Die Vorweihnachtszeit ist die Zeit der Interviews mit Exegeten, und wieder habe ich etwas anzumerken. Diesmal geht es um einen Beitrag in der Presse vom letzten Samstag, der sich auf ein Gespräch mit dem Grazer Neutestamentler Christoph Heil bezieht.
Das ganze erscheint unter der Überschrift »Die Quelle Q kommt dem historischen Jesus näher als die Evangelisten« und plädiert für einen authentischen Zugang zur Verkündigung Jesu, »ohne die mythologisch-symbolisch aufgeladenen Erzählungen rund um Geburt, Wanderschaft, Tod oder Auferstehung«. Heil wörtlich: »Das macht Q zum glaubwürdigsten frühen Zeugnis über den historischen Jesus«.
Larry Hurtado hat diesen Zugang, hinter dem das »International Q Project« steht, einer eingehenden Analyse unterzogen. 1 Im Anschluss an seinen Befund möchte ich ein paar kritische Rückfragen stellen:
1. Q weiß von der Kreuzigung Jesu (Q 14,27) 2 und kennt seine Wunder – Heilungen (Q 7,1-10; 10,13) und Exorzismen (Q 11,14). Neben der Debatte über diese Tätigkeit Jesus als Exorzist (Q 11,14-26) weiß Q auch von seiner Mahlgemeinschaft mit Sündern (Q 7,31-35). Q lässt keinerlei Kritik oder Distanzierung von diesen Traditionen erkennen.
»Die Entscheidung des/der Verfasser/s von Q, eine strukturierte Sammlung von Aussprüchen herzustellen und Jesu Tod nicht zu erzählen, bedeutet nicht mehr als das offensichtliche: als eine Sammlung von Aussprüchen hat Q keine ausführlichen Erzählungen von irgendetwas, den Tod Jesu eingeschlossen.« 3 Der erste, der die Kombination von Aussprüchen und Erzählungen vornahm, war Markus.
2. Q ist keine vom Tonband abgeschriebene Wiedergabe von Jesus Worten (das würde Heil auch nie behaupten) – sondern Q ist ein urchristlicher Text, der (vermutlich bereits in griechischer Sprache geschrieben) von Matthäus und Lukas (wahrscheinlich) vollständig in ihr Evangelium integriert wurde. Das wiederum bedeutet, die Evangelisten hatten keinerlei Probleme mit diesem Text und seinen christologischen Implikationen: sie sahen ihn nicht im Widerspruch zu ihrer eigenen Theologie. Q polemisiert auch nicht gegen die urchristliche Deutung des Todes und der Auferstehung Jesu.
»Ich behaupte ganz einfach, dass es sehr gute Gründe gibt, von denen, die die Q-Leute als unwissend in Bezug auf gewissen „Erlösungs-Konstrukte“ Jesu darstellen, plausible Erklärungen zu verlangen, wie das im Lichte dessen möglich sein kann, was wir sonst noch über frühe christliche Gruppen, ihre Glaubensvorstellungen, sowie ihre Kommunikation und das Reisen im ersten Jahrhundert wissen.« 4
3. Wenn das Alter einer Tradition das entscheidende Kriterium sein soll (»Q ist älter als Mt und Lk – also ist Q authentischer«), warum beziehen wir uns dann nicht auf die ältesten Traditionen im NT, wie etwa den Hymnus aus dem Philipperbrief, den Paulus bereits in den 50er Jahren als ältere Tradition zitiert, und der zwar keine Aussprüche Jesu, aber eine hoch entwickelte Theologie seines Todes und seiner Erhöhung zu Gott kennt (Phil 2, 5-11). Ist Phil deshalb »authentischer« als Q?
Schließen will ich mit einem Zitat aus Q: »Alles wurde mir übergeben von meinem Vater, und keiner erkennt, wer der Sohn ist, außer dem Vater, und wer der Vater ist, außer der Sohn, und wem immer der Sohn es offenbaren will.« (Q 10,22; Ü: Münchner Neues Testament) Es überzeugt mich einfach nicht, wenn der Eindruck erweckt wird, man müsse Q gegen die Darstellung der kanonischen Evangelium als »Differenzkriterium« einsetzen, um zu erfahren, was Jesus »wirklich gesagt« habe.