Was sagen eigentlich neuzeitliche Ausleger zu dieser Stelle der Tora? Ich will hier zwei zu Wort kommen lassen, die sich von ganz anders gearteten Zugängen her dem Text genähert haben.
Ilana Pardes
Frau Pardes ist Professorin für vergleichende Literaturwissenschaft an der Hebrew University of Jerusalem und hat sich in ihrem 1992 erschienenen Buch »Counter-Traditions in the Bible« mit dem »Blutbräutigam« auseinandergesetzt.
Ich gebe ihre Auslegung in der Zusammenfassung von Ellen Frankels »The five books of Miriam« wieder, einem jüdisch-feministischen Kommentar zur Tora. »Den narrativen Hintergrund dieser Erzählung bildet eine lange Reihe von Frauen im Leben des Mose – die Hebammen Shifra und Pua, seine Mutter, Yokheved, seine Schwester, Miriam und die Tochter Pharaos – alles Frauen, die ihre Machtlosigkeit durch Betrug überwinden. Hier narrt Zipporah den Blutdurst Gottes, in dem sie Moses selbst gegen Blut austauscht. Ein anderer Hintergrund zu dieser Erzählung sind antike semitische Mythen, in denen »Schutzgöttinnen« wie Ishtar und Innana als Beschützerinnen von Königen und Helden dienen (manchmal werden sie dabei ihre Bräutigame genannt) und der zentrale ägyptische Mythos von Isis und Osiris. Wie die Falken-Göttin Iris, deren flatternde Flügel ihren toten Bruder-Ehemann Osiris wieder zum Leben bringen, so rettet Zipporah – deren Namen „Vogel“ bedeutet – Moses vor dem Tod.
In der Zusammenschau repräsentieren die Frauen im Leben des Moses eine Porträt-Komposition der Isis, die den toten Osiris aus einer Gips-Kiste im Nil herauszieht (wie die Tochter Pharaos); sie dient als göttliche Hebamme bei königlichen Geburten (wie Shifra und Pua); sie bringt ihren Sohn in einem Papyrus-Dickicht zur Welt und verbirgt ihn vor dem rachsüchtigen Gott Seth (wie Yokheved und Miriam); und sie bringt den schlaffen Phallus ihres toten Mannes zur Auferstehung (wie Zipporah).
So repräsentiert die Erzählung vom „Blutbräutigam“ eine Art Umleitung vom Hauptverkehrsweg der Exodus-Erzählung: ein „Eindringen“ des heidnischen Milieus des Judentums in seine monotheistische Kultur. So sehr die Bibel auch versucht, Polytheismus – vor allem Göttinnen – und übernatürliche Dramen auszumerzen: Diese Episode beweist die anhaltende Loyalität der Menschen zu ihrer eigenen, lebendigen Phantasie.« (S. 101, MÜ)
Franz Maciejewski
»Franz Maciejewski ist Soziologe, Psychoanalytiker und freier Autor«. Er hat in dem 2003 erschienenen Sammelband »Der eine Gott und die Götter – Polytheismus und Monotheismus im antiken Israel« einen »ethnopsychoanalytischen« Beitrag geschrieben, der unter dem Titel »Der Ritus der Beschneidung und der Geist des Monotheismus« auch die Bibelstelle aus Ex 4,21-24 behandelt.
Maciejewski geht dabei gleichsam in die frühe Kindheit des biblischen Monotheismus zurück, wo er einen Übergang im Ritus der Beschneidung vom Mannbarkeitsritus bei Adoleszenten auf die Säuglingsbeschneidung annimmt. Dies Beschneidung müsse vom Kleinkind als »Erlebniskatastrophe« und »traumatische Attacke« gedeutet werden. Den Übergang selbst sieht er in der Erzählung von der Beschneidung der Abrahamssöhne markiert – während Ismael mit 13 Jahren beschnitten wurde (Gen 17,25) war Isaak erst acht Tage alt (Gen 21,4).
In diesem Kontext interpretiert er auch die Episode aus Ex 4. Maciejewski sieht sie von der Bindung Isaaks her – so wie Abraham in Gen 22 habe Mose versucht, seinen Sohn in Ex 4 für JHWH zu opfern. Diese Opferung verhindert Zipporah, indem sie an ihrem Sohn die Beschneidung vollzieht, die eigentlich bis dahin ein Mannbarkeitsritus war (»Blutbräutigam«).
Maciejewski schließt seine durchaus komplexen Ausführungen mit den Worten: »Eher hat die Beschneidung Jahwe hervorgebracht, als dass Jahwe die Beschneidung gefordert hat.«
Mit beiden Deutungen will ich mich im nächsten Beitrag auseinandersetzen.