Als JHWH Mose töten wollte (Ex 4,21-26) I

Unmittelbar im Anschluss an diese Episode folgt eine der rätselhaftesten Erzählungen der Tora. Hier zunächst der Text von Ex 4,21-26 in meiner Übersetzung:

Der Text

»21 Und JHWH sprach zu Mose: „Während du gehst, um nach Ägypten zurückzukehren: sieh all die Wunder, die ich in deine Hand gelegt habe – du wirst sie tun vor Pharao – und ich, ich werde verhärten sein Herz, und er wird das Volk nicht ziehen lassen.
22 Und du sollst zu Pharao sagen: So spricht JHWH: Israel ist mein erstgeborener Sohn.
23 Und ich sage dir: Lass meinen Sohn ziehen und er wird mir dienen. Und weigerst Du dich, ihn ziehen zu lassen – siehe, ich, ich werde deinen erstgeborenen Sohn töten“.
24 Und es geschah auf dem Weg, am Ort der Übernachtung: Da ging JHWH auf ihn los, und versuchte, ihn zu töten.
25 Da ergriff Zipporah einen scharfen Stein und schnitt die Vorhaut ihres Sohnes ab und berührte damit seine Beine. Und sie sprach: Denn du bist für mich ein Blutbräutigam.
26 Da ließ er von ihm ab. Damals sagte sie „Blutbräutigam“ – wegen der Beschneidungen.«

Fragen zum Text

Von der Verhärtung des Herzens des Pharaos wird noch zu reden sein – abgesehen davon ist der Text im Hebräischen vor allem uneindeutig. Dass JHWH auf Mose losgeht, ist schon Interpretation – der Namen Mose kommt in den Versen 22-26 nicht mehr vor – wird allerdings durch den Kontext nahegelegt. Aber das macht es auch nicht besser! Das Verb, das ich hier mit »auf jemanden losgehen« übersetzt habe, wird in Hos 13,8 gebraucht, um die Reaktion einer Bärin zu schildern, der man die Jungen weggenommen hat!

Aber warum wollte JHWH Mose töten? Und wenn ER es wollte, warum ließ er sich dann von diesem höchst eigenartigen und sehr archaisch wirkenden Ritus abhalten? Welchem ihrer Söhne schnitt Zipporah die Vorhaut ab? In Frage kommen Gerschom, der Erstgeborene (Ex 2,21) oder Elieser (Ex 18,2-4). Wessen Beine berührte Zipporah mit der Vorhaut? Die des Mose? Die des Sohnes? Und was bedeutet der höchst rätselhafte Ausdruck »Blutbräutigam«? Er ist streng genommen auf Deutsch gar nicht übersetzbar, denn »Blut« steht im Hebräischen im Plural – das kann ich auf Deutsch nicht wiedergeben. (Buber/Rosenzweig übersetzen: »im Geblüte Hochzeiter«, Zunz gibt den Ausdruck als »Blut-Sohn« wieder). Wer aber ist jetzt der Blutbräutigam? Zipporas Mann? Oder ihr Sohn?

Antike Übersetzungen/Erklärungen

Wie problematisch der Text schon in der Antike empfunden wurde, kann man gut an den alten Übersetzungen erkennen. Die LXX gibt die so schwierige Passage Ex 4,24-26 so wieder:

»24 Es geschah aber unterwegs, in der Herberge, da überfiel ihn der Bote des Herrn und suchte ihn zu töten. 25 Und Sepphora nahm einen Kieselstein, schnitt die Vorhaut ihres Sohnes ab, fiel (ihm) zu Füßen und sagte: Still steht das Beschneidungsblut meines Kindes! 26 Da ging er von ihr fort, weil sie gesagt hatte: Still steht das Beschneidungsblut meines Kindes!« (Ü: Septuaginta Deutsch)

Noch weiter geht das Buch der Jubiläen: Dort sagt ein Engel zu Mose: »Und du selbst weißt, was er (Gott) mit dir geredet hat auf dem Berg Sinai und was der Fürst Mastema mit dir hat tun wollen, als du nach Ägypten zurückkehrtest auf dem Weg (…) als du ihn in der Hütte trafst. Wollte er dich nicht mit aller deiner Macht töten und die Ägypter aus deiner Hand retten, als er sah, dass du zu den Ägyptern geschickt warst, Gericht und Rache zu üben?« (Jubiläen 48, 2-3; Ü: Kautzsch II S.115)

Beide Interpretationen gehen weit in die Zeit des Zweiten Tempels zurück: unsere LXX Stelle wohl ins dritte und Jubiläen ins zweite Jahrhundert vor Christus. Beide Fassungen versuchen, JHWH aus dem Angriff auf Mose herauszunehmen, in dem ein Engel diese Rolle übernimmt, Jubiläen schreibt den Angriff sogar einem bösen Engel zu. Die Schwierigkeiten mit dem Text sind also uralt. Er schreit geradezu nach Auslegung.

Biblischer Kontext

Bevor ich zur Auslegung komme, hier noch einige wichtige innerbiblische Verweise:

Ein wichtiger Bezugstext ist Gen 17,9-14: »Und Gott sprach zu Abraham: Auch du sollst meinen Bund bewahren, du und dein Samen nach dir für ihre Geschlechter. Das ist mein Bund, den ihr bewahren sollt, zwischen mir und dir und deinem Samen nach dir: Beschnitten werde bei euch jegliches Männliche. Und ihr sollt beschnitten werden an eurem Gliede der Vorhaut, und das sei zum Zeichen des Bundes zwischen mir und euch. Und acht Tage alt soll beschnitten werden bei euch jegliches Männliche für eure Geschlechter, Eingeborener des Hauses wie Gekaufter für Geld von jedem Fremden, der nicht dein Samen ist. Beschnitten werde der Eingeborene deines Hauses und der Gekaufte für dein Geld und mein Bund sei an eurem Gliede als ewiger Bund. Und ein vorhäutiger Mann, der sich nicht beschneiden läßt am Gliede seiner Vorhaut, diese Seele werde ausgerottet aus ihrem Volke, meinen Bund hat er gebrochen.« (Ü: Zunz)

Das Verb „schneiden“, das in unserem Text (Ex 4,25) verwendet wird, kommt im Hebräischen nicht nur bei der Beschneidung, sondern vor allem im Zusammenhang mit einem Bundesschluss vor. Im Hebräischen heißt »einen Bund schließen« wörtlich »einen Bund schneiden«. Dieser Ausdruck kommt daher, dass bei einem Bundesschluss Tiere zerteilt wurden (vgl. Jer 34,18).

Der Wort für »scharfer Stein« (Ex 4,25) als Instrument der Beschneidung kehrt in Jos 5,2 als »Messer aus scharfen Steinen« wieder, mit dem Josua die Wüstengeneration beschneidet, um danach mit ihr das Pessachfest zu feiern: »Das ganze Volk, das auszog, war zwar beschnitten; aber alles Volk, das in der Wüste auf dem Wege geboren war, nach dem Auszug aus Ägypten, war nicht beschnitten.« (Jos 5,5 – Schlachter)

In jedem Fall ist unser Text also mit dem Abrahamsbund und dem Exodus/Pessach verbunden.

Fortsetzung

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