Urgeschichte III

Dass zwischen den beiden Schöpfungserzählungen in Gen 1 und Gen 2 eine deutliche »Nahtstelle« zu erkennen ist, war keinen neuzeitliche Entdeckung. Dem hochgebildeten Heiden Celsus, gegen dessen Angriffe auf das Christentum Origenes ein eigenes Werk verfasste, war sie schon Ende des zweiten Jahrhunderts aufgefallen.

In seinem Werk »Gegen Celsus« wehrt sich der Kirchenvater gegen den Spott des heidnischen Philosophen, dass Mose wohl in Gen 2 vergessen habe, was er in Gen 1 geschrieben hatte. Dem aufmerksamen Kritiker war nämlich nicht entgangen, dass es nach der detaillierten Schilderung des Sechs-Tage Werkes in Gen 2,4 auf einmal hiess: »Dies ist die Entstehung des Himmels und der Erde, da diese geschaffen wurden, am Tage, da der Ewige, Gott, fertigte Himmel und Erde« (Zunz). Offensichtlich geht die zweite Erzählung nicht von sechs, sondern von einem Schöpfungstag aus. (Moderne Übersetzungen umgehen dieses Problem gerne, indem sie den Vers einfach in zwei Sätze teilen).

Dass sich die Erzählungen in Gen 1 und 2 aus zwei unterschiedlichen Quellen speisen, gehört zu den ältesten Einsichten der historisch-kritischen Erforschung der Bibel. Die auf den Schabbat hin ausgerichtete Erzählung von der Erbauung des kosmischen Tempels wird der Priesterschrift (P) zugerechnet, während die Zuordnung der zweiten Erzählung heute nicht mehr eindeutig ist. Viele Exegeten haben nämlich aus guten Gründen einen Abschied vom Jahwisten genommen – so dass Gen 2 heute oft einfach als »nicht priesterschriftliche«  Erzählung bezeichnet wird.

Um noch einmal auf Celsus zurückzukommen: Nein, »Mose« hatte in Gen 2 nicht vergessen, was in Gen 1 geschrieben stand. Der Mann, der zum Buch wurde, hat beide Erzählungen bewusst hintereinander gestellt – weil es eben nie um eine widerspruchsfreie naturwissenschaftliche Schilderung ging. Das Argument des Origenes gegen Celsus, dass die Bibel nur als Einheit begriffen werden kann, hat meiner Meinung nach nichts von seiner Gültigkeit verloren – denn zu dieser Einheit gehört das spannungsvolle Miteinander unterschiedlicher Traditionen.

2 Gedanken zu „Urgeschichte III“

  1. Guten Tag
    Vielen Dank für Ihre Auslegung.
    Ich bin etwas verwirrt über die Aussage, dass Gott die Erde nicht in 6 Tagen (ohne das Thema Sabbat), also jeweils 24 Stunden erschaffen haben soll. Nun ich bin kein Gelehrter und ich kenne auch keine Griechischen oder andere Originalschriften.
    Ich hoffe, also dass ich hier keine „dummen“ Fragen stelle.
    In Gen 1 wird ausdrücklich ein Tag nach dem anderen geschildert. Deshalb verstehe ich hier eine Schilderung, die bewusst das Zeitliche miteinbezieht.
    In Exodus 20, 8-11, beim Gebot des Sabbats bestätigt Gott unter anderem noch einmal, das Er die Welt in 6 Tagen geschaffen hat.
    Im Gegensatz dazu wechselt in Gen 2 der Fokus vom Zeitlichen und der gesamten Schöpfung auf die Erschaffung des Menschen.
    Der Fokus wird im obigen Text in Gen 2,4 auf „am Tage“ als schlüsselwort gelegt. Wird damit tatsächlich sprichwörtlich ein Tag gemeint oder kann dies auch zum beispiel als „Zeitraum“ oder ähnlich übersetzt werden?

    1. Keinem antiken Ausleger wäre eingefallen, dass die sechs (?) Schöpfungstage aus Gen 1 vierundzwanzig Stunden dauerten – wie soll denn das auch gehen, nachdem die Sonne erst am vierten Tag erschaffen wurde?
      Warum ist dann schon am ersten Tag von Morgen und Abend die Rede – ohne Sonnenauf- und Sonnenuntergang?
      Weil am Abend und am Morgen geopfert wurde – vgl. Ex 29,38-42; Num 28,1-6; Esr 3,1-5; Neh 10,34 und Ez 46,13-15
      Außerdem ist es gar nicht ausgemacht, dass die erste Schöpfungserzählung von einem Sechstagewerk spricht.
      Die von Ihnen vorgeschlagene ‚Lösung‘, das „an dem Tag“ mit „zu dieser Zeit“ zu übersetzen, gibt es natürlich schon, so bei Luther und in der (revidierten) Einheitsübersetzung. Genaue Übersetzungen, wie die Elberfelder, weichen dem Problem aber nicht aus.

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