Charles Clermont-Ganneau (1846 – 1923) war ein französischer Orientalist, der den Lesern und Leserinnen dieses Blogs bereits bei der Entdeckung der Tafel aus dem zweiten Jerusalemer Tempel begegnet ist. Zwei Jahre früher, 1869, erkannte Clermont-Ganneau, dass eine schwarze Stele in Dhiban (östlich des Toten Meeres, heute in Jordanien gelegen) uralt sein musste: es handelte sich um eine Inschrift des moabitischen Königs Mescha aus dem frühen 9. Jh. v. Chr., die ein aussergewöhnlich eindrucksvolles Zeugnis aus der der Umwelt des biblischen Israel darstellt. Doch diese Entdeckung verlief etwas tragisch.
Clermont-Ganneau hatte in Erinnerung, dass der schwarze Stein mit Schriftzeichen bedeckt war, daher schickte er einen ihm bekannten Araber los, um einige Zeilen der Inschrift zu kopieren.
Selim El-Kari war der Mann, der diese Kopie anfertigte. 1 Sie umfasst die Zeilen 13-20 der Inschrift. Clermont-Ganneau erkannte sofort das Alter und die Bedeutung des Textes, der in Schriftzeichen verfasst war, die der uralten Inschrift im Siloah-Tunnel Jerusalems ähnelten. Was er noch nicht wusste: diese Stele war älter.
Durch seine Verpflichtungen im französischen Konsulat von Jerusalem festgehalten, schickte er einen weiteren jungen Araber, der in seinem Auftrag einen Abklatsch der Inschrift vornahm. Infolge der so erregten Aufmerksamkeit kam es mit den Beduinen vor Ort zu einem Streit, in dessen Verlauf die Inschrift in sieben Teile zerbrochen wurde (!), von denen einige unwiederbringlich verloren gingen. 2
Es gelang Clermont-Ganneau, den Beduinen die Überreste der Stele und die erhaltenen Bruchstücke abzukaufen, so dass sie sich heute im Louvre in Paris befindet. So sieht sie nach der schweren Beschädigung aus:
Quelle: Bernhard Stade, Geschichte des Volkes Israel I, Berlin 1877, S. 537
Der Fund löste große Aufmerksamkeit aus und es wurde versucht, aus dem Abklatsch eine Transkribierung und Übersetzung zu erstellen. Einer der ersten, der das unternahm, war niemand geringerer als der grosse Theodor Nöldeke. Allerdings hatte er nur Kopien vor sich und daher befriedigte seine Arbeit nicht.
1886 publizierten Rudolf Smend und Albert Socin ihre Transkription und Übersetzung, die sie nach intensiver Untersuchung von Stein und Abklatsch im Louvre anfertigten. Zur Empörung von Clermont-Ganneau ignorierten sie aber die älteste Abschrift von Selim El-Kari. Hier das Ergebnis ihrer Transkription in die hebräische Quadratschrift:
Quelle: Rudolf Smend und Albert Socin, Die Inschrift des Königs Mesa von Moab, Freiburg im Breisgau 1886, S. 12
Wer ein wenig in Bibelhebräisch bewandert ist, wird wenig Schwierigkeiten haben, diesen Text zu entziffern.