Im letzten Posting habe ich gezeigt, dass die LXX aus dem »himmlischen Heer« des hebräischen Textes in Gen 2,1 eine »Ordnung« oder einen »Schmuck« gemacht hat. Ich möchte an einigen weiteren Beispielen aufweisen, wie die Septuaginta den hebräischen Text nicht nur übersetzt, sondern auch glättet, verdeutlicht oder sogar korrigiert. Mein erstes Beispiel ist Gen 4,8. Der Hebräische Text berichtet: »Und es sprach Kajin zu Hebel seinem Bruder. Und es geschah, wie sie waren auf dem Felde, da machte sich Kajin an seinen Bruder Hebel und erschlug ihn.« (Übersetzung: Zunz) Auffällig an diesem Text ist, dass er nicht berichtet, was Kain zu seinem Bruder gesagt hat. Hier springt die LXX ein: »Und Kain sagte zu seinem Bruder Abel: Lass uns auf das Feld gehen! Und es geschah, als sie auf dem Feld waren, dass Kain sich gegen seinen Bruder Abel erhob und ihn tötete.« (Übersetzung: Septuaginta Deutsch) Hier arbeitet die LXX also mit einer sinnvollen Ergänzung.
Mein zweites Beispiel, ebenfalls aus Gen 4. Als Gott Kain sein Urteil über den Brudermord verkündet, antwortet der Mörder im hebräischen Text: »Und es sprach Kajin zu dem Ewigen: Zu groß ist meine Strafe um sie zu ertragen.« (Gen 4,13 – Zunz) Daraus macht LXX: »Und Kain sagte zum Herrn: Meine Schuld ist zu groß, als dass ich freigesprochen werden könnte.« Offensichtlich hatten die Übersetzer mit dem trotzigen Aufbegehren des Brudermörders so ihre Probleme … (Ein weiteres Beispiel aus Gen 4 und den Umgang der LXX mit dem als anstößig empfundenen hebräischen Wortlaut finden Sie hier.)
Noch ein Vers aus Genesis, diesmal im Zusammenhang mit der Fluterzählung: »Da sprach der Ewige: „Mein Geist wird nicht immer in dem Menschen streiten, weil er doch auch Fleisch ist. Es soll aber die Frist seiner Tage noch sein hundertundzwanzig Jahre.“« (Gen 6,3; Übersetzung: Mendelssohn) Neben dem schwierigen Ausdruck »streiten«, dessen genaue Bedeutung unklar ist, machte den Auslegern zu schaffen, dass nach diesem Gotteswort Noah 950 Jahre, Schem 600 Jahre oder Eber 464 Jahre alt wurden. Daher übersetzt die LXX: »Und Gott der Herr sprach: Keineswegs wird mein Hauch auf ewig in diesen Menschen bleiben, weil sie Fleisch sind. Ihre Tage aber werden 120 Jahre sein.« Durch diese Übersetzung wird die Lebenszeit-Verkürzung auf die Flut Generation eingeschränkt (»in diesen Menschen«) und somit das Problem gelöst.
Ein letztes Beispiel, das verdeutlicht, dass die LXX nicht nur korrigiert, sondern auch den Sinn in sein Gegenteil verkehren kann, diesmal aus Dtn 33. In diesem Segen des Mose über die Stämme Israel, kurz vor seinem Tod, heißt es über Ruben: »Ruben lebe, nimmer sterbe er, doch bleiben gezählt seine Leute« (Dtn 33,6 – Übersetzung Buber/Rosenzweig). Ich habe den letzten Halbvers so übersetzt: »er soll am Leben bleiben [als] eine kleine Zahl«. Keine wirklich tolle Verheißung – daher liest die LXX den Vers so: »Ruben soll leben und nicht sterben und er sei reich an Zahl«. Klingt doch schon deutlich besser … Hieronymus ist übrigens dem hebräischen Text gefolgt: »Vivat Ruben et non moriatur et sit parvus in numero«.
Und die Einheitsübersetzung?
Sie folgt in Gen 4, 8 und in Gen 4,13 der LXX, in Gen 6,3 und Dtn 33,6 dem hebräischen Text. Sie scheint sich dabei an der Vulgata zu orientieren, deren Entscheidungen aber keinem mir erkennbaren Muster folgen. Das Ergebnis: ein Hybridtext …