E.T.A. Hoffmann zitiert den heiligen Hieronymus

Im dritten Kapitel seiner meisterhaften Erzählung „Klein Zaches“ paraphrasiert Hoffmann Aussagen des Kirchenvaters:

Es gibt poetische Aszetiker, die noch weiter gehen und es aller weiblichen Zartheit entgegen finden, daß ein Mädchen lachen, essen und trinken und sich zierlich nach der Mode kleiden sollte. Sie gleichen beinahe dem heiligen Hieronymus, der den Jungfrauen verbietet, Ohrgehänge zu tragen und Fische zu essen. Sie sollen, so gebietet der Heilige, nur etwas zubereitetes Gras genießen, beständig hungrig sein, ohne es zu fühlen, sich in grobe, schlecht genähte Kleider hüllen, die ihren Wuchs verbergen, vorzüglich aber eine Person zur Gefährtin wählen, die ernsthaft, bleich, traurig und etwas schmutzig ist!

Sämtliche Werke IV (1910) S. 165

Der kritische Apparat verweist auf den Brief 107 an Laeta über die Erziehung ihrer Tochter. Schauen wir einmal, ob Hoffmann den Hieronymus authentisch wiedergeben hat. Ich zitiere ihn nach der CSEL Ausgabe von 1912.

HoffmannHieronymus
verbietet, Ohrgehänge zu tragencaue, ne aures perfores (CVII,5)
und Fische zu essencibus eius holusculum sit et simila raroque pisciculi. (XVII,10)

Das mit den Ohrgehängen ist korrekt wiedergegeben, das mit den Fischen nicht ganz, die will Hier. immerhin selten erlaubt haben.

HoffmannHieronymus
Sie sollen, so gebietet der Heilige, nur etwas zubereitetes Gras genießen, beständig hungrig sein, ohne es zu fühlen.cibus eius holusculum sit (…) sic comedat, ut semper esuriat (ebenda)

Hier hat Hoffmann das Richtige getroffen.

HoffmannHieronymus
sich in grobe, schlecht genähte Kleider hüllen, die ihren Wuchs verbergenspernat bombycum telas, Serum uellera et aurum in fila lentescens. talia uestimenta paret, quibus pellatur frigus, non quibus corpora uestita nudentur. (ebenda)

Auch das ist zutreffend formuliert.

HoffmannHieronymus
vorzüglich aber eine Person zur Gefährtin wählen, die ernsthaft, bleich, traurig und etwas schmutzig ist!placeat ei comes non compta atque formonsa, quae liquido gutture carmen dulce moduletur, sed grauis, pallens, sordidata, subtristis. (CVII,9)

Wiederum eine ziemlich exakte Beschreibung. Wenn man dann noch dazunimmt, dass Hieronymus dem jungen Mädchen jegliches Musik-Instrument verbietet –

surda sit ad organa. tibia, lyra et cithara cur facta sint, nesciat.

Ep. CVII,8

– dann fasst man es eigentlich nicht, dass die Herausgeber dieses Briefes im 19. Jahrhundert ihm zubilligen wollten, dass er „ein feines psychologisches Verständnis für die kindliche Seele“ gehabt habe und liest mit Beklemmung, dass Laeta ihre Tochter tatsächlich nach Betlehem geschickt hat, um sie dem Kirchenvater zu übergeben.

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