Einige Anmerkungen zur Papias-Notiz

Bei der Frage, wer der Verfasser des vierten Evangeliums nach Johannes ist, wird immer wieder auf die Angaben von Papias von Hierapolis verwiesen, einem Bischof des zweiten Jahrhunderts. 1 Sie haben als Zitate bei Irenäus von Lyon (Bischof seit 178 n. Chr.) und Eusebius von Caesarea (ca. 263 -339/340 n. Chr.) überlebt und scheinen auf den ersten Blick die Verfasserschaft des Zebedaiden Johannes zu stützen, einem der zwölf Apostel. Ich versuche hier den zweiten Blick.
Ich beginne mit den Aussagen des Irenäus von Lyon zu Beginn seines dritten Buches gegen die Häresien, das nur in einer anonymen lateinischen Übersetzung des vierten Jahrhunderts auf uns gekommen ist:

Ita Matthæus in Hebræis ipsorum lingua Scripturam edidit Evangelii, cum Petrus et Paulus Romæ evangelizarent, et fundarent Ecclesiam. Post vero horum excessum, Marcus discipulus et interpres Petri, et ipse quæ a Petro annuntiata erant, per scripta nobis tradidit. Et Lucas autem sectator Pauli, quod ab illo prædicabatur Evangelium in libro condidit. Postea et Joannes discipulus Domini, qui et supra pectus ejus recumbebat, et ipse edidit Evangelium, Ephesi Asiæ commorans. (MPG VII 844-845)

»So hat Matthäus bei den Hebräern in deren Sprache die schriftliche Darstellung des Evangeliums herausgegeben, als Petrus und Paulus in Rom das Evangelium verkündigten und die Kirche gründeten. Aber nach deren Tod hat uns Markus, der Schüler und Dolmetscher des Petrus, in eigener Person die Dinge, die von Petrus verkündigt worden sind, schriftlich überliefert. Aber auch Lukas, der Sekretär des Paulus, hat das Evangelium, das von ihm (Paulus) gepredigt wurde, in einem Buch beschrieben. Danach hat auch Johannes, der Schüler des Herrn, der auch an dessen Brust ruhte, in eigener Person ein Evangelium herausgegeben, als er in Ephesus, in Asien verweilte«. (MÜ)

Erste Rückfrage

Wie steht es um den historischen Wert dieser Notiz? Bevor wir ihre Quelle analysieren, eine erste kritische Beobachtung: Paulus hat mit Sicherheit die Kirche von Rom nicht gegründet. Die römischen Gemeinden existierten bereits, bevor Paulus nach Rom kam (Röm 15,22-24; Apg 28,15).

Die Quelle der Informationen, die Irenäus bietet, ist durch die parallele Überlieferung in der Kirchengeschichte des Eusebius erkennbar. Im Kapitel acht des fünften Buches zitiert er wörtlich den oben angeführten Text des Irenäus in griechischer Sprache. Und im 39. Kapitel des dritten Buches seiner Kirchengeschichte nennt Eusebius auch die Herkunft dieser Aussagen: Papias von Hierapolis.

Eusebius über Papias und Irenäus

Ich fasse hier die wichtigsten Aussagen des Eusebius zu Papias und Irenäus zusammen:

τοῦ δὲ Παπία συγγράμματα πέντε τὸν ἀριϑμὸν φέρεται. ἅ καὶ ἐπιγέγραπται Λογίων κυριακῶν ἐξηγήσεως.
τούτων καὶ Εἰρηναῖος ὡς μόνων αὐτῷ γραφέτων μνημονεύει, ὧδέ πως λέγων >ταῦτα δὲ καὶ Παπίας ὁ Ἰωάννου μὲν ἀκουστής. Πολυκάρπου δὲ ἑταῖρος γεγονώς, ἀρχαῖος ἀνήρ, ἐγγράφως ἐπιμαρτυρεῖ ἐν τῇ τετάρτῃ τῶν ἑαυτοῦ βιβλίων. ἒστιν γὰρ αὐτῷ πέντε βιβλία συντεταγμένα<. καὶ ὁ μὲν Εἰρηναῖος ταῦτα· αὐτός γε μὴν ὁ Παπίας κατὰ τὸ προοίμιον τῶν αὐτοῦ λόγων ἀκροατὴν μὲν καὶ αὐτόπτην οὐδαμῶς ἑαυτὸν γενέσϑαι τῶν ἱερῶν ἀποστόλων ἐμφαίνει … (CGS, Eusebius II,1 S. 284-286)

»Auch von Papias überliefert man schriftliche Werke, fünf an der Zahl. Er hat die (Bücher) der Erklärung der Herrenworte aufgeschrieben. Diese erwähnt auch Irenäus als einzig von ihm geschriebene, indem er etwa so sagt: „Dies (sagt) auch Papias, der Hörer des Johannes. Er ist ein Freund des Polykarp gewesen, ein Mann des Anfangs (der Kirche), so bezeugt er es schriftlich in dem vierten seiner Bücher, denn fünf Bücher sind von ihm verfasst worden“. Soweit Irenäus. Aber Papias selbst macht doch gemäß dem Vorwort seines Werkes deutlich, selbst in keinster Weise Hörer oder auch Augenzeuge der heiligen Apostel gewesen zu sein …« (Kirchengeschichte, III, 39 MÜ)

Auch in diesem Fall erweist sich die Angabe des Irenäus also als fragwürdig: Eusebius, der das fünfbändige Werke des Papias vorliegen hatte, weiß aus dem Vorwort, dass Papias die Apostel nicht persönlich gekannt hat. Woher aber hat Papias laut Eusebius seine Informationen?

καὶ ὁ νῦν δὲ ἡμῖν δηλούμενος Παπίας τοὺς μὲν τῶν ἀποστόλων λόγους παρὰ τῶν αὐτοῖς παρηκολουϑηκότων ὁμολογεῖ παρειληφέναι, Ἀριστίωνος δὲ καὶ τοῦ πρεσβυτέρου Ἰωάννου αὐτήκοον ἑαυτόν φησι γενέσϑαι· ὀνομαστὶ γοῦν πολλάκις αὐτῶν μνημονεὺσας ἐν τοῖς αὐτοῦ συγγράμμασιν τίϑησιν αὐτῶν παραδόσεις. (CGS, Eusebius II,1 S. 288)

»Und der soeben von uns angeführte Papias räumt ein, dass er die Worte der Apostel durch die, die ihnen nachgefolgt sind, empfangen hat. Er behauptet, selbst ein Ohrenzeuge des Aristion und des Presbyters Johannes gewesen zu sein. Wenigstens erwähnt er häufig ihre Namen in seinen Schriften und gibt ihre Überlieferungen wieder«. (ebenda, MÜ)

Woher rührt die offensichtliche Skepsis des Eusebius an der Darstellung des Papias? Das erklärt der »Vater der Kirchengeschichtsschreibung« kurze Zeit später:

καὶ ἂλλα δὲ ὁ αὐτὸς ὡς ἐκ παραδόσεως ἀγράφου εἰς αὐτὸν ἥκοντα παρατέϑειται ξένας τέ τινας παραβολὰς τοῦ σῶτῆρος καὶ διδασκαλίας αὐτοῦ καί τινα ἄλλα μυϑικώτερα· ἐν οἷς καὶ χιλιάδα τινά φησιν ἐτῶν ἔσεσϑαι μετὰ τὴν ἐκ νεκρῶν ἀνάστασιν. σωματικῶς τῆς Χριστοῦ βασιλείας ἐπὶ ταυτησὶ τῆς γῆς ὑποστησομένης· ἅ καὶ ἡγοῦμαι τὰς ἀποστολικὰς παρεκδεξάμενον διηγήσεις ὑπολαβεῖν. τὰ ἐν ὑποδείγμασι πρὸς αὐτῶν μυστικῶς εἰρημένα μὴ συνεορακότα. σφόδρα γάρ τοι σμικρὸς ὢν τὸν νοῦν, ὡς ἂν ἐκ τῶν αὐτοῦ λόγων τεκμηράμενον εἰπεῖν. φαίνεται, πλὴν καὶ τοῖς μετ᾽ αὐτὸν πλείστοις ὅσοις τῶν ἐκκλησιαστικῶν τῆς ὁμοίας αὐτῷ δόξης παραίτιος γέγονεν τὴν ἀρχαιότητα τἀνδρὸς προβεβλημένοις. ὥσπερ οὖν Εἰρηναίῳ καὶ εἴ τις ἄλλος τὰ ὅμοια φρονῶν ἀναπέφηνεν. (CGS, Eusebius II,1 S. 290)

»Derselbe (Papias) stellte so noch andere (Berichte), die aus ungeschriebenen Überlieferungen zu ihm gekommen waren, daneben – sowohl einige unbekannte Gleichnisse als auch Lehren des Erlösers und manche sehr sagenhafte andere (Berichte): in diesen behauptet er etwa, dass nach der Auferstehung von den Toten tausend Jahre kommen, in denen auf dieser Erde die Königsherrschaft Christi körperlich (sichtbar) vorhanden sein werde. 2 Ich glaube, dass er diese Erzählungen den apostolischen Vorstellungen entwendet hat. Was sie in Bildern über ihre Geheimnisse erzählten, erkannte er nicht. Denn er war geistig überaus unbedeutend, was sich in seinen Worten bestimmt ausspricht. Es scheint, dass er überdies für so gut wie die allermeisten Männer der Kirche nach ihm die Mitursache der gleichen Erwartung wurde, indem sie die Altertümlichkeit des Mannes als Vorwand gebrauchten, so wie auch Irenäus und wer sonst immer gleiche Gedanken hervorbrachte.« (ebenda, MÜ)

Fazit

Nach diesen Ausführungen des Eusebius können die Aussagen des Papias nicht wirklich Anspruch auf eine erhöhte Glaubwürdigkeit erheben. Das gilt nicht nur für die Frage nach dem Autor des vierten Evangeliums, sondern auch für die weiteren Ausführungen, wie dass Matthäus sein Evangelium ursprünglich auf Hebräisch geschrieben habe, oder dass Markus und Lukas Dolmetscher des Petrus bzw. Sekretär des Paulus gewesen seien. Ich denke, hier gibt es gute Gründe, ziemlich skeptisch zu sein.

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  1. Alle Jahresangaben dieses Beitrags folgen Charles Kannengiesser: Handbook of Patristic Exegesis.
  2. Man nennt diese Lehre nach dem im Text vorkommenden griechischen Wort für »tausend« Chiliasmus.

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