Frauen sollen in der Kirche schweigen

Zu den berüchtigtsten Texten des Neuen Testamentes gehört der ominöse Satz aus dem 1. Korintherbrief, einem in der Forschung unumstritten Paulus zugeschriebenem Brief: mulieres in ecclesiis taceant – die Frauen sollen in den (gottesdienstlichen) Versammlungen schweigen (1 Kor 14,34). Die Frage ist aber: hat Paulus das wirklich geschrieben?

Im Kontext des ersten Korinthers steht dieser Satz in starker Spannung zu anderen Aussagen des Briefes: in Kapitel 11 wird die Frage angerissen, wie Frauen im kirchlichen Gottesdienst prophetisch reden sollen. Paulus verlangt, dass sie das mit bedecktem Haupt tun (1 Kor 11,5). Er bestreitet dieses Recht also nicht und spricht ausdrücklich davon, dass diese Regelung für αἱ ἐκκλησίαι τοῦ θεοῦ / für die Versammlungen Gottes gelten soll (1 Kor 11,16). Übrigens: Prophetisch reden bedeutet im Namen Gottes zu der Gottesdienstgemeinde zu sprechen, also mit höchster Autorität. Wie geht das mit einem generellen Schweigegebot zusammen?

Die zweite Schwierigkeit ergibt sich aus 1 Kor 14,5a. Dort sagt der Apostel: θέλω δὲ πάντας ὑμᾶς λαλεῖν γλώσσαις, μᾶλλον δὲ ἵνα προφητεύητε· »Ich will, dass ihr alle in Zungen redet, noch mehr aber, dass ihr prophetisch redet«. Aus den weiteren Ausführungen geht hervor, das wiederum keine private Andacht, sondern die gottesdienstliche Versammlung gemeint ist (vgl. 1 Kor 14,5b. 23-25). Wiederum erhebt sich die Frage: wie passt das zu einem generellen Schweigegebot für Frauen?

Nimmt man dann noch das bekannte Wort aus Gal 3,28 dazu:

Da gibt es keinen Juden noch Griechen,
da gibt es keinen Sklaven noch Freien,
da gibt es kein Männliches und Weibliches.
Denn alle seid ihr Einer – im Messias Jesus.
(Ü: Fridolin Stier)

dann ist es nicht weit zu der Feststellung, dass 1 Kor 14,34 im Widerspruch zu den sonstigen Aussagen des Apostels zum Thema steht.

Textkritische Schwierigkeiten

Der rein inhaltlich Befund wird durch den textkritischen bestärkt. Nestle-Aland XXVIII führt zu den Versen 1 Kor 14,34-35 folgenden Hinweis an: vss 34/45 pon. p. 40 D F G ar b vgms. Das bedeutet: Die Verse 34 und 35 sind hinter Vers 40 gestellt, und zwar in folgenden Handschriften:

  • Codex Bezae Cantabrigiensis (5. Jh.)
  • Codex Augiensis (9. Jh.)
  • Codex Boernerianus (9. Jh.)
  • arabischen Übersetzungen
  • einem altlateinischen Zeugen
  • einer Vulgata Handschrift

Wirkliche Schwergewichte sind nicht darunter, dennoch spricht die Unsicherheit bezüglich der Einordnung der beiden Verse ebenfalls dafür, dass sie sekundär sind. 1

Neuere Analysen zum Codex Vaticanus

Philip B. Payne hat in den New Testament Studies 2 eine eingehende Analyse der Markierungen vorgelegt, die der Schreiber am Text des Codex Vaticanus angebracht hat und dazu folgende These entwickelt:

Ausschnitt aus der Seite 1474 des Codex Vaticanus; © Bibliotheca Apostolica Vaticana
Ausschnitt aus der Seite 1474 des Codex Vaticanus; © Bibliotheca Apostolica Vaticana

Wie man auf diesem (von der vatikanischen Bibliothek zur Verfügung gestellten) Bild erkennen kann, hat der Schreiber neben dem fraglichen Text einen doppelten Punkt (distigme) und unter dem ersten Buchstaben der Zeile einen Strich angebracht. Außerdem habe er am Ende dieser so gekennzeichneten Zeile eine längere Auslassung vorgenommen, obwohl dort noch Platz gewesen sei. Dies und der Vergleich mit ähnlichen Markierungen aus dem LXX-Text des Vaticanus (der eine christliche Vollbibel aus AT und NT ist), führen Payne zu der Annahme, der Schreiber habe die Aussage des Briefes über das Schweigen der Frauen im Gottesdienst als nachträgliche Hinzufügung markieren wollen.

So sympathisch ich die These finde – sie überzeugt mich nicht. Ein Blick auf die gesamte Seite 1474 des Vaticanus 3 zeigt warum:

Seite 1474 des Codex Vaticanus; © Biblioteca Apostolica Vaticana
Seite 1474 des Codex Vaticanus; © Biblioteca Apostolica Vaticana
  • Distigme und Unterstrich finden sich relativ häufig auf der Seite.
  • Die angebliche Auslassung erklärt sich ebenso gut durch einen Doppelpunkt am Ende der Zeile.
  • Payne muss mit Millimetern argumentieren, wenn er den Unterschied dieses Doppelpunktes neben 1 Kor 14,33 f. zu den anderen Doppelpunkten in der neutestamentlichen Briefliteratur des Vaticanus deutet.

Fazit

Auch wenn mich die Analyse zur Stelle im Codex Vaticanus nicht überzeugt: die inhaltlichen Gründe und der unumstritten gegebene textkritische Befund liefern starke Argumente, dass der so bekannte Abschnitt nicht auf den Apostel zurückgeht, sondern nachträglich in den Brief eingefügt wurde.

Nachtrag vom 15. Dezember 2017

Aļesja Lavrinoviča hat mich zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass der erste von mir genannte Textzeuge nicht der Codex Bezae Cantabrigiensis sein kann, denn der enthält keine Paulusbriefe! Gemeint ist der Codex Claromontanus. Das kommt davon, wenn man kleinliche Fußnoten schreibt …

Fußnoten:

1

Such a multiple location for a body of text usually means that it has been inserted by various copyists, who made different choices about where to do so. (Larry Hurtado in seinem Blog)

2

»Vaticanus Distigme-obelos Symbols Marking Added Text, Including 1 Corinthians 14,34-5« (2027),63 S. 604-625

3

1 Kor 14,33-34 findet sich nicht auf S. 1478, wie Aļesja Lavrinoviča in New Testament Studies 2017/63 S. 377 fälschlicherweise angibt

Ein Gedanke zu „Frauen sollen in der Kirche schweigen“

  1. Wer heute noch dafür ist, dass die Frau in der Kirche schweige, der ist aus der Zeit gefallen. –
    Eine Vorzeigefrau in der Kirche ist die Bischöfin Käsmann…-
    Ab 01.01.2023 wird dieser überalterte Grundsatz in der Neuapostolischen Kirche auch „über Bord geworfen“ .

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