Gekommen ist das heilige Osterfest

Der Titel entstammt der ungefähren Übersetzung des deutschen Messbuchs für den lateinischen Text des Osterlobs: Haec sunt enim festa paschalia. Aber wann kommt der Termin des Osterfestes und wie ist er zu berechnen? Eine theologische und eine mathematische Frage, die herausragende Größen dieser Disziplin vor Herausforderungen gestellt hat.

In der alten Kirche wurde der Termin des Osterfestes lange diskutiert: Sollte man sich nach dem jüdischen Festkalender richten und damit an dem Tag orientieren, an dem Jesus nach den synoptischen Evangelien hingerichtet worden war, also am Tag des Pessachfestes, dem 14. Nisan (vgl. Ex 12,1-8; Est 3,7)? Die Anhänger dieser Auffassung werden als Quartodezimaner bezeichnet, die „Anhänger des Vierzehnten [Nisan]“.

Nach Eusebius von Cäsarea setzte Kaiser Konstantin auf dem Konzil von Nicäa aus judenfeindlichen Gründen eine andere Berechnung des Osterfesttermines durch, denn

Nichts soll euch deshalb gemeinsam sein mit dem höchst verhassten Volk der Juden. 1

Dazu kam, dass die Christen ohne Hilfe der Juden den an Pessach orientierten Festtermin nicht berechnen konnten, wie Konstantin zugeben musste.2

Denn es ist wahrhaft höchst unziemlich, wenn jene sich rühmen, dass wir nämlich – außer durch ihre Unterweisungen – diese Dinge nicht hinlänglich bewahren könnten.3

Die entsprechenden Bestimmungen des Konzils sind in
den erhalten gebliebenen Canones
allerdings nicht überliefert worden.

Dieses Brieffragment des Bischofs Cyrill von Alexandria an Papst Leo den Großen aus der Mitte des 5. Jh. ist ein eindrucksvolles Zeugnis der Probleme, die die Berechnung des Osterfestes für die christlichen Kirchen aufwarf. Erst Dionysius Exiguus, der Begründer der christlichen Zeitrechnung, schuf im sechsten Jahrhundert mit seinen Ostertafeln einen
gangbaren Weg für den julianischen Kalender. Sein Werk wurde im siebten Jahrhundert von Beda Venerabilis fortgeführt.4

Mit der Einführung des gregorianischen Kalenders war die Berechnung des Osterfesttermins vor neue Herausforderungen gestellt. Der Jesuit Christopherus Clavius SJ (1538-1612) versuchte als eine Art zweiter Dionysius Exiguus dem Problem Herr zu werden und veröffentlichte 1603 entsprechende Berechnungen.5

Die Stunde der Mathematiker

Johann Heinrich Lambert; gemeinfrei via wikipedia.de
Johann Heinrich Lambert; gemeinfrei via wikipedia.de

Diese komplexen astronomischen Berechnungen waren aufwendig, mühsam und fehleranfällig. Gab es keine elegantere mathematische Lösung dieses Problems? Der schweizerisch-elsässische Mathematiker Johann Heinrich Lambert unternahm einen ersten Versuch in einem astronomischen Jahrbuch.6 Sein bemerkenswertes Fazit:

 

Eine allgemeine Formel ist theils an sich zu weitläufig, theils hört sie in so fern auf allgemein zu seyn, als Clavius, der den Gregorianischen Kalender eingerichtet hat, von den dabey zum Grunde gelegten allgemeinen Regeln selbst einige male abgewichen.7

Ich vermute, dass dieser Aufsatz in Carl Friedrich Gauß einen
aufmerksamen Leser gefunden hat. Gauß, dessen mathematische Hochbegabung schon in der Volksschule aufgefallen war, veröffentlichte im Jahr 1800 einen Algorithmus, der das Problem der Berechnung lösen sollte.8

Stolz vermerkte er in seinem Tagebuch:

Etwa in diesen Tagen (16. Mai) lösten wir das chronologische Problem des Osterfestes in eleganter Weise.9

Bemerkenswerterweise hatte sogar das mathematische Genie Gauß die
Schwierigkeit bei der Erstellung seiner Formel unterschätzt. Wie Reinhold Bien herausgearbeitet hat:

Unfortunately, the Osterformel was erroneous, and Gauß created much confusion during the following 16 years. After the article of 1800, already mentioned, he published a simplified version in 1807, a modified version for the period 1700–1900 in 1811 and a final version, correcting a mistake found by his student P. Tittel in 1816; there is also an undated and unpublished note by Gauß on the matter, probably from the period between 1807 and 1811.10

Heinrich Ferdinand Scherck; Quelle: https://www.math.uni-hamburg.de/home/grothkopf/fotos/math-ges/
Heinrich Ferdinand Scherck; Quelle: https://www.math.uni-hamburg.de/home/grothkopf/fotos/math-ges/

Die letzte Berichtigung seiner Formel hat Gauß in der Zeitschrift für Astronomie und verwandte Wissenschaften (1816) auf S. 158 veröffentlicht. Heinrich Ferdinand Scherck hat sie in einem eigenen Lexikon-Artikel zur Osterrechnung für Nicht-Mathematiker erschlossen. 11

1817 reagierte der italienische Mathematiker Lodovico Ciccolini kritisch auf die Gaußsche Osterformel. 12 Und Anfang des 20. Jh. wandte sich Adolf Abraham Halevi Fraenkel im Journal
für reine und angewandte Mathematik
von 1910 auf S. 133 ff. nochmals dieser Berechnung zu.

Und heute? Heute gebe ich im Emacs folgenden Befehl ein:

M-x holiday-list ↳
Starting year of holidays (>0) (default 2024): ↳
Ending year (inclusive) of holidays (>=2024) (default 2024) ↳
List (TAB for choices): ⇆
Christian ↳

Und ich bekomme die ganze Liste der entsprechenden Feste inklusive Ostern in einem extra Buffer angezeigt. Natürlich könnte ich so auch die Termine von 2057 oder 1847 ausrechnen lassen. Dahinter steht die in Lisp umgesetzte Gaußsche Formel. Nachum Dershowitz und Edward M. Reingold haben das möglich gemacht. So ist der computus – die hochgradig spezialisierten Fachleuten vorbehaltene Berechnung des Osterfestes auf dem Computer angekommen.

Literaturempfehlung:

Eduard Schwartz: Christliche und jüdische Ostertafeln (Berlin 1905)
Arno Borst: Computus. Zeit und Zahl in der Geschichte Europas.
Wagenbach 1991
Ferdinand Piper: „Zur Kirchenrechnung“; in: Journal für die reine und angewandte Mathematik Band 22 (1841) S. 97-147

Fußnoten


  1. μηδὲν τοίνυν ἔστω ἡμῖν κοινὸν μετὰ τοῦ ἐχθίστου τῶν Ἰουδαίων ὄχλου. (GCS 7 (1902), S. 85; Über das Leben des Kaisers Konstantin III,18,2) Die ganze von Eusebius überlieferte Rede des Kaisers an die Konzils-Teilnehmer ist von antijüdischen Stereotypen geprägt.↩︎
  2. ἔστι γὰρ ὡς ἀληθῶς ἀτοπώτατον ἐκείνους αὐχεῖν, ὡς ἄρα παρεκτὸς τῆς αὐτῶν διδασκαλίας ταῦτα φυλάττειν οὐχ ἦμεν ἱκανοἰ. (ebenda; Leben Konstantins III,18,3)↩︎
  3. ἔστι γὰρ ὡς ἀληθῶς ἀτοπώτατον ἐκείνους αὐχεῖν, ὡς ἄρα παρεκτὸς τῆς αὐτῶν διδασκαλίας ταῦτα φυλάττειν οὐχ ἦμεν ἱκανοἰ. (ebenda; Leben Konstantins III,18,3)↩︎
  4. Hier eine wunderschöne Handschrift seiner argumenta paschalia aus dem
    9. Jh.↩︎
  5. Romani calendarii a Gregorio XIII P.M. restituti explicatio S.D.N. Clementis
    VIII P.M. iussu edita (1641)
    ↩︎
  6. Einige Anmerkungen über die Kirchenrechnung“, in: Astronomisches Jahrbuch oder Ephemeriden. 1778 (1776), S. 210-226↩︎
    1. 226 a.a.o.↩︎
  7. „Berechnung des Osterfestes“; in: Monatliche Correspondenz zur Beförderung der Erd- und Himmelskunde, 2, 1800, S. 121–130↩︎
  8. Im Original lateinisch: „Iisdem diebus circa (Mai. 16.) problema chronologicum de festo paschali eleganter resolvimus.“ Der Eintrag findet sich in diesem Werk auf S. 547.↩︎
  9. Reinhold Bien: „Gauβ and Beyond: The Making of Easter Algorithms“; in: Archive for History of Exact Sciences Vol. 58 Nr. 5 (Juli 2004) S. 441. Bien hat dort auch die entsprechenden Literaturhinweise angegeben.↩︎
  10. Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge von genannten Schriftstellern bearbeitet und herausgegeben von Ersch und Gruber, Dritte Section, Siebenter Teil (Leipzig 1836) S. 43-45.↩︎
  11. Formole analitiche pel calcolo della Pasqua e correzione di quelle di Gauss con critiche osservazioni su quanto ha scritto del calendario il Delambre di
    Lodovico Ciccolini
    . Ein weiterer Beitrag von ihm erschien 1819 in
    der Biblioteca Italiana XIII S. 350-358.↩︎

 

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