1984 publizierte der 2004 verstorbene Papyrologe Carsten Peter Thiede die These, in der Siebten Höhle von Qumran sei ein Fragment des Markus-Evangeliums gefunden worden und zog daraus weitreichende Schlüsse für seine Frühdatierung. Ich möchte hier zeigen, warum mich das nicht überzeugt.
Das Papyrusfragment, auf dass Thiede sich bezog, stammt von einer Gruppe von kleinen Fragmenten mit Aufschrift in griechischer Sprache aus der Höhle Sieben von Qumran. Sie werden unter dem Titel 7Q5 zusammengefasst. Eine hochauflösende Infrarot-Aufnahme steht hier zur Verfügung, es handelt sich um das zweite Fragment von links in der zweiten Reihe.
Der Text ist in seiner Originalgröße kleiner als der Abdruck meines Daumens und lediglich ein Wort ist eindeutig zu lesen: καί – das griechische Wort für und. Bei dem Versuch, dieses »und« mitsamt den wenigen eindeutig lesbaren Buchstaben (10-12) als Mk 6,52 f. zu identifizieren, müssen die Vertreter dieser These »zusätzlich Textauslassungen und einen Schreibfehler akzeptieren« 1
Das ist ganz schön viel für so wenig Text. Ich lasse einmal bewusst die Unwahrscheinlichkeit der Aufnahme eines urchristlichen Textes in die Textsammlung von Qumran (!) außer acht: auch so gleicht das Vorhaben, diesem Fragment die Beweislast für die Frühdatierung des Markus-Evangeliums umzuhängen, dem Versuch, einen LKW an einem rostigen Reissnagel aufzuhängen.
Es ist zwar aristotelisch, zu denken, ein Text werde durch sein höheres Alter gewichtiger: τιμιώτατον μὲν γὰρ τὸ πρεσβύτατον, ὅρκος δὲ τὸ τιμιώτατόν ἐστιν. »Denn am Wertvollsten ist das Älteste, aber das Älteste ist der Schwur« (Met I 983b) Aber einmal ernsthaft: wird das Markus-Evangelium gewichtiger oder überzeugender, wenn ich es in die 50er Jahre datiere?