וכל־העם ראים את־הקולת
Und das ganze Volk sah die Stimmen …
Ex 20,18
I see a voice; now will I to the chink
To spy an I can hear my Thisbe’s face.
(A Midsummer Night’s Dream V,I,190-191)
Ich stelle hier ein in jeder Hinsicht außergewöhnliches Buch vor. Es beginnt damit, dass sein Verfasser, George Bradford Caird (1917-1984) Professor für die Exegese der Heiligen Schrift in Oxford war, und damit einen Alttestamentler und einen Neutestamentler in seiner Person vereinte. Die Festschrift zu seiner Emeritierung wurde u.a. von seinem Schüler N.T. Wright herausgegeben. Durch Wright bin ich auf das Buch aufmerksam geworden, um das es geht.
„The Language and Imagery of the Bible“ erschien 1980 und bringt eine Fülle von Beobachtungen und Erklärungen zur Sprache und Bildsprache der Bibel. Man merkt auf dem Weg durch das schlanke Buch auf 270 Seiten kaum, wie systematisch Caird diesen Bereich durchmisst. Die Fülle von anregenden Beobachtungen lässt keinerlei Langeweile aufkommen und ich war überrascht, wir hervorragend das Buch Themen ansprach, die mich bereits beschäftigt hatten.
Nach einem allgemeinen Überblick zum Thema Sprache und Bedeutung wendet sich der Autor im zweiten Hauptteil der metaphorischen Sprache zu und behandelt im dritten und letzten Teil seines Buches „Geschichte, Mythos und Eschatologie“. Zwei kleine Beispiele sollen dabei zeigen, wie Caird arbeitet. In der Besprechung des griechischen Wortes dikaiosynê — dem Schlüsselwort des Paulus im Römerbrief — hinterfragt Caird kritisch die Übersetzung als „Gerechtigkeit“ und führt aus:
Im Englischen gibt es zwar das Substantiv „justification“ für den richterlichen Akt, aber kein verwandtes Wort, das den Charakter des Richters, der das Urteil fällt, oder den Status der gerechtfertigten Person bezeichnet. „Recht“ und „Gerechtigkeit“ kommen nicht infrage, da sie bereits durch einen langen Sprachgebrauch für eine ganz andere Bedeutung vorbelastet sind. Aber die traditionelle Wiedergabe ist fast ebenso unbefriedigend, da „gerecht“ eine moralische Konnotation hat, die heutzutage meist einen leicht abschätzigen Beigeschmack hat, und dem modernen Leser sicherlich nicht die Vorstellung von „im Recht sein“ oder „einen Rechtsstreit gewinnen“ vermittelt. (S. 87-88)
„Gerechtigkeit“ als Übersetzung steht in der Gefahr, zu einem Alibiausdruck zu verkommen, was noch durch den Umstand verschärft wird, dass der Apostel selbst sich ganze vier Kapitel seines Briefes für die Erklärung dieses Begriffs reserviert. Gleichzeitig erfährt man als Leser gleichsam im Vorübergehen, wie es um die Verbreitung und Kenntnis des Griechischen im antiken Rom stand und dabei zeigt sich die wirklich beeindruckende Bildung des Autors, der mit ihr aber nicht protzt, sondern sie immer wieder an den Fugen und Ritzen seines Werkes aufblitzen lässt.
Ein wichtiger Punkt dieses Buches ist es, die Regeln zu erörtern, denen die biblische Bildsprache unterliegt. Wenn Caird schreibt:
Wenn also der Psalmist die Sonne „wie einen Bräutigam aus seinem Hochzeitsbaldachin“ (Ps 19,5) herauskommend darstellt, wird von uns nicht erwartet, dass wir uns nach der Braut erkundigen; und wenn Jesus erklärt, dass „der Menschensohn gekommen ist, … um sein Leben als Lösegeld für viele zu geben“ (Mk 10,45), ist es klug, nicht zu fragen, an wen das Lösegeld bezahlt wurde. (S. 17)
dann sollte man sich diese Einsichten zu Herzen nehmen. Als jemand, der beruflich versucht, das Verständnis der Bibel in der Jetztzeit zu vermitteln, war ich überrascht, wie schnell ich begann, die zahlreichen Erklärungen des Buches in meinen Kursen einzusetzen bzw. von ihnen zu weiteren eigenständigen Untersuchungen angeregt zu werden.
Auch über vierzig Jahre nach seinem Erscheinen hat das Buch nichts von seiner Vitalität und Einsichtskraft eingebüßt. Wer auch immer an biblischer Auslegung und an biblischem Verständnis interessiert und der englischen Sprache mächtig ist, investiert gut, wenn er es sich zulegt.
Caird, G. B. (1980). The language and imagery of the bible. Duckworth. Gesehen um 33.- € auf Amazon.