In der heutigen Lesehore wird diese Auslegung des Hieronymus zu Sach 9,9 geboten, die bekannte Stelle, in der der Friedenskönig auf einem Esel in Jerusalem einreitet.
Brich laut in Jubel aus, Tochter Zion! Schrei deine Freude heraus, Tochter Jerusalem! Sieh doch, dein König! Er kommt zu dir. Ins Recht (zaddik) gesetzt und gerettet ist er, ohne Besitz, voll Demut und reitet auf einem Esel, ja, auf einem Grautier, dem Füllen der Eselin. (Sach 9,9; BigS)
Hieronymus kommentiert das so:
Exsultat ergo Sion et iubilat Ierusalem, una atque eadem civitas (Sion enim arx est Ierusalem) quia venit ei rex suus, qui omnium prophetarum vaticiniis repromissus est: Iustus et ipse, Salvator, id est, Iesus, sicut angelus interpretatus est, loquens ad Virginem: Et vocabitur Iesus, quia ipse salvum faciet populum suum a peccatis suis [Al. eorum] [Mat. I, 21]. Pauper quoque, sive, ut LXX transtulerunt, mansuetus, qui cum dives esset, pro nobis pauper factus est, et dicit in Evangelio: Discite a me, quoniam mansuetus sum, et humilis corde [Mat. XI, 29]. Et, ascendens super asinam subiugalem, sive super pullum novum, utrumque videlicet populum, Circumcisionis et Praeputii, quorum prior gravissimum Legis portaverat iugum, sicut in Actis apostolorum scriptum est: Nec nos, nec patres nostri potuerunt portare grave Legis iugum [Act. XV]. Unde et Paulus scribit ad Galatas qui circumcidi volebant: State, et nolite iterum iugo servitutis contineri [Galat. V, 1]. Pullus autem novus, gentilium multitudo, frena non habens Legis, nec rectus ab aliquo, sed semper in praecipitiis et in voraginibus idololatriae elisus atque confractus, Domini sessione didicit ambulare et rectam viam ingredi. (Hieronymus, Commentarii, in Zachariam, 2, Caput IX; MPL XXV, 1183-1184)
»Daher jauchzt Zion und Jerusalem frohlockt, die ein und dieselbe Stadt (denn Zion ist die Burg Jerusalems), weil ihr König zu ihr kommt, der durch die Weissagungen aller Propheten versprochen worden ist: ein Gerechter und ein Retter ist er, das bedeutet, Jesus, so wie der Engel erklärt hat, als er zur Jungfrau sprach: Und er wird Jesus genannt werden, denn er wird sein Volk aus seinen (andere Lesart: ihren) Sünden erretten (Mt 1,21). Er ist auch arm, oder, wie die Siebzig übersetzt haben, sanftmütig, 1 der, obwohl er reich war, für uns arm geworden ist (vgl. 2 Kor 8,9), und im Evangelium sagt: lernt von mir, weil ich sanftmütig bin und demütig von Herzen (Mt 11,29). Und als er sich auf einen Lastesel oder auf einen jungen, frischgeborenen (Esel) setzte, [das bedeutet] nämlich beide Völker, [das] der Beschneidung und [das] der Vorhaut, deren schwerstes Joch des Gesetzes er vorher getragen hatte, wie in der Apostelgeschichte geschrieben steht: weder wir, noch unsere Väter haben das schwere Joch des Gesetzes tragen können (Apg 15, 10). Daher schreibt auch Paulus an die Galater, die beschnitten werden wollten: Bleibt standhaft und lasst euch nicht wieder durch das Joch der Knechtschaft beherrschen. (Gal 5,1) Das frisch geborene Junge, die Menge der Völker [= die Heiden], hat nicht die Zügel des Gesetzes, noch wird es von irgendjemand gelenkt, sondern immerzu in den Abgründen und Schlünden des Götzendienstes bedrückt und gebrochen. Durch das Aufsitzen des Herrn hat es gelernt, sich auf den rechten Weg einzulassen und (ihn) zu gehen.« (Hieronymus, Kommentar zum Buch Sacharja, II,9; MÜ)
Zur Auslegungstechnik
Hieronymus nimmt einen alttestamentlichen Prophetenvers her, dessen anhaltende Bedeutung durch seine Zitation in den Evangelien ausdrücklich bestätigt wird, und wandelt ihn mittels einer allegorischen Deutung zum »Schriftbeweis« für die angebliche Aufhebung der Tora. Diese »Eselei« des Hieronymus ließ mich an einen Satz aus dem Dokument der päpstlichen Bibelkommission über »Die Interpretation der Bibel in der Kirche« denken: »Die allegorische Interpretation der Schriften, die für die patristische Exegese charakteristisch ist, wirkt auf den heutigen Menschen befremdlich.« (B.2)