Maria Magdalena – die erotische Büßerin?

Ich habe gezeigt, wie Papst Gregor der Große durch seine Auslegung das Bild von Maria Magdalena als exemplarischer Sünderin und Büßerin geprägt hat. Doch das kollektive Gedächtnis des lateinischen Westens hat ein hoch erotisches Bild zu dieser Frauengestalt gespeichert, das weit über Gregor hinausgeht.

Wie kommt etwa ein Tizian dazu, folgendes Bild der Maria aus Magdala zu malen? Ich versuche hier, in Kürze die komplexe Entwicklung nachzuvollziehen.

Tizian: Büßende Maria Magdalena, um 1533, Ölgemälde
Tizian: Büßende Maria Magdalena, um 1533, Ölgemälde

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein Blick in den umfangreichen Artikel zu Maria Magdalena im »Lexikon der christlichen Ikonographie« (Band VII, S. 516-541) erklärt, woher die Motivkomposition des Bildes kommt, das so von zahlreichen Künstlern gemalt worden ist. Zwei legendarische Heilige haben hier die Projektionsfläche des Magdalenenbildes überlagert:

1.: Die Heilige Agnes von Rom, die nach der Legende zur Strafe für ihre Weigerung, die heidnischen Götzen anzubeten, in ein Freudenhaus gebracht wurde, wo sie durch ein Wunder vollständig mit ihrem Haupthaar bedeckt wurde. (vgl. LCI V, 58-63)

2.: Maria von Ägypten, deren Vita berichtet, sie sei eine Prostituierte aus Alexandria gewesen, die bei einem Besuch in Jerusalem durch eine unsichtbare Hand am Betreten der Grabeskirche gehindert wurde. Zur Buße ging sie in die Wüste, wo sie 47 Jahre – nur von drei Broten ernährt – lebte. In dieser Zeit zerfiel ihr Gewand, sie wird zumeist am ganzen Körper behaart oder (wie die Heilige Agnes) zur Gänze von ihren Haaren bedeckt dargestellt. Das Lexikon führt aus: »Im Westen nur durch das Attribut der drei Brote in Einzeldarstellungen von Maria Magdalena zu unterscheiden.« (LCI VII, 508)

Dass das Büßerinnendasein selbst bei einer Identifizierung der namenlosen Sünderin mit Maria von Magdala keinen Sinn macht – Jesus sagt doch ausdrücklich von der Frau ihre vielen Sünden sind vergeben worden, denn sie hat viel Liebe erwiesen (Lk 7,47 Schlachter) – hat den Siegeszug dieses Motivs durch die abendländische Kulturgeschichte nicht verhindert. Im Gegenteil.

Aber damit ist die Traditionsgeschichte der Frau aus Magdala noch nicht abgeschlossen.

Fortsetzung

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