Pinhas, der mörderische Priester

Num 25 schildert, wie Pinhas einen Israeliten, der sich mit einer Moabiterin in sein Zelt zurückgezogen hat, um sich dort mit ihr zu vergnügen, mit einen Speer auf seinem Liebeslager samt Gefährtin tötet. Gott spricht im Anschluss an diese Tat über Pinhas: »Hiermit gewähre ich ihm meinen Friedensbund. Ihm und seinen Nachkommen wird der Bund des ewigen Priestertums zuteil, weil er sich für seinen Gott ereifert und die Israeliten entsühnt hat.« (Num 25,12-13). Belohnt der biblische Gott hier einen religiösen Fanatiker und Mörder mit einem ewigen Priestertum? Doch die Erzählung ist in einen noch blutigeren Kontext gestellt: Wegen der Unzucht des Volkes Israel mit den Moabiterinnen sterben vierundzwanzigtausend Menschen an einem Tag – erst der Doppelmord des Pinchas stoppt dieses Gemetzel (Num 25,6-9). Wieder einmal erhebt sich die Frage: ist das eine Reportage – oder geht es hier um etwas anderes?

Auffällig ist zunächst die symbolische Zahl von vierundzwanzigtausend, und der im Hebräischen „sprechende Namen“ der ermordeten Moabiterin. Kosbi (Num 25,15)  leitet sich vom Wortstamm kzb ab und bedeutet »lügnerisch, treulos«.

Die eigentliche Sensation ist aber eine Beobachtung der alten Rabbinen. Ihnen fiel auf, dass Gott in Num 25,11 geradezu einen Stammbaum des Pinchas nennt: »pinẖas bæn ælǝ’azar bæn ‚aharon hakohēn« = »Pinhas, Sohn Eleazars, Sohn Aarons des Priesters«. Warum wurde diese Abstammung so betont? Ausgehend von der Voraussetzung, dass die Schrift keine unnötigen Informationen gibt, fanden sie die Antwort in Ex 6,25: »Eleasar, der Sohn Aarons, nahm eine Tochter Putiëls zur Frau. Sie gebar ihm Pinhas.« Putiël 1 aber war in den Augen der Rabbinen kein Israelit – mit anderen Worten: Pinhas beging einen Doppelmord für eine Tat, die Voraussetzung seiner eigenen Geburt gewesen war. Sein eigener Vater hatte ihn mit einer heidnischen Frau gezeugt!

So überliefert der Bavli die höhnischen Bemerkungen der anderen Israeliten nach der Tat des Pinhas: »Darauf begannen die Stämme ihn zu schmähen: „Seht nur diesen Puti Sohn, dessen Großvater mütterlicherseits Kälber für die Götzen mästete, nun hat er einen Stammesfürsten in Jisrael getötet“. Deshalb erzählt die Schrift seine vornehme Herkunft: Pinhas, der Sohn Eleasars, des Sohns Aarons, des Priesters (Num 25,11).« (BT, Sanh 82b – Übersetzung: Lazarus Goldschmidt)

In dem homiletischen Midrasch Pesiqta de Rab Kahana (PRK) aus dem 5. Jahrhundert (der allerdings deutlich älteres Material enthält) findet sich folgende Version: »Über Pinhas findest du: In der Stunde, in der er kam die Genealogie Israels festzustellen, sagten sie zu ihm: „Du kommst, unsere Genealogie festzustellen? Mit wem war den Eleazar verheiratet? Nicht mit der Tochter von Putiël? Steht es denn nicht geschrieben: Und Eleazar, der Sohn Aarons, nahm sich eine Tochter Putiëls zur Frau (Ex 6,25)? Und du kommst, unsere Genealogie festzustellen!“Und als der Heilige, gepriesen sei ER, sah, dass sie ihn verachteten, begann er seine Genealogie festzustellen: Pinhas, der Sohn Eleasars, des Sohnes von Aaron, der Priester (Num 25,11). Priester, Sohn eines Priesters, Eiferer, Sohn eines Eiferers.« (PRK XIII,12)

So ergibt die Erzählung eine ganz eigene Pointe: ein religiöser Fanatiker geht vor allem gegen das vor, was ihm selbst am Meisten zu schaffen macht. Natürlich sind damit nicht alle Auslegungsprobleme gelöst – aber die Erzählung erscheint mir in einem ganz anderen Licht. Ich habe die Fantasie, dass diese Erzählung von dem besonders eifernden – aber eigentlich illegitimen Priester einen historischen Hintergrund in der Zeit des zweiten Tempels hat ….

Eifer im Neuen Testament

Die Erzählung von Pinhas gibt ein wichtiges Stichwort für einen Mann des Neuen Testamentes. Der entscheidende griechische Ausdruck ist dabei zēlos – Eifer. Mit diesem Eifer verfolgte Paulus die Kirche (Phil 3,6) – und wie Pinhas eifert Paulus mit Eifer um die Gemeinde von Korinth (2 Kor 11,2). Dieser letzte Satz ist eindeutig ein Zitat der Septuaginta-Version von Num 25,11.

Auch von Jesus wird dieser Ausdruck gebraucht: nach der Tempelreinigung denken seine Jünger an das Psalmenwort (Ps 69,10): der Eifer (zēlos) um dein Haus verzehrt mich. (Joh 2,17).

Von zēlos leiten sich die Zeloten ab – aber zēlotēs kann auch eine positive Bedeutung haben: So heißt es von den tausenden gläubigen Juden der Jerusalemer Urgemeinde: »Sie alle sind Eiferer für das Gesetz« (Apg 21,20). Walter Bauer schlägt die Übersetzung »eifrige Diener des Gesetzes« vor.

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  1. Nach dem Ägyptologen Jan Assmann sind beide Namen ägyptischen Ursprungs: Pinhas = Pa-Nehsi, »der Nubier« und Putiel = Pa-di-El, »Den El gegeben hat«. Siehe: »Exodus. Die Revolution der Alten Welt«, C.H. Beck, München 2015, S. 91

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