Wie bereits erwähnt, hat Hieronymus den Psalter doppelt übersetzt: einmal nach der Septuaginta, das andere Mal aus dem Hebräischen. Dabei stand er unter einem doppelten Druck: er musste sich gegen innerkirchliche Kritiker verteidigen, die seiner Übersetzung aus dem Hebräischen grundsätzlich ablehnend gegenüber standen – und er wusste um die Unterschiede zwischen dem hebräischen Text und der LXX-Fassung, die christliche Apologeten in der Diskussion mit jüdischen Menschen stark verunsicherten. Ich habe hier einmal aus diesem Brief des Hieronymus an seinen Freund Sofronius übersetzt, der diese Aspekte ganz anschaulich wiedergibt. Frau Dr. Brandstätter hat mich bei der Übersetzung beraten, allfällige Fehler (siehe die lateinische Fassung am Ende des Eintrags) gehören weiterhin mir. Wenn Sie vergleichen wollen, finden Sie das lateinische Original hier (auf der S. 30 der PDF Datei = Adv. Ruf. II,30). Den Briefbeginn habe ich nach dieser Vulgata-Ausgabe ergänzt.
Beginn der Übersetzung
»Eusebius Hieronymus grüßt seinen Sofronius.
Neulich hast du, als du mit einem Hebräer diskutiertest, einige Argumente für den Herrn, den Erlöser, aus den Psalmen vorgebracht; und er (jener) wollte dich verhöhnen, und er behauptete fast in Monologen, es verhalte sich im Hebräischen nicht so, wie du es dagegen von den 70 Übersetzern vorbrachtest. Höchst leidenschaftlich hast du gefordert, dass ich nach Aquila, Symmachus und Theodotion eine neue Ausgabe in die lateinische Umgangssprache übertrage. Du sagtest nämlich, dass dich mehr die Verschiedenheit der Übersetzer verwirre und dass du aufgrund der Liebe, der du verfallen bist, mit meiner Übersetzung oder meinem Urteil zufrieden bist.
Daher habe ich mich, gedrängt von dir, dem ich nicht einmal das abschlagen kann, was ich nicht kann, nochmals dem Gebell meiner Gegner ausgeliefert, und ich wollte lieber, dass du in unserer Freundschaft eher meine Kräfte als meinen Willen infrage stellst. Sicher werde ich selbstbewusst sprechen, und ich werde viele Zeugen für dieses Werk zitieren (und sagen), dass ich weiß, nichts am hebräischen Text verändert zu haben. Wo immer also meine Ausgabe von den alten abweichen wird, frage einen Hebräer, und du wirst klar sehen, dass ich vergeblich von meinen Rivalen „zerrissen“ werde, die „lieber Ausgezeichnetes zu verachten scheinen als (es) zu lernen“ [der Ursprung dieses Zitates ist unklar] – überaus böswillige Menschen. Denn da sie doch immer neue Genüsse begehren und ihrer Fresssucht auch nicht die nächsten Meere genügen, warum sind sie dann nur beim Studium der Schriften mit dem alten Geschmack zufrieden? Ich sage das nicht, um meine Vorgänger zu „beißen“ oder um etwas – wie ich glaube- von denen herabzusetzen, deren Übersetzung ich mit größter Sorgfalt verbessert und einst Menschen meiner Sprache (die meine Sprache sprechen) gegeben habe; aber es ist eine Sache, Psalmen in den Kirchen derer zu lesen, die an Christus glauben, und eine andere, den Juden zu antworten, die jedes einzelne Wort kritisieren.
Wenn du, wie du versprichst, mein kleines Werk ins Griechische übersetzt, antiphiloneikōn tois diasyrusin [eifrig gegen die ankämpfend, die es in Stücke reissen] und auch die gelehrtesten Männer als Zeugen für meine Unkenntnis aufbieten willst, so will ich dir mit Horaz sagen: „In den Wald sollst du kein Holz tragen“ [Horaz, Sat. 1,10,34]. Nur das wird mich trösten, wenn ich bei unserer gemeinsamen Arbeit erkenne, dass ich mit dir Lob und Tadel gemeinsam habe.
Ich wünsche Dir Wohlergehen im Herrn Jesus – und gedenke meiner!«
Lateinische Fassung
Quia igitur nuper cum Hebraeo disputans quaedam pro Domino Salvatore de Psalmis testimonia protulisti, volensque ille te eludere, per sermones paene singulos adserebat non ita haberi in hebraeo ut tu de Septuaginta interpretibus opponebas, studiosissime postulasti ut post Aquilam, Symmachum et Theodotionem novam editionem latino sermone transferrem. Aiebas enim te magis interpretum varietate turbari et amore quo laberis vel translatione vel iudicio meo esse contentum. Unde inpulsus a te, cui et quae non possum negare non possum, rursum me obtrectatorum latratibus tradidi, maluique te vires potius meas quam voluntatem in amicitia quaerere. Certe confidenter dicam et multos huius operis testes citabo, me nihil dumtaxat scientem de hebraica veritate mutasse. Sicubi ergo editio mea a veteribus discreparit, interroga quemlibet Hebraeorum et liquido pervidebis me ab aemulis frustra lacerari, qui »malunt contemnere videri praeclara quam discere«, perversissimi homines. Nam cum semper novas expetant voluptates, et gulae eorum vicina maria non sufficiant, cur in solo studio Scripturarum veteri sapore contenti sunt? Nec hoc dico, quo praecessores meos mordeam, aut quicquam de his arbitrer detrahendum quorum translationem diligentissime emendatam olim meae linguae hominibus dederim; sed quod aliud sit in ecclesiis Christo credentium Psalmos legere, aliud Iudaeis singula verba calumniantibus respondere.
Quod opusculum meum si in graecum ut polliceris transtuleris, αντιφιλονεικων τοις διασυρουσιν, et inperitiae meae doctissimos quoque viros testes facere volueris, dicam tibi illud Oratianum: »In silvam ne ligna feras«. (Horaz, Sat. 1,10,34) Nisi quod hoc habebo solamen, si in labore communi intellegam mihi et laudem et vituperationem tecum esse communem.
Valere te in Domino Iesu cupio et meminisse mei.