In heutiger Zeit ist das Verständnis des Begriffs »Autor« mit urheberrechtlichen Vorstellungen verknüpft – als authentischer und originärer Verfasser erzeugt der Autor einen Text, der sein geistiges Eigentum ist. Weiterverwendung oder gar Bearbeitung ist ohne seine ausdrückliche Einwilligung strafbar. Ist dieser Autoren-Begriff auf die biblischen Texte anwendbar?
Eine klassische Formulierung der katholischen Tradition lautet, dass die Kirche die Bücher des alten und neuen Testamentes in ihrer Ganzheit für heilig und kanonisch hält, weil sie »deus habent auctorem« (Dei Verbum III,11=DH 4215). Doch diese Formulierung bedeutet nicht, dass diese Bücher Gott zum Autor – im Sinne von »Verfasser« – haben, sondern sie haben ihn zum Urheber.
Allerdings verwendet Dei Verbum im gleichen Absatz den lateinischen Ausdruck auctor dann dennoch im Sinn von Verfasser, wenn es heißt: »Zur Abfassung der Heiligen Bücher aber hat Gott Menschen erwählt, die ihm durch den Gebrauch ihrer eigenen Fähigkeiten und Kräfte dazu dienen sollten, all das und nur das, was er – in ihnen und durch sie wirksam [agente]- selbst wollte, als wahre Verfasser schriftlich zu überliefern [ut veri auctores scripto traderent].
Besser wäre es wohl gewesen – gerade im Zusammenhang mit agere – hier den Ausdruck actor zu verwenden. Deutlich wird das an dieser Formulierung des Thomas v. Aquin: »cuius positionis auctor videtur fuisse Avicebron, actor libri Fontis vite« [Der Urheber dieser Annahme scheint Avicebron gewesen zu sein, der Verfasser der Schrift ‚Quelle des Lebens‘.] (De ente et essentia IV,5)
In diesem Sinne ist Gott der Urheber der Heiligen Schrift, die von Menschen als Verfassern geschrieben wurde. Dazu passt schön die Herleitung des lateinischen Ausdrucks auctor von augere, dessen Bedeutung der Stowasser mit »wachsen machen«, »vermehren« oder »bereichern« wiedergibt.
Literaturhinweis: Marie-Dominique Chenu: Auctor, Actor, Autor in: Bulletin du Cange 3 (1927) S. 81-86.