Vom Nutzen und Nachteil der Historie für die Auslegung der Bibel

Ein paar Anmerkungen zu einem Spiegel-Interview mit dem renommierten Alttestamentler Ernst Axel Knauf im November 2014.
Das Interview stammt aus dem Heft SPIEGEL GESCHICHTE 6/2014, das im November 14 erschienen ist, und hier zu Gänze nachgelesen werden kann. Es erscheint mir insofern aufschlussreich, als es die Grenzen einer rein historischen Betrachtungsweise der Bibel deutlich macht, ohne das vielleicht ausdrücklich zu wollen.

Die theologische Dimension der Bibel wird als Thema des Interviews mehr oder weniger ausgeklammert, so heißt es am Anfang:

SPIEGEL: Kann man überhaupt von der Bibel sprechen?
Knauf: Solange man darin Gottes Wort sah, hatte der Begriff seinen Sinn.

Man beachte das Plusquamperfekt der Antwort.

Gleichzeitig betont Prof. Knauf zu Recht, wie wenig an historisch gesichertem Wissen eigentlich zur Verfügung steht:

SPIEGEL: Erzählen Sie uns jetzt biblische Geschichten oder Historie?
Knauf: Meine Geschichte – oder was viele meiner Kollegen und ich für wahrscheinlich halten. Wir haben wenige Fakten (…).

Als er davon spricht, dass die zeitlichen Angaben der Königsbücher zu den Regierungszeiten der Könige in Israel und Juda im Wesentlichen zutreffend sind, und Israeliten sich bereits im 12. Jahrhundert vor der Zeitrechnung im Gebiet des heutigen Israel ausbreiteten, wird er gefragt:

SPIEGEL: Das ist ja eine schöne Begründung für die Israelis heute, die sagen: Das ist urzeitlich unser Land.
Knauf: Vorsicht, Geschichte ist immer hypothetisch. Das ist die geltende Theorie, die ich jetzt vorgetragen habe – wer weiß, was die Schüler meiner Schüler mal sagen werden?

Ist eine historische Aussage, die politisch nicht als Argument belastbar ist, theologisch relevant?

Die Interviewer fragen nach:

SPIEGEL: Was hat tatsächlich stattgefunden, was ist historisch belegt – und was nicht?
Knauf: Die biblischen Autoren wollten nie Tatsachen referieren.

Auf der anderen Seite hören wir, dass der Satz, JHWH hat Israel aus Ägypten geführt, aus dem 12. Jh. stammt. Gegen Ende wird der Charakter der Bibel dann mit folgendem Gleichnis zum Ausdruck gebracht:

SPIEGEL: Man darf also mit weiteren Überraschungen rechnen?
Knauf: Ganz sicher. Die Bibel ist wie ein Museum, das großartige Stücke aus 1000 Jahren Geschichte enthält, aber die wenigsten sind beschriftet, und bei manchen sind die Erklärungen vertauscht. Da gibt es noch vieles zu erkunden.

Also: die Bibel ist eine Art Museum; früher einmal hielt man sie (warum eigentlich?) für das Wort Gottes. Ihr inhaltlicher Kern ist im Wesentlichen mythologisch, aber der wurde immerhin literarisch ganz gut produziert.

Verstehen Sie, dass mich das nicht zufriedenstellt?

 

PS: Ich halte meine Kurz-Zitate aus dem obigen Interview auf Grund dieser Aussagen von Spiegel-Online für rechtens.

Ein Gedanke zu „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für die Auslegung der Bibel“

  1. Mich stellt das auch nicht ganz zufrieden. Dieser Professor steht nach meinem bescheidenen Dafürhalten ganz in der Schule der kritischen, d.h. vorab literatur-historischen Bibelwissenschaft des 19. Jahrhunderts, die mit Julius Wellhausen einen ersten Höhepunkt erreicht hat und die ohne die christlichen Hebraistik des 16./17. Jh. kaum zu denken ist. Eng damit verknüpft waren ja auch die zeitgenössische Altertumskunde und Altphilologie, die zum Zweck hatten, die antike Welt – historisch (!) – zu ergründen, aber auch den Sinn des biblischen Textes und den zeitgeschichtlichen Hintergrund zu rekonstruieren. Das hatte auch zur Folge, dass die jahrhundertealte Vorstellung des biblischen Moses als Stifter des Pentateuch im Zuge des modernen literaturhistorischen Zugangs zur Bibel als ein verstaubtes Relikt traditionellen Gedankenguts angesehen wurde, an dessen Stelle nun, wie auch von Ernst Axel Knauf unverhohlen postuliert, antike Schreiberschulen mit deutlich unterscheidbaren literarischen wie theologischen Profilen traten, deren Werk irgendwann um die Zeitenwende kanonisiert wurde und letztendlich – ich sage das jetzt ungern – lediglich als profane antike Literatur, die des Offenbarungszeugnisses weitgehend beraubt war, bis in unsere Tage überlebte, währenddem nach jüdischem wie auch christlichem Verständnis der Pentateuch nicht einfach ein Zeugnis der Offenbarung, sondern die einzige Offenbarung Gottes selbst ist. Das hat zur Folge, dass weder der biblische Text noch seine Auslegung einfach kontingent, d.h. in historischer Zufälligkeit aus den jeweiligen Zeit- und Lebensumständen entstanden sein können und dass die historische nicht mit der hermeneutischen Ebene verwechselt werden darf. Ich denke, dass man die Bibel nicht ohne ihre Einbindung in die nachbiblische Traditions- und Auslegungsliteratur lesen kann. Ein »Geschichtsbuch« ist sie indes nicht und will dies auch nicht sein.

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