Der große Rembrandt Harmenszoon van Rijn hat viele biblische Motive gemalt. Eines davon beschäftigt mich schon des längeren, nämlich Beschazzars Festmahl und das berühmte Menetekel an der Wand (Dan 5,25).
Das seltsame an dem Bild ist die Schreibung: der Maler bildet den geheimnisvollen Spruch nämlich nicht, wie zu erwarten, in der Schriftrichtung von rechts nach links ab:
מנא מנא תקל ופרסין
Sondern, auf eine seltsame Weise von oben nach unten:
Konnte Rembrandt vielleicht kein Aramäisch 1 oder beherrschte er die hebräische Schrift nicht? Keines von beidem. Die Lösung dieses Schriftbildes findet sich vielmehr im Talmud.
bSanh 22a
In einer längeren Diskussion, in welcher Schrift Israel die Tora verliehen wurde und ob sie sich im Lauf der Zeit geändert habe, kommen die Rabbinen auch auf Dan 5,25 und seine Deutung zu sprechen. Es heißt dort:
לר“ש דאמר כתב זה לא נשתנה
מאי לא כהלין כתבא למיקרא
אמר רב בגימטריא איכתיב להון יטת יטת אידך פוגחמט
מאי פריש להו
מנא מנא תקל ופרסין מנא מנא אלהא מלכותך
(והשלמת לך)
תקיל תקילתא במאזניא והשתכחת חסיר
(פרסין)
פריסת מלכותך ויהיבת למדי ופרס
ושמואל אמר ממתוס ננקפי אאלרן
ור‘ יוחנן אמר אנם אנם לקת ניסרפו
:רב אשי אמר נמא נמא קתל פורסין
Betreffend Rabbi Schimeon, der gesagt hat: diese Schrift wurde nicht geändert;
Was (bedeutet dann): »sie konnten die Schrift nicht lesen« (Dan 5,8)?
Rav sagte: sie war eine Gematrie 2 und erschien ihnen 3 als 4
יטת יטת אידך פוגחמט.
Was erklärte er ihnen?
»’Mene, Mene, Tekel, und Pharsin‘. Mene – gezählt hat Gott dein Königtum
(und ich habe dich preisgegeben)
Tekel – du wurdest gewogen auf den Wagschalen und du wurdest zu leicht befunden
(Pharsin -)
Dein Königtum wurde geteilt und es wurde dem Meder und dem Perser gegeben.« (Dan 5,26-28)
Und Schmuël sagte: 5
ממתוס ננקפי אאלרן
Und Rabbi Jochanan sagte: 6
אנם אנם לקת ניסרפו
Rav Aschi sagte: 7
נמא נמא קתל פורסין
(bSanh 22a, MÜ)
Was wollen die Rabbinen damit sagen? Sie produzieren doch nur weitere unverständliche Lesarten eines unverständlichen Textes. Ich meine – genau das ist die Deutung: der ursprüngliche Sinn des wohl verschlüsselten Textes lässt sich nicht mehr ermitteln.
Mich beeindruckt, dass Rembrandt den schönste Deutungsversuch für seine Gemälde verwendet hat – den von Schmuël. Dass er nicht von selbst darauf gekommen ist, scheint mir einleuchtend – es müssen ihn Amsterdamer Juden mit dieser talmudischen Tradition vertraut gemacht haben.
Danke, wirklich ein spannendes Thema! Zudem ein Bild, das mich schon immer in den Bann gezogen hat. Hier finden sich noch einige weitere interessante Details zum Leben von Rembrandt:
http://press.uchicago.edu/ucp/books/book/chicago/R/bo3640864.html
Noch eine Ergänzung: Die Szene in Dan 5,7 (»Der König rief laut, man solle die Zauberer, die Sterndeuter und die Wahrsager hereinbringen. Daraufhin sprach der König zu den Weisen Babels: Wer diese Schrift lesen und mir ihre Deutung kundtun kann, wird Purpur tragen, und um den Hals wird er die goldene Kette tragen, und als Dritter wird er im Königreich herrschen«, Übersetzung gem. Zürcher Bibel) beschreibt die offensichtliche Panik des Belschazzar, der die ominöse Schrift nicht entziffern kann. Unverkennbare Parallelen zu dieser Erzählung findne sich auch in Gen 41,8 (»Am Morgen aber war er beunruhigt in seinem Geist, und er sandte hin und liess alle Wahrsager und alle Weisen von Ägypten rufen. Und der Pharao erzählte ihnen seine Träume, aber keiner war da, der sie dem Pharao deuten konnte.«) und in Dan 2,2 (»Da befahl der König, die Magier und die Zauberer und die Hexer und die Sterndeuter zu rufen, um dem König seine Träume kundzutun. Und sie kamen und traten vor den König.«). In der Antike scheinen im Orient Wortspiele (vgl. Dan 5,25ff) als Traumdeutung gängige Technik gewesen zu sein. Mit diesem Thema setzt sich auch der Talmud (Berachot 56a ff) sehr ausführlich auseinander. Ein Beispiel: הרואה פיל בחלום – פלאות נעשו לו, פילים – פלאי פלאות נעשו לו (»Wer e i n e n Elefanten im Träume sieht, dem geschehen Wunder; wer Elefanten, dem geschehen Wunder über Wunder.« aus: »Der babylonische Talmud«, neu übertragen durch L. Goldschmidt, Berlin 1930, Bd 1 S. 251))