Letzte Woche habe ich hier in Wien einen sehr interessanten Vortrag von Dr. Lukas Dorfbauer vom CSEL der Universität Salzburg gehört. Er berichtete darin, wie er in der Kölner Dombibliothek den ältesten erhalten gebliebenen Evangelienkommentar in lateinischer Sprache entdeckte.
Das Werk galt als verschollen, man wusste aber, dass es existierte, da es Hieronymus in seinem Werk über berühmte Männer »De viris illustribus« erwähnt. Unter Nr. 97 schrieb er:
Fortunatianus, natione Afer, Aquileiensis episcopus, imperante Constantio, in Evangelia, titulis ordinatis, brevi et rustico sermone scripsit commentarios: et in hoc habetur detestabilis, quod Liberium, Romanae urbis episcopum, pro fide ad exsilium pergentem, primus sollicitavit ac fregit, et ad subscriptionem haereseos compulit.
»Fortunatianus, von der Herkunft Afrikaner, Bischof von Aquileia: er verfasste, als Constantius Kaiser war, in einem gedrängten und ungeschliffenen Stil Kommentare zu den Evangelien, die nach Überschriften angeordnet sind. Und er verhielt sich darin verabscheuenswert, dass er Liberius, den Bischof der römischen Stadt, als er sich für den Glauben ins Exil aufmachte, als Erster beunruhigte und entmutigte und zu einer Unterschrift der Häresie veranlasste«. (De viris illustribus, XCVII; MÜ)
[Wer mehr über die Hintergründe und die theologische Bedeutung dieser Unterschrift von Papst Liberius wissen will, sei auf den berühmten Artikel von John Henry Cardinal Newman verwiesen: »On Consulting the Faithful in Matters of Doctrine«.]
Der von Hieronymus so beschriebene Kommentar von Bischof Fortunatianus galt lange als verschollen, 1920 und 1954 wurden Fragmente entdeckt, die sich diesem Kommentar zuschreiben ließen.
Der Fund
Dr. Dorfbauer stieß auf den Kommentar, als er Handschriften der Kölner Dombibliothek untersuchte, die von der Bibliothek dankenswerterweise online gestellt worden waren. Unter den dort veröffentlichten Dokumenten fand sich dieser Codex aus dem ersten Drittel des neunten Jahrhunderts.
Auf Grund mehrerer Formalia erkannte Dr. Dorfbauer, dass es sich um die Kopie einer wesentlich älteren Vorlage handelte, und er stieß bei genauerer Lektüre innerhalb dieser Handschrift auf die drei schon bekannten Fragmente des Kommentars.
Außerdem entspricht der Kommentar auch der von Hieronymus genannten Beschreibung, was die Qualität der Sprache und seine Anordnung angeht. Hier sehen Sie den Beginn des Verzeichnisses der tituli, die der Kirchenvater erwähnt hat.
Fazit: es handelt sich um den verschollen geglaubten Evangelien-Kommentar des Bischofs Fortunatianus aus dem 4. Jahrhundert – und damit um den bisher ältesten bekannten Kommentar zu den Evangelien in lateinischer Sprache!