In Ergänzung zu meinen Ausführungen über die Deuterosis bei Hieronymus und Justinian, hier noch eine Belegstelle bei Eusebius von Caesarea (ca. 260 – 340 n. Chr.). Alle folgenden Übersetzungen sind von mir. Für die Darstellung der Aussage des Kirchenvaters muss ich etwas ausholen: die Aussage findet sich in seinem Werk »Demonstratio evangelica« (Εὐαγγελικὴ ἀπόδειξις = Beweis des Evangeliums), der ursprünglich zwanzig Bücher umfassenden Fortsetzung der »Praeparatio evangelica« (Εὐαγγελικὴ προπαρασκευή = Vorbereitung des Evangeliums), die es immerhin auf fünfzehn Bücher bringt.
König Usija und sein Aussatz
Die Angelegenheit wird dadurch verkompliziert, dass der biblische König, um den es geht, in der Schrift mit zweit verschiedenen Namen bezeichnet wird. Der Einfachheit halber nenne ich ihn hier nur Usija. 1 Trotz seiner extrem langen Regierungszeit fällt deren Darstellung in den Königsbüchern merkwürdig knapp aus.
Usija in 2 Kön 15
In 2 Kön 15,5 heißt es über den Usija:
וַיְנַגַּ֨ע יְהוָ֜ה אֶת־הַמֶּ֗לֶךְ וַיְהִ֤י מְצֹרָע֙ עַד־י֣וֹם מֹת֔וֹ
»Und der HERR schlug den König und er wurde aussätzig bis zum Tag seines Todes.«
Warum aber wurde der König geschlagen? Immerhin wird seine Regierungszeit in 2 Kön 15,3 ungewöhnlich gut benotet:
וַיַּ֥עַשׂ הַיָּשָׁ֖ר בְּעֵינֵ֣י יְהוָ֑ה כְּכֹ֥ל אֲשֶׁר־עָשָׂ֖ה אֲמַצְיָ֥הוּ אָבִֽיו׃
»Und er tat das Rechte in den Augen des HERRN, ganz wie es Amazja, sein Vater, getan hatte.«
Einzige Einschränkung (1 Kön 15,4):
רַ֥ק הַבָּמ֖וֹת לֹא־סָ֑רוּ ע֥וֹד הָעָ֛ם מְזַבְּחִ֥ים וּֽמְקַטְּרִ֖ים בַּבָּמֽוֹת׃
»Nur die Höhen wichen nicht, weiterhin opferte und räucherte das Volk auf den Höhen«.
Usija in 2 Chr 26
Den Chronikbüchern war das aber nicht genug als Motiv für diese harte Bestrafung des Königs, der immerhin 52 Jahre regierte und vielleicht einen Großteil dieser Zeit als Aussätziger in seinem Haus verbringen musste (2 Kön 15,2+5). 2 Sie wissen von einem Frevel des Königs im Tempel zu berichten (2 Chr 26,16-23):
וּכְחֶזְקָת֗וֹ גָּבַ֤הּ לִבּוֹ֙ עַד־לְהַשְׁחִ֔ית וַיִּמְעַ֖ל בַּיהוָ֣ה אֱלֹהָ֑יו וַיָּבֹא֙ אֶל־הֵיכַ֣ל יְהוָ֔ה לְהַקְטִ֖יר עַל־מִזְבַּ֥ח הַקְּטֹֽרֶת׃
וַיָּבֹ֥א אַחֲרָ֖יו עֲזַרְיָ֣הוּ הַכֹּהֵ֑ן וְעִמּ֞וֹ כֹּהֲנִ֧ים ׀ לַיהוָ֛ה שְׁמוֹנִ֖ים בְּנֵי־חָֽיִל׃
וַיַּעַמְד֞וּ עַל־עֻזִּיָּ֣הוּ הַמֶּ֗לֶךְ וַיֹּ֤אמְרוּ לוֹ֙ לֹא־לְךָ֣ עֻזִּיָּ֗הוּ לְהַקְטִיר֙ לַֽיהוָ֔ה כִּ֣י לַכֹּהֲנִ֧ים בְּנֵי־אַהֲרֹ֛ן הַמְקֻדָּשִׁ֖ים לְהַקְטִ֑יר צֵ֤א מִן־הַמִּקְדָּשׁ֙ כִּ֣י מָעַ֔לְתָּ וְלֹֽא־לְךָ֥ לְכָב֖וֹד מֵיְהוָ֥ה אֱלֹהִֽים׃
וַיִּזְעַף֙ עֻזִּיָּ֔הוּ וּבְיָד֥וֹ מִקְטֶ֖רֶת לְהַקְטִ֑יר וּבְזַעְפּ֣וֹ עִם־הַכֹּהֲנִ֗ים וְ֠הַצָּרַעַת זָרְחָ֨ה בְמִצְח֜וֹ לִפְנֵ֤י הַכֹּֽהֲנִים֙ בְּבֵ֣ית יְהוָ֔ה מֵעַ֖ל לְמִזְבַּ֥ח הַקְּטֹֽרֶת׃
וַיִּ֣פֶן אֵלָ֡יו עֲזַרְיָהוּ֩ כֹהֵ֨ן הָרֹ֜אשׁ וְכָל־הַכֹּהֲנִ֗ים וְהִנֵּה־ה֤וּא מְצֹרָע֙ בְּמִצְח֔וֹ וַיַּבְהִל֖וּהוּ מִשָּׁ֑ם וְגַם־הוּא֙ נִדְחַ֣ף לָצֵ֔את כִּ֥י נִגְּע֖וֹ יְהוָֽה׃
וַיְהִי֩ עֻזִּיָּ֨הוּ הַמֶּ֜לֶךְ מְצֹרָ֣ע ׀ עַד־י֣וֹם מוֹת֗וֹ וַיֵּ֜שֶׁב בֵּ֤ית הַֽחָפְשִׁית֙ מְצֹרָ֔ע כִּ֥י נִגְזַ֖ר מִבֵּ֣ית יְהוָ֑ה וְיוֹתָ֤ם בְּנוֹ֙ עַל־בֵּ֣ית הַמֶּ֔לֶךְ שׁוֹפֵ֖ט אֶת־עַ֥ם הָאָֽרֶץ׃
וְיֶ֙תֶר֙ דִּבְרֵ֣י עֻזִּיָּ֔הוּ הָרִאשֹׁנִ֖ים וְהָאֲחֲרֹנִ֑ים כָּתַ֛ב יְשַֽׁעְיָ֥הוּ בֶן־אָמ֖וֹץ הַנָּבִֽיא׃
וַיִּשְׁכַּ֨ב עֻזִּיָּ֜הוּ עִם־אֲבֹתָ֗יו וַיִּקְבְּר֨וּ אֹת֤וֹ עִם־אֲבֹתָיו֙ בִּשְׂדֵ֤ה הַקְּבוּרָה֙ אֲשֶׁ֣ר לַמְּלָכִ֔ים כִּ֥י אָמְר֖וּ מְצוֹרָ֣ע ה֑וּא וַיִּמְלֹ֛ךְ יוֹתָ֥ם בְּנ֖וֹ תַּחְתָּֽיו׃
»Und als er mächtig geworden war, wurde sein Herz hochmütig, um ihn sogar zu verderben. Da wurde er treulos gegen den HERRN, seinen Gott, und ging zum Tempel des HERRN, um auf dem Räucheraltar zu opfern.
Da kam der Priester Azarja hinter ihm her und mit ihm achtzig zuverlässige Priester des HERRN.
Und sie traten zu dem König Usija und sagten zu ihm: ‚Usija, es steht dir nicht zu, dem HERRN zu opfern, denn (nur) die Priester, die Söhne Aarons, sind geweiht, um zu opfern. Geh hinaus aus dem Heiligtum, denn du bist treulos und es steht dir keine Ehre von Gott, dem HERRN, zu‘.
Da zürnte Usija und in seiner Hand war die Rauchpfanne um zu opfern und in seinem Zorn auf die Priester – da brach der Aussatz hervor auf seiner Stirn vor den Priestern im Haus des HERRN – oberhalb von dem Brandopferalter.
Da wandte sich Azarja, der Oberpriester, zu ihm und alle Priester, und sieh da: er war aussätzig auf seiner Stirn und sie trieben ihn eilig weg von dort und auch er beeilte sich hinauszugehen, denn der HERR hatte ihn geschlagen.
So war der König Usija aussätzig bis zum Tag seines Todes und er wohnte aussätzig (in) einem besonderen Haus, 3 denn er war getrennt worden vom Haus des HERRN, und Jotam, sein Sohn war über dem Haus des Königs (eingesetzt), indem er dem Volk des Landes Recht sprach.
Und die übrigen Taten Usijas, die früheren und die folgenden hat Jesaja, der Sohn des Amoz, der Prophet aufgeschrieben.
Und Usija legte sich zu seinen Vätern und sie begruben ihn mit seinen Vätern auf dem Begräbnisfeld der Könige, denn sie sagten: er war aussätzig, und König wurde Jotam, sein Sohn, an seiner Stelle.«
Eusebius über Usija
In der Demonstratio Evangelica kommt Eusebius auf diese Weiterführung der biblische Tradition zu Königs Usija und seinem Aussatz zu sprechen und weiß sie noch durch eine außerbiblische Tradition zu ergänzen:
ἱστορεῖταί γε μὴν Ὀξίας ἐν ἀρχαῖς δίκαιος γεγονέναι,
εἶτα διαβέβληται ὡς ἐπαρϑεὶς τῇ διανοίᾳ καὶ δι᾽ ἑαυτοῦ ϑῦσαι τῳ ϑεῷ πολμήσας,
δι᾽ ὅ καὶ λέπραν αὐτῷ κατὰ τοῦ προσώπου ἀνϑῆσαι.
τοῦτο μὲν οὖν ἡ βιβλος τῶν Βασιλειῶν παρίστησιν·
ὁ δέ γε Ἰώσηπος καὶ τὰς ἔξωϑεν ἰουδαϊκὰς δευτερώσεις ἀπηκριβωκως.
ἅτε »Ἑβραῖος ἐξ Ἑβραίων« τυγχάνων,
ἐπάχουσον οἷα γενέσϑαι κατὰ τοὺς αὐτοῦ δηλοῖ χρόνους,
λέγων ὡς ἄρα κατεπειγόντων τὸν Ὀζίαν τῶν ἱερέων
»Es wird berichtet, dass Ozias im Anfang gerecht war,
dann wurde er verworfen, als die Gedanken überheblich wurden, wagte er es, Gott zu opfern,
dadurch erblühte ihm der Aussatz auf seinem Angesicht.
Das ist wie gesagt, was das Buch der Könige darlegt:
Aber (Flavius) Josephus hat zusätzlich auch die jüdischen Auslegungstraditionen (Deuterōsis) genau untersucht.
Es trifft sich, dass gerade er ein Hebräer von Hebräern (Phil 3,5) war,
höre nur, auf welche Art er darstellt, was sich zu den Zeiten ereignete.
Er sagt, als nämlich die Priester den Ozian drängten, …«
»ἐξιέναι τοῦ ἱεροῦ καὶ μὴ παρανομεῖν εἰς τὸν θεόν,
ὀργισθεὶς ἠπείλησεν αὐτοῖς θάνατον. εἰ μὴ τὴν ἡσυχίαν ἄξουσιν.
μεταξὺ δὲ σεισμὸς ἐκλόνησεν τὴν γῆν (μέγας)
καὶ διαστάντος τοῦ ναοῦ φέγγος (ἡλίου) λαμπρὸν ἐξέλαμψεν
καὶ τῇ τοῦ βασιλέως ὄψει προσέπεσεν,
ὡς τῷ μὲν εὐθέως λέπραν ἐπιδραμεῖν,
πρὸ δὲ τῆς πόλεως πρὸς τῇ καλουμένῃ Ἐρωγῇ τοῦ ὄρους ἀπορραγῆναι τὸ ἥμισυ τοῦ κατὰ τὴν δύσιν
καὶ κυλισθὲν τέσσαρας σταδίους ἐπὶ τὸ ἀνατολικὸν ὄρος στῆναι,
ὡς τάς τε παρόδους ἐμφραχϑῆναι καὶ τοὺς παραδείσους τοὺς βασιλικούς.«
»’den Tempel zu verlassen und nicht das Gesetz Gottes zu übertreten,
da geriet er in Zorn und drohte ihnen (sogar) den Tod an, wenn sie nicht Ruhe geben würden.
Mittendrin erschütterte ein (großes) Beben die Erde,
der Tempel spaltete sich, ein helles Licht (der Sonne) leuchtete hervor
und fiel auf das Antlitz des Königs,
so dass sich sofort der Aussatz verbreitete.
Vor der Stadt, an dem Ort der Erōgē genannt wird, wurde die westliche Hälfte des Berges losgebrochen
und rollte vier Stadien und bleib bei dem östlichen Berg stehen,
so dass die königlichen Zugänge und Gärten verstopft wurden.’«
(Demonstratio Evangelica VI,18, in dieser kritischen Ausgabe S. 280-281)
Das Erdbeben
Wie kommt Josephus auf dieses Erdbeben? Das hat er – bzw. die ihm vorliegende Tradition nicht einfach erdichtet – sie fanden es in der Bibel, und zwar in Amos 1,1:
דִּבְרֵ֣י עָמ֔וֹס אֲשֶׁר־הָיָ֥ה בַנֹּקְדִ֖ים מִתְּק֑וֹעַ אֲשֶׁר֩ חָזָ֨ה עַל־יִשְׂרָאֵ֜ל בִּימֵ֣י ׀ עֻזִיָּ֣ה מֶֽלֶךְ־יְהוּדָ֗ה וּבִימֵ֞י יָרָבְעָ֤ם בֶּן־יוֹאָשׁ֙ מֶ֣לֶךְ יִשְׂרָאֵ֔ל שְׁנָתַ֖יִם לִפְנֵ֥י הָרָֽעַשׁ׃
»Worte des Amos, der unter den Schafzüchtern von Tekoa war, die er schaute über Israel in den Tagen Uzijas, des Königs von Juda und in den Tagen Jerobeams, des Sohnes des Joasch, des Königs von Israel, zwei Jahre bevor dem Erdbeben.«
Fazit
Eusebius bezeichnet die über die Bibel hinausgehende jüdische Auslegungstradition als Deuterōsis. Er gibt damit einen Ausdruck innerhalb der griechischen Theologie seiner Zeit wieder, den Hieronymus mit seinen detaillierteren Kenntnissen dieser Tradition anreichern konnte.