Im Deuteronomium verbietet die Tora Mischehen zwischen Israeliten und Moabitern oder Ammonitern. Doch im Buch Rut wird eine Moabiterin Urgroßmutter von König David (Rut 4,21-22; 1 Chr 2,11-15; Mt 1,5-6). Plädiert Rut also für eine Aufhebung dieser Bestimmung der Tora?
Die Vorgabe aus Dtn lautet:
לֹֽא־יָבֹא עַמּוֹנִי וּמוֹאָבִי בִּקְהַל יְהוָה גַּם דּוֹר עֲשִׂירִי לֹא־יָבֹא לָהֶם בִּקְהַל יְהוָה עַד־עוֹלָֽם׃
»Es soll kein Ammoni und kein Moabi in die Gemeinde des Ewigen kommen; auch das zehnte Geschlecht soll ihnen nicht kommen in die Gemeinde des Ewigen bis auf ewig.« (Ü: Zunz)
Hinter dieser Aussage stehen sicher auch historische Erfahrungen mit diesen Nachbarvölkern des alten Israel. Aber was tun mit dieser Kombination von König David und einer Moabiterin? Der große Midrasch zum Buch Rut bestreitet ausdrücklich, dass die entsprechende Weisung der Tora aufgehoben worden sei:
Aus dem Midrasch Rut Rabba
:וישאו להם נשים מואביות תני בשם ר‘ מאיר
לא גיירום ולא הטבילו אותם
,ולא הייתה הלכה להתחדש
:ולא היו נענשין עליהם
.עמוני ולא עמונית, מואבי ולא מואבית
»Und sie nahmen sich moabitische Frauen.« (Rut 1,4) Es wird gelehrt im Namen Rabbi Meïrs:
Sie konvertierten sie nicht und sie ließen sie nicht untertauchen,
und (die) Halacha wurde nicht erneuert,
und deswegen wurden sie auch nicht bestraft:
[Denn es heißt in Dtn 23,4] »ein Ammoniter« und nicht »eine Ammoniterin«, »ein Moabiter« und nicht »eine Moabiterin«. (Midrasch Rut Rabba II,9; MÜ)
Für den Midrasch ist also klar: die Tora wurde nicht übertreten, denn sie richtet sich vom Wortlaut her nur gegen männliche Mitglieder dieser Völker. Und das »Schwächlich« und »Gebrechlich« starben, war keine Folge einer allfälligen Sünde.
Die Auslegung bei Esra/Nehemia
Einen ganz anderen Zugang wählen die Bücher Esra und Nehemia: hier werden die Mischehen mit nichtiraelitischen Frauen verworfen und aufgelöst (Esra 10) – ausdrücklich erwähnt werden dabei auch ammonitische und moabitische Frauen (Neh 13,23).
Von daher scheint mir kein Weg daran vorbeizuführen: das Buch Rut legt die Bestimmung von Dtn 23,4 aus – und es tut das anders, als Esra und Nehemia.
Die Aussage des Midrasch resp. der Tora, die sich nur nur gegen männliche Mitglieder richtet, wird im übrigen auch von der Mischna (Jeb VIII,3) gestützt. Es heisst dort u.a.: »Die Ammoniter und die Moabiter sind [zur Ehe] verboten, und dieses Verbot gilt für alle Zeiten, ihre weiblichen Nachkommen sind aber sofort (d.h. nach einem Übertritt zum Judentum) erlaubt ( אבל נקבותיהם מתרות מיד ).« Mit den männlichen Ammonitern bleibt, trotz einer Konversion zum Judentum, die Ehe verboten, denn »sie sind euch nicht mit Brot und Wasser entgegengekommen auf dem Weg, als ihr ausgezogen seid aus Ägypten« (Dtn 23:5, Übersetzung Zürcher Bibel); die Frauen aber trifft dieser Vorwurf nicht, weil ihnen die öffentliche Ausübung dieser Pflicht nicht obliegt (vgl. dazu auch bT Jeb 76b).