Lieben oder Hassen?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ich bin immer wieder gerne auf Diaspora unterwegs, und dort begegnen mir regelmäßig unter dem Stichwort #bible Beiträge, die in Form von Pictogrammen Kritik an der Bibel üben. In diesem Fall werden zwei auf den ersten Blick widersprüchliche Bibeltexte abgebildet: »Jeder, der seinen Bruder hasst, ist ein Mörder« (1 Joh 3,15) und »Wenn jemand zu mir kommt und nicht seine Brüder hasst, der kann nicht mein Jünger sein« (Lk 14,26). Der gewünschte Eindruck: die Bibel, ein hochproblematisches Buch. Hier meine 5 Cent dazu:  Zunächst einmal ist das Lukaszitat stark verkürzt – aber dafür gibt der englische Text das griechische Verb miséō korrekt wieder: es bedeutet »hassen«, und nicht »gering achten«, wie die Einheitsübersetzung verharmlost. Das gleiche Verb verwendet auch das Zitat aus dem ersten Johannesbrief, hier gibt die EÜ dann auch die richtige Bedeutung wieder. Doch nun zu meinen Einwänden im Einzelnen:

1. Niemand würde auf die Idee kommen, aus einer Bibliothek von 27 Büchern zwei Sätze aus zwei Büchern herauszureißen, sie – noch dazu nicht korrekt zitiert – nebeneinander zu stellen – und zu sagen: der Bibliothekar ist ein Vollidiot – macht diese Bibliothek zu.

2. Im verkürzten Lukas Zitat ruft Jesus auf dramatisch Weise dazu auf, alles, was einem Menschen buchstäblich heilig ist (darunter das eigene Leben!) für die Nachfolge aufzugeben. Dass dieser Satz nur vor dem Hintergrund einer persönlichen spirituellen Begegnung verständlich sein kann, verdeutlicht eine ähnliche Aussage des Paulus in Phil 3,7-8. Dieses Wort ist ohne Kenntnis der Soziologie der Jesusbewegung nur innerhalb eines spirituellen Kontexts nachvollziehbar.

Der Sinn dieser Aussage ist nicht, dass die eigene Familie oder das eigene Leben etwas schlechtes ist – im Gegenteil! Sie besagt aber, dass das Reich Gottes noch unendlich viel großartiger ist als das, was normalerweise jedem Menschen zu recht heilig ist.

3. Im ersten Johannesbrief schreibt ein Ältester (= der Presbyter) im Kontext einer frühkirchlichen Gemeinde mehrere Briefe, in denen es um Spannungen innerhalb der Gemeinde geht. Der Ausdruck »Bruder« ist hier – im Unterschied zum Lukaswort – eindeutig nicht biologisch gemeint, sondern übertragen: er bezieht sich auf die familia dei – die Familie Gottes.

So viel Text bringt man in einem Diaspora Beitrag nicht unter – bzw. er wird dort nicht gelesen. Die grobe Vereinfachung dieses Pictogramms und die Komplexität der biblischen Auslegung brauchen eine prägnante Antwort, und die habe ich in der Schrift gefunden: Spr 26,4-5.

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