Zum Ursprung der Noachidischen Gebote

Ich habe bereits über diese Vorstellung geschrieben, jetzt habe ich ein sehr altes Textzeugnis dazu gefunden, aus dem 2. Jh. v. Chr. Im Buch der Jubiläen heißt es: »Und im 28. Jubiläum begann Noah den Kindern seiner Kinder die Ordnungen und die Gebote und alles Recht, das er kannte, zu gebieten, und er ermahnte seine Kinder, Gerechtigkeit zu üben und die Scham ihres Fleisches zu bedecken und den zu segnen, der sie geschaffen, und Vater und Mutter zu ehren und ein jeder seinen Nächsten zu lieben, und sich vor Hurerei und Unreinheit und aller Ungerechtigkeit zu hüten. Denn aus diesen drei [Gründen] war die Sintflut über die Erde [gekommen].« (Jubiläen VII, 20 -21; Ü: Erno Littmann)

Wie kommt der Autor der Jubiläen zu dieser Auslegung? Seine Frage war wohl: Woher wusste Noah, welche Gebote er halten und zu halten lehren sollte? Ich möchte das an den genannten Geboten verdeutlichen.

Gerechtigkeit zu üben

Darauf sprach der Herr zu Noach: Geh in die Arche, du und dein ganzes Haus, denn ich habe gesehen, dass du unter deinen Zeitgenossen vor mir gerecht bist. (Gen 7,1 EÜ) Dass diese Aussage in Gen 6,9 schon einmal getroffen worden war, musste die Einschätzung verstärken, dass Noah ein Gerechter war.

James L. Kugel hat gezeigt, wie weit verbreitet diese Vorstellung in der Antike war: Der gerechte Noach wurde untadelig befunden, zur Zeit des Untergangs war er ein neuer Anfang. Durch ihn blieb ein Rest erhalten, der Bund mit ihm beendete die Sintflut. (Sir 44,17) Philo von Alexandria nennt Noah »den Liebling Gottes und Freund der Tugend, der in der Sprache der Hebräer Noah heißt, in der Sprache der Hellenen „Ruhe“ oder „der Gerechte“, Bezeichnungen, die für den Weisen sehr passend sind.« (Über Abraham 27 Ü: Rabbiner Dr. Joseph Cohn) Von daher ist einsehbar: ein Gerechter ist der, der Gerechtigkeit übt.

Die Scham ihres Fleisches zu bedecken

Dahinter steht wohl die Erzählung aus Gen 9,18 ff., nach der Sem und Jafet die Blöße ihres Vaters bedeckten, als er betrunken im Zelt lag, ihr Bruder Ham aber verflucht wurde, weil er das nicht getan hatte.

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Auf diesem Bild von Lucas Cranach, das aus seiner Illustration der Lutherbibel stammt, kann man diese Szene rechts im Zelt sehen.

Den zu segnen, der sie geschaffen

Dieses Segnen = preisen Gottes steht im direkten Zusammenhang mit dem Segen Gottes über Noah: Dann segnete Gott Noach und seine Söhne und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar, vermehrt euch und bevölkert die Erde! (Gen 9,1 EÜ) und ist Folge des ewigen Bundes, den Gott mit Noah und seiner Schöpfung geschlossen hat (Gen 9,8-17).

Vater und Mutter zu ehren

Ham ist derjenige, der gegen dieses Gebot verstoßen hat. In der syrischen Schatzhöhle, einem christlichen Text aus dem 3. Jh. lesen wir: »Und als er (Noah) schlief, da ward seine Scham entblößt, und sein Sohn Ham sah die Blöße seines Vaters und bedeckte sie nicht, sondern lachte und spottete darüber. Und er lief und rief seine Brüder herbei, damit auch sie über ihren Vater spotten sollten. Und als Sem und Japhet davon hörten, wurden sie sehr bestürzt, holten einen Mantel und gingen rücklings hinein, indem sie ihr Antlitz umwandelten, damit sie ihres Vaters Blöße nicht sähen und warfen den Mantel über ihn und bedeckten ihn. Und als Noah vom Schlaf des Weines erwachte, da erzählte ihm sein Weib alles, was sich ereignet hatte.« (Ü: Carl Bezold, in dieser Ausgabe S. 25)

Ähnlich verwendet Origenes dieses Motiv in einer Auslegung des Vater unser: »Hätte ferner Noah nicht von „dem Wein“, den er gebaut, getrunken und „sich berauscht“ und seine Blöße aufgedeckt, so wäre weder die Frechheit und Ruchlosigkeit des Ham seinem Vater gegenüber an den Tag gekommen, noch die Ehrbarkeit und das Schamgefühl seiner Brüder gegen ihren Erzeuger« (Vom Gebet XXIX, 18)

Diese Auslegung ist auch in der jüdischen Tradition bekannt – siehe Pirque de Rabbi Eliezer XXIII, die betont, dass Ham nicht das Gebot hielt, seinen Vater zu ehren. Einige Handschriften fügen auch noch die Mutter hinzu. (Siehe in dieser Übersetzung S. 170, vor allem Fußnote 10)

Ein jeder seinen Nächsten zu lieben

Bemerkenswert: Die Nächstenliebe wird vom Autor des Jubiläenbuches schon hier – vor den 10 Geboten und der Gabe der Tora – als selbstverständliche menschliche Verpflichtung angesehen.

Sich vor Hurerei und Unreinheit und aller Ungerechtigkeit zu hüten

Der Autor fährt fort: »Denn aus diesen drei [Gründen] war die Sintflut über die Erde [gekommen].« Dann zitiert er diese Episode, über die ich schon hier geschrieben habe.

Fazit

Auch wenn diese Fassung der „noachidischen Gebote“ nicht zur Gänze mit ihrer späteren rabbinischen Ausformung übereinstimmt, 1 sieht man am Jubiläenbuch doch, wie alt diese Tradition ist. Dass sie nicht nur im Judentum, sondern auch im Christentum eine Rolle spielt, habe ich hier gezeigt.

Show 1 footnote

  1. Saul Liebermann schreibt über die noachidischen Gebote bei den Rabbinen: »Ihre Meinungen über die Anzahl und das Wesen dieser Noachidischen Gesetze divergieren« (MÜ) und verweist dazu u.a.auf TB Sanhedrin 56b; Hullin 92a sowie MBR XVI,6; in: Greek in Jewish Palestine S. 81, insbesondere Anm. 104

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