicht vollzogen wurde, um in der Fußnote die naheliegende Schlussfolgerung als argumentum e silentio abzuweisen. Er argumentiert die ganze Zeit gegen eine den Texten voraus liegende Abendmahlspraxis, die er aber auf S. 173 den Rezipienten des Evangeliums zugestehen muss. Bei Josephus geht er auf S. 199 von einer spezifischen jüdische Mahlpraxis aus, die sich durch die beracha von der paganen unterscheidet, obwohl er zu Beginn seiner Arbeit ritual-theoretisch substantielle Unterschiede zwischen christlichen/jüdischen/paganen Mählern im Sinne von ‚alles ein Symposium‘ zurückweist.
Horror sanguinis
Und damit bin ich bei dem größten Problem, das ich mit dieser Arbeit habe: der Autor, der ständig Vorgänger-Arbeiten hermeneutische Zirkel und ideologische Vorurteile vorwirft, ist selbst in keiner Weise frei davon. Die Vorentscheidung, dass die Gestalt frühchristlicher Gemeinschaftsmähler nicht auf eine Symbolhandlung des historischen Jesus zurückzuführen sei (S. 13), findet ihren eigentlichen Grund in der Horrorvorstellung des Autors schlechthin: eine Deutung des Todes Jesu als Stellvertretung oder als Sühnetod darf einfach nicht sein und muss unter allen Umständen zurückgewiesen werden. (Vgl. etwa die Ausführung zu Joh 1,29 auf S. 121 oder S. 147: »Jesus gibt das Leben für die Welt und nicht sein Leben.« Siehe auch S. 149 unten).
Dionysos-Kult?
Ich habe nicht schlecht gestaunt, wie Heilmann die eingehenden Arbeiten von Klaus Wengst zum Johannesevangelium und die dort geschilderte zentrale Erfahrung des Synagogenausschluss nicht erwähnen zu müssen und die gut begründete Annahme der johanneischen Gemeinden als Zirkelschluss erledigen zu können glaubt. Warum der jüdische Autor des vierten Evangeliums bei seiner Verkündigung des Messias auf die Epiphanie des Weingottes Dionysos zurückgreifen sollte (S. 133), will sich mir absolut nicht erschließen.
Zu Origenes
Abschließend noch ein Wort zu Origenes, für Heilmann einer der Kronzeugen seiner nicht-eucharistischen Deutung des vierten Evangeliums. Der große Alexandriner behandelt in seinen Homilien zum Buch Numeri die Frage, wie Jesus in Joh 6,53 seinen Anhängern den Genuss von Blut befehlen könne, der sowohl Juden durch die Tora als auch Heiden nach den Jakobusklauseln aus Apg 15 verboten sei. Unter Hinweis auf das vierte Lied vom Gottesknecht antwortet Origenes, dass die Aussage nicht nur gemäß der Feier der Mysterien, sondern auch als Empfang der Predigt Jesu verstanden werden könne. 1 Überhaupt ist der Kirchenvater hier viel kreativer und vielfältiger, als die Arbeit von Heilmann es wahrhaben will, was ich mit diesem kleinen Gedicht des Meisters zum Thema aus seinem Matthäuskommentares unterstreichen will: τὸ μὲν πρακτικόν ἐστι τὸ βρῶμα τὸ δὲ ϑεωρητικὸν το πόμα. (GCS XL, S. 487)
Zunächst einmal vielen Dank für Ihre Gedanken zu meiner Arbeit, auf die ich mit kurzen Richtigstellungen reagieren möchte. Es bleibt Ihnen überlassen, meine Argumentation als „wirr“ zu empfinden. Ihre Darstellung der einzelnen Aspekte, die Sie unter dieser Rubrik anführen, sind aber einfach falsch:
1. Ich räume auf S. 100 nicht ein, „dass eine Libation auf ‚der historischen Ebene der frühchristlichen Mähler‘ wohl eher nicht vollzogen wurde.“ An dieser Stelle verweise ich lediglich auf ein vermeintliches Gegenargument von Weidemann (grammatisch eindeutig angezeigt), der dies behauptet. Auf der Grundlage der Quellen kann weder postuliert noch ausgeschlossen werden, dass Libationen bei frühchristlichen Mählern durchgeführt wurden.
2. Es ist unpräzise, wenn Sie formulieren, dass ich den Rezipienten des Johannesevangeliums auf S. 173 eine „Abendmahlspraxis“ zugestehe. Siehe dazu meine Begriffsproblematisierungen in der Einleitung.
3. In der Einleitung mache ich im Übrigen ganz deutlich, dass innerhalb der symposialen Mahlkultur des Mittelmeerraumes durchaus Unterschiede feststellbar sind.
4. Die Verknüpfung der kritischen Ausführungen zum „Sühnopfer“ als dominantes Kategorie der Deutung des Todes Jesu mit der Problematisierung der These, dass das spätere Eucharistieritual auf eine Symbolhandlung des historischen Jesus zurückgeführt werden könne, habe ich aus meiner Sicht in der Arbeit nicht hergestellt. Letztere These ist aus anderen Gründen zu hinterfragen.
Des Weiteren stellt sich mir die Frage, aus welchen Gründen ein jüdischer Autor nicht auf Motive referrieren sollte, die mit dem Dionysos-Kult verbunden waren. Mit der Frage nach dem Synagogenausschluss im Hintergrund des JohEv hat das aus meiner Sicht wenig zu tun.
Für den weiterführenden Quellenhinweis danke ich Ihnen sehr. Die Aussage von Origenes passt m.E. sehr gut in das Bild der Rolle von Joh 6,51-58 im Rahmen der ritualgeschichtlichen Entwicklung der ersten drei Jahrhunderte, wie ich sie ausblickend skizziere.
Danke für Ihren ausführlichen und sachlichen Kommentar zu meiner Rezension Ihres Buches. Für mich ist es eine Premiere, dass sich der Autor eines besprochenen Werkes selbst zu Wort meldet – darüber freue ich mich.