Eine sehr alte Auslegungstradition sieht in den sieben Männern aus Apg 6,1-7 die ersten Diakone der Kirchengeschichte und versteht diesen Abschnitt daher als Einsetzung des Diakonats. Wie weit verbreitet diese Auslegung ist, zeigt sich daran, dass die Elberfelder Übersetzung, der man sicher keine katholischen Tendenzen vorwerfen kann, den Abschnitt mit „Diakonenwahl“ überschreibt1. Ich halte diese Auffassung für falsch und möchte mich in meiner Darlegung dazu auf zwei prominente Zeugen berufen: das orthodoxe Lehramt und die heutige wissenschaftliche Exegese.
Johannes Chrysostomos (344/354-407)
Der spätere Patriarch von Konstantinopel hat umfangreiche Predigten über die Apostelgeschichte gehalten. In der vierzehnten Predigt kommt er auf die Wahl der Sieben zu sprechen:
Ὁποῖον δὲ ἄρα ἀξίωμα εἶχον οὗτοι, καὶ ποίαν ἐδέξαντο χειροτονίαν, ἀναγκαῖον μαθεῖν. Ἆρα τὴν τῶν διακόνων; Καὶ μὴν τοῦτο ἐν ταῖς Ἐκκλησίαις οὔκ ἐστιν, ἀλλὰ τῶν πρεσβυτέρων ἐστὶν ἡ οἰκονομία· καὶτοι οὐδέπω οὐδεὶς ἐπίσκοπος ἦν, ἀλλ’οἱ ἀπόστολοι μόνον· Ὅθεν οὔτε διακόνων, οὔτε πρεσβυτέρων οἶμαι τὸ ὄνομα εἶναι δῆλον καὶ φανερόν· ἀλλὰ τέως εἰς τοῦτο ἐχειροτονήθησαν. (MPG LX, 116)
Es ist notwendig zu lernen, von welcher Art nun die Würde war, die diese hatten und was für eine Handauflegung sie empfingen? Die der Diakone? Nun aber gab es das nicht in den Kirchen; aber ist das die Aufgabe der Ältesten? 2 Sicherlich gab es noch keinen Bischof, sondern allein die Apostel; weshalb ich meine, dass [hier] offensichtlich und einleuchtend weder die Bezeichnung „Diakone“ noch „Älteste“ [gemeint] ist; sondern zu dieser Zeit wurde ihnen [also den Sieben genau] dafür3 die Hände aufgelegt. (Predigten über die Apostelgeschichte XIV,3; MÜ)
Wirkungsgeschichte
Diese Auslegung entfaltete im Bereich der griechischen Kirche eine deutlich wahrnehmbare Wirkung.
Codex Iustinianus, Novellae (528-534)
In den Novellen des Justinian heißt es über die Anzahl der Kleriker in der patriarchalen Hauptkirche:
Quapropter sancimus non ultra sexaginta quidem presbyteros in sanctissima maiore ecclesia esse, diaconos autem masculos centum, et quadraginta feminas, subdiaconos vero nonaginta, lectores autem centum et decem, cantores viginti quinque, ita ut sit omnis numerus reverentissimorum clericorum sanctissimae maioris ecclesiae in quadringentis viginti quinque, et insuper centum existentibus his qui vocantur ostiarii. (Corpus Iuris Civilis, III – Novellae, Berlin 1912, S. 21)
Daher setzen wir fest, dass nicht mehr als eben sechzig Presbyter in der allerheiligsten Großkirche sind4, aber einhundert männliche Diakone und vierzig weibliche, vollends neunzig Subdiakone, auch einhundertundzehn Lektoren, fünfundzwanzig Kantoren, so dass die Anzahl aller hochwürdigsten Kleriker der allerheiligsten Großkirche bei vierhundertfünfundzwanzig ist, und darüber hinaus soll es einhundert von denen geben, die Ostiarier genannt werden. (Nov. III,1; MÜ)
Bemerkenswert ist, dass auch die weiblichen Diakone unter die hochwürdigsten Kleriker gerechnet werden, im Unterschied zu den Ostiariern.
Kleriker | Anzahl |
Presbyter | 60 |
Diakone (m) | 100 |
Diakone (w) | 40 |
Subdiakone | 90 |
Lektoren | 110 |
Kantoren | 25 |
Summe | 425 |
Diese Bestimmung – betreffend der Anzahl der Diakone – ist die praktische Folge der Bibelausslegung des Chrysostomos. Sie wird erst richtig verständlich, wenn man weiß, dass es Versuche gab, unter Berufung auf Apg 6,1-7 die Zahl der Diakone an einer Kirche auf sieben zu begrenzen. Ein prominentes Beispiel dafür ist die in der Kirchengeschichte des Eusebius überlieferte Nachricht, dass die römische Gemeinde unter Bischof Cornelius nur sieben Diakone und Subdiakone, aber 46 Presbyter hatte (HE VI,43,11).
Trullanische Synode – Quinisextum (692)
Dieser Synode ist nicht zu verwechseln mit dem 3. Konzil von Konstantinopel, für das auch dieser Namen verwendet wurde (vgl. Hefeles Conciliengeschichte, Band III, Freiburg 1877, S. 261). Ich zitierte hier den Canon XVI dieser Synode, der sich mit der Frage nach der Identität der sieben Männer aus Apg 6,1-7 auseinandersetzt.
Ἐπειδὴ ἡ τῶν Πράξεων βίβλος ἑπτὰ διακόνους ὑπὸ τῶν Ἀποστόλων καταστῆναι παραδίδωσιν, οἱ δὲ τῆς κατά Νεοκαισάρειαν συνόδου οὕτως ἐν τοῖς ἐκτεθεῖσι παρ‘ αὐτῶν κανόσι σαφῶς διεξῆλθον, ὅτι διάκονοι ἑπτὰ ὀφείλουσιν εἶναι, κατὰ τὸν κανόνα, κἄν πάνυ μεγάλη ἡ πόλις ᾖ· πεισθείσῃ δὲ καὶ ἐκ τῆς βίβλου τῶν Πράξεων· ἡμεῖς τῷ ἀποοτολικῷ ῥητῷ τὸν νοῦν ἐφαρμόσαντες τῶν Πατέρων, εὕρομεν, ὡς ὁ λόγος αὐτοῖς οὐ περὶ τῶν τοῖς μυστηρίοις διακονουμένων ἀνδρῶν ἦν, ἀλλὰ περὶ τῆς ἐν ταῖς χρείαις τῶν τραπεζῶν ὑπουργίας, τῆς τῶν Πράξεων βίβλου οὕτως ἐχούσης·
Nachdem das Buch der Apostelgeschichte überliefert, dass sieben Diakone von den Aposteln eingesetzt wurden, haben die von der Synode in Neocaesarea auf diese Weise in den von ihnen veröffentlichten Kanones deutlich dargelegt, dass es sieben Diakone sein mussten, gemäß der Glaubensregel, sogar wenn die Stadt sehr groß war; überzeugt wurde sie [die Synode] dazu durch das Buch der Apostelgeschichte. Indem wir die die Einsicht der Väter mit der apostolischen Redeweise in Übereinstimmung brachten, haben wir gefunden, dass der Bericht für sie nicht über die den Mysterien dienenden Männer war, sondern über die zum Dienst an den Tischen Verpflichteten, denn so hält das Buch der Apostelgeschichte fest:
Ἐν ταῖς ἡμέραις ἐκείναις, πληθυνόντων τῶν μαθητῶν, ἐγένετο γογγυσμὸς τῶν Ἑλληνιστῶν πρὸς τοὺς Ἑβραίους, ὅτι παρεθεωροῦντο ἐν τῇ διακονίᾳ τῇ καθημερινῇ αἱ χῆραι αὐτῶν. Προσκαλεσάμενοι οὖν οἱ δώδεκα τὸ πλῆθος τῶν μαθητῶν, εἶπον· οὐκ ἀρεστὸν ἡμᾶς καταλείψαντας τῶν λόγον τοῦ Θεοῦ, διακονεὶν τραπέζαις. Ἐπισκέψασθε οὖν, ἀδελφοί, ἄνδρας ἐξ ὑμῶν μαρτυρουμένους ἑπτά, πλήρεις Πνεύματος ἁγίου καὶ σοφίας, οὕς καταστήσωμεν ἐπὶ τῆς χρείας ταύτης· ἡμεῖς δὲ τῇ προσευχῇ καὶ τῇ διακονίᾳ τοῦ λόγου προσκαρτερήσομεν· καὶ ἤρεσεν ὁ λόγος ἐνώπιον παντὸς τοῦ πλήθους· καὶ ἐξελέξαντο Στέφανον, ἄνδρα πλήρη πίστεως καὶ Πνεύματος ἁγίου, καὶ Φίλιππον, καὶ Πρόχορον, καὶ Νικάνορα, καὶ Τίμωνα, καὶ Παρμενᾶν, καὶ Νικόλαον, προσήλυτον Ἀντιοχέα, οὕς ἔστησαν ἐνώπιον τῶν Ἀποστόλων.
In jenen Tagen, als sich die Schüler vervielfachten, entstand ein Gemurre der Hellenisten gegen die Hebräer, dass ihre Witwen beim täglichen Dienst vernachlässigt wurden. Nun aber versammelten die Zwölf die Menge der Schüler [und] sprachen: es ist unpassend, dass wir das Wort Gottes beiseitelassen, um an den Tischen zu dienen. Seht euch nun aber [prüfend] um, Geschwister, nach sieben Männern unter euch von gutem Ruf, voll von Heiligem Geist und Weisheit, die wir einsetzen wollen für diese Verpflichtung. Wir aber wollen dauernd bedacht sein auf das Gebet und den Dienst am Wort. Und das Wort gefiel der ganzen Menge und sie wählten Stephanus aus, eine Mann voll Zuverlässigkeit und Heiligem Geist, und Phillipos und Prochoros, und Nikanor und Timon, und Parmenas, und Nikolaos, einen antiochenischen Proselyten, die stellten sie vor die Apostel. (Apg 6,1-6a)
Ταῦτα διερμηνεύων ὁ τῆς ἐκκλησίας διδάσκαλος Ἰωάννης ὁ Χρυσόστομος, οὕτω διέξεισι. Θαυμάσαι ἄξιον, πῶς οὐκ ἐσχίσθη τὸ πλῆθος ἐπὶ τῇ αἱρέσει τῶν ἀνδρῶν, πῶς οὐκ ἀπεδοκιμάσθησαν ὑπ‘ αὐτῶν οἱ Ἀπόστολοι· ὁποῖον δὲ ἆρα ἀξίωμα οὗτοι εἶχον, καὶ ποίαν ἐδέξαντο χειροτονίαν, ἀναγκαῖον μαθεῖν. Ἆρα τὴν τῶν διακόνων; καὶ μὴν τοῦτο ἐν ταῖς ἐκκλησίαις οὔκ ἐστιν· ἀλλὰ τῶν πρεσβυτέρων ἐστὶν ἡ οἰκονομία; καὶ τοι οὐδέπω οὐδεὶς ἐπίσκοπος ἦν, ἀλλ’οἱ Ἀπόστολοι μόνον· ὅθεν οὔτε διακόνων, οὔτε πρεσβυτέρων οἶμαι τὸ ὄνομα εἶναι δῆλον καὶ φανερόν.
Dies erläutert der Lehrer der Kirche, Johannes der Goldmund (Chrysostomos) auf diese Weise, in dem er auslegt: „Man wundert sich entsprechend, wie die Menge nicht gespalten wurde über die Auswahl der Männer, wie die Apostel nicht von ihnen zurückgewiesen wurden. Es ist notwendig zu lernen, von welcher Art nun die Würde war, die diese hatten und was für eine Handauflegung sie empfingen? Die der Diakone? Nun aber gab es das nicht in den Kirchen; aber ist das die Aufgabe der Ältesten? Sicherlich gab es noch keinen Bischof, sondern allein die Apostel; weshalb ich meine, dass [hier] offensichtlich und einleuchtend weder die Bezeichnung „Diakone“ noch „Älteste“ [gemeint] ist.“
Ἐπὶ τούτοις οὖν κηρύσσομεν καὶ ἡμεῖς, ὥστε τοὺς προειρημένους ἑπτὰ διακόνους, μὴ ἐπὶ τῶν τοῖς μυστηρίοις διακονουμένων λαμβάνεσθαι, κατὰ τὴν προερμηνευθεῖσαν διδασκαλίαν· ἀλλὰ τοὺς τὴν οἰκονομίαν τῆς κοινῆς χρείας τῶν τότε συνηθροισμένων ἐγχειρισθέντας, τούτους ὑπάρχειν· οἵ τύπος ἡμῖν κἄν τούτῳ γεγόνασι τῆς περὶ τοὺς δεομένους φιλανθρωπίας τε καὶ σπουδῆς.
Aber aus diesen [Gründen] verkünden nun auch wir, dass die zuvor erwähnten sieben Diakonen nicht für solche, die bei den Mysterien dienen, gehalten werden sollen, gemäß der zuvor erklärten Lehre, sondern dass ihnen die Aufgabe der gemeinsamen Verpflichtung für die damals Versammelten in die Hände gelegt wurde. Sie sind uns auch darin zum Vorbild der Menschenfreundlichkeit und Mühe für die Notleidenden geworden. (MÜ)
Die von Heinz Ohme übersetzte Epitome 5 zu diesem Kanon lautet:
Darüber, daß die Zahl der sieben Diakone in der Apostelgeschichte nicht für die (Diakone) in der Kirche gelten soll.
Heutige Sicht
In einem Punkt folgt der Mainstream der heutigen Exegese der Deutung des Chrysostomos: die sieben Männer aus Apg 6,1 ff. sind keine Diakone im Sinne des späteren kirchlichen Amtes gewesen.
Gerhard Schneider überschreibt seinen Kommentar zu unserer Stelle mit „Die Wahl der sieben Helfer“ und weist in der Rezeption älterer englischer Literatur darauf hin, dass die Erzählung formgeschichtlich nach Einsetzungserzählungen der Septuaginta gestaltet wurde, die folgende Elemente enthalten:
Die mit dem Wachsen des Volkes gegebene Problematik, die Wahl der Personen (zur Entlastung dessen, der die Einsetzung vornimmt), das „Aufstemmen der Hände“ als Einsetzungsritus. 6
Schneider verweist in diesem Zusammenhang auf folgende Erzählungen:
- Gen 41,39—46: Einsetzung Josefs durch den Pharao
- Ex 18,13—26: Einsetzung der Richter durch Mose
- Num 11,1—25: Einsetzung der 70 Ältesten durch Mose
- Num 27,15—23: Einsetzung Josuas durch Mose
- Dtn 1,9—18: Einsetzung der Richter durch Mose
Markus Öhler macht darauf aufmerksam, dass das Siebener Gremium der Hellenisten, von dessen Einsetzung Lukas in Apg 6 berichtet, sich eben nicht um die gerechte Verteilung der Mahlzeiten bemühte – wir treffen diese sieben Männer (alle mit griechischen Namen) in weiterer Folge ausschließlich bei der Verkündigung an (Stephanus in Apg 6,8-53; Philippus in Apg 7,4-13; 26-40).7 Aus dieser und weiteren Beobachtungen schloss schon Jürgen Roloff, dass Lukas einen schweren Konflikt innerhalb der Urgemeinde verschleiert habe. Es sei die Entstehung einer hellenistischen Gemeinde mit eigenem Profil erkennbar: sie kritisierte den Tempel und die Tora (Apg 6,14) und wurde – im Unterschied zu den Hebräern – aus Jerusalem vertrieben (Apg 8,1). Für Roloff ist damit klar:
Das Siebenerkollegium war das Leitungsgremium dieser hellenistischen Gemeinde.8
Rudolf Pesch macht in seinem klassischen Kommentar zur Apg ebenfalls auf die alttestamentlichen Parallelen der Einsetzungserzählung aufmerksam und verweist besonders auf Num 27,15-23.
Aussuchen des Kandidaten (3; vgl. Num 27,16), Qualifikation (3.5; vgl.. Num 27,18), Präsentation (6; vgl. Num 27,19), Handauflegung (6; Num 27,18.23). 9
Auch er hält es für möglich, dass die Sieben – allerdings den Aposteln untergeordnete – Gemeindeleiter der Hellenisten gewesen seien. 10 Richard I. Pervo’s Kommentar zur Apostelgeschichte von 2009 bietet eine ingeniöse Zusammenfassung der bisherigen Forschungsergebnisse und macht deutlich, wie viele zahlreiche Verlinkungen von diesem Text ausgehen. Zunächst konstantiert er, dass Lukas seinen Bericht durch die Fortsetzung, die er ihm gibt, selbst dekonstruiert. 11
The most glaring inconsistency is the difference between the stated duties of the Seven and their reported activities. The narrator never depicts them engaged in oversight over the distribution of food. Stephen and Philip are missionaries. Of the rest nothing is said.
Dass die Sieben eine bekannte Größe waren, kann aus Apg 21,8 geschlossen werden, wo Philippus als ‚Evangelist‘ und ‚einer von den Sieben‘ bezeichnet wird, der sich aber interessanterweise nicht mehr in Jerusalem, sondern in Caesarea aufhält. Pervo listet zahlreiche biblische und pagane Beispiele für Verantwortung tragende Siebenergruppen zur Zeit der Urgemeinde auf. 12 Seit Ferdinand Christian Baur (1792-1860) bis hin zu Martin Hengel (1926-2009) wurde versucht, aus dieser Episode grundlegende Aussagen über ein angeblich antagonistisches hellenistisches und palästinensisches Urchristentum zu gewinnen. Hengel versuchte sogar über sie, eine direkte Linie von Jesus zu Paulus zu ziehen. 13 Das alles bleibt in meinen Augen hochspekulativ bis hochproblematisch, kommen wir deshalb zu den klar erkennbaren Verlinkungen, die Pervo aufzeigt.
Bemerkenswert ist, dass der von Lukas geschilderte Konflikt um die Mahlzeit von Witwen entbrennt und durch die Autoritäten gelöst werden muss. Dazu gibt es bemerkenswerte Parallelen. Dass Witwen eine bedeutende Gruppierung innerhalb der Kirchen zur Zeit des NT waren, ist daran erkennbar, dass 1 Tim für Witwen ein umfangreicheres Qualitätsprofil erstellt (1 Tim 5,3-16) als für Episkopen (1 Tim 3,1-7) oder Diakone (1 Tim 3,8-13). 14 Elisabeth Schüssler Fiorenza hat darauf hingewiesen, dass in den Pastoralbriefen eine ähnliche Trennung zwischen Dienst (1 Tim 3,8-13) und Verkündigung (1 Tim 5,17) propagiert wird, wie in Apg 6,2-4. 15 Ein ähnlicher Konflikt wird von Lukas ja bereits in der Erzählung von Martha und Maria geschildert (Lk 10,38-42). Feministische Theologinnen vermuten daher hinter unserem Text auch eine Auseinandersetzung um die Rolle der Frauen beim eucharsitischen Mahl. Zu Frage des Diakonen-Amtes in Apg 6 meint Pervo abschließend, dass er Lukas für die Ordinations-Terminologie in der Erzählung verantwortlich hält.
He describes an ordination not to explain the origin of the diaconal order but to subordinate the Seven to the Twelve and let the chips fall where they may. 16
Was Lukas an seiner Erzählung interessierte, war nicht das Problem – auf das er nicht mehr zurückkommt – sondern die Lösung.
This is the crucial point. Acts is interested in neither the underlying historical problem nor in the outcome, but only in the means of resolution. 17
Und in der Lösung – der personalen Ausdifferenzierung kirchlicher Aufgaben – könnte der entscheidende Impuls dieser Erzählung für das heutige kirchliche Leben liegen.
Fußnoten
- Luther 2017 überschreibt mit „Die Wahl der sieben Diakone“, die revidierte Einheitsübersetzung interessantwerweise mit „Die Wahl der Sieben“. Rudolf Pesch (EKK V,I 1998, S. 232) hat folgendes über den Ursprung der von mir hier in Frage gestellten Deutung ausgeführt: „Mit dem dritten Stand in der ausgebildeten kirchlichen Hierarchie, den »Diakonen«‚ sind die sieben Helfer von Apg 6,1—6 ausdrücklich zuerst von Irenäus von Lyon identifiziert worden (Haer I, 26,3 ; III, 12,10; IV, 15,1).“↩
- Diese Lesart als Frage bezeugt Mansi in seinen Konzilsakten des Trullanum (s.u.), Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio, XI, S. 650. Von der Fortsetzung her lautet die Antwort dann natürlich: Nein. Wenn man der Satzzeichensetzung des Migne-Textes folgt, ist zu übersetzen: „sondern die Aufgabe gehörte den Ältesten“. Presbyter bedeutet hier sicher nicht „Priester“, denn das hieße auf griechisch ἱερεύς (hiereús vgl. Apg 6,7). Über Apostel und Älteste in der Urgemeinde berichtet mehrfach Apostelgeschichte fünfzehn (Apg 15,2.4.6.22-23).↩
- Für die in Apg 6,2-3 geschilderte Aufgabe, an den Tischen zu dienen.↩
- Gemeint ist die Metropolitankirche in Konstantinopel↩
- Von ἐπιτομή – eine Art abstract – also eine deutende Zusammenfassung des Ergebnis dieses Kanons. Siehe Fontes Christiani, Band 82, Brepols 2006 S. 36-38.↩
- Herders theologischer Kommentar zum Neuen Testament, Die Apostelgeschichte Erster Teil, 1980, S. 417 und 422. Unangenehm berührt einen die antijüdische Tendenz dieses Kommentars, der mit allen Mitteln versucht, die Urgemeinde vom Judentum zu distanzieren.↩
- Siehe Markus Öhler, Geschichte des frühen Christentums, Göttingen 2018, S. 147↩
- Das Neue Testament Deutsch, Teilband 5: Die Apostelgeschichte; ¹⁸1998, S. 108. Roloff beruft sich bei der Klärung des Begriffs der Hellenisten auf – Chrysostomos – und schreibt: „Wer aber sind nun konkret die „Hellenisten“? Es besteht kein Anlaß, von der Antwort abzuweichen, die bereits Chrysostomus (Hom Ac ΧΧΙ1 zu Apg 9,29) gegeben hat: „er (Lukas) nennt die Griechisch Sprechenden Hellenisten“. (…) Es dürfte sich also um christlich gewordene Diasporajuden griechischer Zunge gehandelt haben, d.h. im wesentlichen um Glieder des in 2,5ff. genannten Personenkreises. Entsprechend sind die „Hebräer“ aus Palästina stammende oder mit Palästina besonders verbundene Juden aramäischer Muttersprache (Phil 3,5; 2 Kor 11,22).“ (ebenda)↩
- EKK V,1 Die Apostelgeschichte, 1994, S. 230↩
- Ebenda↩
- „In contemporary terms, Acts 6 almost immediately deconstructs.“ (Acts. A Commentary by Richard I. Pervo, 2009, S. 152)↩
- Vgl. S. 156, Fn. 37 a.a.o.↩
- Vgl. S. 151, Fn. 1 a.a.o↩
- Pervo verweist auch noch auf Apg 9,36-41 und Polycarp Phil 4,3. Siehe S. 162, Fn. 91. a.a.o.↩
- S. 162, Fn. 90, a.a.o.↩
- S. 161, a.a.o.↩
- S. 162, Fn. 92, a.a.o.↩
Ein weiterer Grund, weshalb ich Überschriften in Bibeln gar nicht mag. Sie sind im Grundtext nicht vorgesehen und sollten nicht vorhanden sein. Schlimm genug, dass es Kapitel und Verse gibt, welche auch oft genug den Kontext künstlich unterbrechen.