Ex 18,2
Wie kommt es überhaupt zu dieser Frage? Die Antwort findet sich in Ex 18, wo der Besuch von Jitro, dem Schwiegervater des Mose, im Lager des ausgezogenen Volkes Israel erzählt wird:
וַיִּקַּח יִתְרוֹ חֹתֵן מֹשֶׁה אֶת־צִפֹּרָה אֵשֶׁת מֹשֶׁה אַחַר שִׁלּוּחֶֽיהָ׃
Und es nahm Jitro, der Schwiegervater des Mose, Ziporah, die Frau des Mose, nachdem er sie weggeschickt hatte.
Diese Formulierung nachdem er sie weggeschickt hatte erregte früh die Aufmerksamkeit der Ausleger.
Mekhilta de Rabbi Jishmael
ויקח יתרו חותן משה את צפורה אשת משה אחר שלוחיה
רבי יהושע אומר מאחר שנפטרה ממנו בגט נאמר כאן שלוח ונאמר להלן שלוח מה שלוח האמור להלן גט אף שלוח האמור כאן גט רבי אלעזר המודעי אומר מאחר שנפטרה ממנו במאמר שבשעה שאמר לו המקום למשה לך והוצא את עמי בני ישראל ממצרים שנאמר ועתה לכה ואשלחך אל פרעה וגו׳ באותה שעה נטל אשתו ושני בניו והיה מוליכם למצרים שנאמר ויקח משה את אשתו ואת בניו וירכיבם על החמור וישב ארצה מצרים באותה שעה נאמר לאהרן לך לקראת משה המדברה וגו׳ יצא לקראתו והיה מגפפו ומחבקו ומנשקו אמר לו משה אתי היכן היית כל השנים הללו אמר לו במדין אמר לו מה טף ונשים אלו עמך אמר לו אשתי ובניי אמר לו ולהיכן אתה מוליכם אמר לו למצרים אמר לו על הראשונים אנו מצטערים ועכשיו הבאת עלינו את האחרונים באותה שעה אמר לה משה לצפורה לכי לבית אביך נטלה שני בניה והלכה לכך נאמר אחר שלוחיה
(Edition Lauterbach, The Jewish Publication Society, Philadelphia 2004, Band II, S. 274-275, Z. 72-91)
Und es nahm Jitro, der Schwiegervater des Mose, Ziporah, die Frau des Mose, nachdem er sie weggeschickt hatte (Ex 18,2) Rabbi Jehoschua sagt: [Das bedeutet:] Nachdem sie von ihm mit einem Scheidebrief (Get) Abschied genommen hatte. Hier [in Ex 18,2] wird „wegschicken“ gesagt und dort [in Dtn 24,1] wird „wegschicken“ gesagt1. So wie das dort genannte „wegschicken“ einen Get bedeutet, so bedeutet auch das hier genannte „wegschicken“ einen Get.2 Rabbi Eleazar von Modi’in sagt: [Der Ausdruck bedeutet:] Nachdem sie von ihm mit einer mündlichen Erklärung Abschied genommen hatte, denn in der Stunde, in der HERR zu Mose sprach: Geh und führe mein Volk, die Kinder Israels, aus Ägypten (Ex 3,10), wenn es heißt: Und nun geh, denn ich werde dich zu Pharao senden usw. (ebenda) – zu der selben Stunde nahm er seine Frau und seine beiden Söhne und brachte sie3 nach Ägypten, wenn es heißt: Und Mose nahm seine Frau und seine Söhne und liess sie auf dem Esel reiten. Und so kehrte er in das Land Äygypten zurück (Ex 4,20). In der selben Stunde wurde zu Aaron gesagt: Geh Mose in die Wüste entgegen (Ex 4,27) usw. Er ging hinaus, ihm entgegen; nachdem er ihn umarmt, gedrückt und geküsst hatte sagte er zu ihm: „Mose, wo bist du all diese Jahre gewesen?“
Er (Mose) sagte zu ihm: „In Midian.“
Er (Aaron)sagte zu ihm: „Was sind das für Kinder und Frauen bei dir?“
Er (Mose) sagte zu ihm: „Meine Frau und meine Söhne“.
Er (Aaron) sagte zu ihm: „Und wohin bringst du sie?“
Er (Mose) sagte zu ihm: „Nach Ägypten“.
Er (Aaron) sagte zu ihm: „Uns tun schon die Vorherigen leid [die bereits in Ägypten sind], und jetzt bringst du die Nächsten zu uns!“
In der selben Stunde sprach er zu ihr – Moses zu Ziporah: „Geh in das Haus deines Vaters“. Da nahm sie ihre beiden Söhne und ging weg. Deshalb wird gesagt: nachdem er sie weggeschickt hatte.
(Mekhilta de Rabbi Jishmael, Traktat Amalek 3 zu Ex 18,2; MÜ)
Num 12,1
Im Midrasch ist die Frage Aarons auffällig: „Was sind das für Kinder und Frauen (Plural!) bei dir?“ Und Mose antwortet: „Meine Frau (Singular) und meine Söhne.“ Hatte Mose etwa mehrer Frauen? Einen Hinweis darauf sah man in dem Vers Num 12,1:
וַתְּדַבֵּ֨ר מִרְיָ֤ם וְאַהֲרֹן֙ בְּמֹשֶׁ֔ה עַל־אֹד֛וֹת הָאִשָּׁ֥ה הַכֻּשִׁ֖ית אֲשֶׁ֣ר לָקָ֑ח כִּֽי־אִשָּׁ֥ה כֻשִׁ֖ית לָקָֽח׃
Und Mirjam und Aaron redete gegen Mose betreffend der kuschitischen Frau, die er genommen hatte; denn er hatte eine kuschitische Frau genommen. (MÜ)
Ein höchst seltsamer Satz: das Verb reden gegen (va-tedaber) steht im Singular femininum – als ob nur Mirjam gesprochen hätte. Dazu kommt noch die auffällige doppelte Erwähnung der Kuschitin. Wer war diese Frau? Was war so schlimm daran, dass Mose sie genommen hatte? Und welches Land ist mit Kusch gemeint?
Zunächst einmal: Ziporah kam nicht aus Kusch, sondern aus Midian (Ex 2,16-22). Kusch wird in der Septuaginta meistens als Äthiopien übersetzt4 – was bedeutet, dass die Kuschiterin eine Afrikanerin war. Hatten die Geschwister des Mose etwa rassistische Vorbehalte gegen diese zweite Frau ihres Bruders?
Oder ist Kusch eine andere Ortsbezeichnung für oder in Midian? In Hab 3,7 wird Kuschan in einem Atemzug mit Midian erwähnt, nach Gesenius „ein unbekannter Wüstenstamm in der Nähe Midians“.5 Dann wäre die umstrittene Frau doch Ziporah.
Ich will hier nicht auf die reiche, aber spätere rabbinische Auslegung eingehen, sondern mich zunächst auf die Diskussionsbeiträge beschränken, die vor oder aus der Zeit Jesu auf uns gekommen sind.
Demetrios der Chronograph
Demetrios dürfte Ende des dritten Jahrhunderts vor der Zeitrechnung in Alexandria gelebt haben. Er war ein Griechisch schreibender jüdischer Historiker, Fragmente seines Werkes sind u.a. durch Eusebius von Cäsarea auf uns gekommen.6 In einem dieser Fragmente, das Eusebius in der Praeparatio evangelica IX,29,1-3 bewahrt hat, erklärt Demetrios, dass Mose und Ziporah beide von Abraham abstammen würden. In der Septuaginta las Demetrios nämlich:
¹ Προσθέμενος δὲ Αβρααμ ἔλαβεν γυναῖκα, ᾗ ὄνομα Χεττουρα. ² ἔτεκεν δὲ αὐτῷ τὸν Ζεμραν καὶ τὸν Ιεξαν καὶ τὸν Μαδαν καὶ τὸν Μαδιαμ καὶ τὸν Ιεσβοκ καὶ τὸν Σωυε. ³Ιεξαν δὲ ἐγέννησεν τὸν Σαβα καὶ τὸν Θαιμαν καὶ τὸν Δαιδαν· υἱοὶ δὲ Δαιδαν ἐγένοντο Ραγουηλ καὶ Ναβδεηλ καὶ Ασσουριιμ καὶ Λατουσιιμ καὶ Λοωμιμ. (Gen 25,1-3 LXX)
¹ Abraham aber nahm nochmals eine Frau, die Chettura hieß. ² Sie aber gebar ihm Zembran und Jexan und Madan und Mafia und Jesbok und Sove. ³ Jexan aber zeugte Saban und Thaiman und Daidan. Die Söhne des Daidan aber waren Raguel und Nabdeel und Assuriim und Latusiim und Loomim. (Gen 25,1-3; Ü: LXX Deutsch)
Raguel, der nur in der griechischen Fassung des Verses hier genannt wird, ist in unseren deutschen Übersetzungen Reguël, der Schwiegervater des Mose und der Vater der Ziporah (Ex 2,16-18). 7 Nachdem in Gen 25,6 gesagt wird, dass Abraham alle Söhne seiner Nebenfrau „nach Osten in das Ostland“ (πρὸς ἀνατολὰς εἰς γῆν ἀνατολῶν) schickte, nahm Demetrios an, dass Ziporah in Num 12,1 deswegen als Äthiopierin bezeichnet wurde, denn das „Ostland“ schloss Äthiopien mit ein.8 Das Fragment über Moses endet mit den Worten:
οὐδὲν οὖν ἀντιπίπτει τὸν Μωσῆν καὶ τὴν Σεπφώραν κατὰ τοὺς αὐτοὺς γεγονέναι χρόνους. κατοικεῖν δὲ αὐτοὺς Μαδιὰμ πόλιν, ἢν ἀπὸ ἑνὸς τῶν Ἁβραὰμ παίδων ὀνομασϑῆναι. φησὶ γὰρ τὸν Ἁβραὰμ τοὺς παῖδας πρὸς ἀνατολὰς ἐπὶ κατοικίαν πέμψαι· διὰ τοῦτο δὲ καὶ Ἀαρὼν καὶ Μαριὰμ εἰπεῖν ἐν Ἀσηρὼϑ Μωσῆν Αἰϑιοπίδα γῆμαι γυναῖκα. (Praep. evang. IX,29,3)
»Nichts steht also dem entgegen, daß Moses und Sephora zur gleichen Zeit lebten. Sie bewohnten die Stadt Madiam, die so nach einem Abrahamsproß heißt. Abraham sandte seine Söhne nach Osten zur Ansiedelung. Deshalb wurde Moses in Aseroth von Aaron und Mariam getadelt, daß er ein äthiopisches Weib geheiratet habe.« (Ü: Paul Rießler)
Ezechiel der Tragiker
Der vermutlich ebenfalls in Alexandria lebende jüdische und griechischsprachige Dichter dürfte ins 2. Jh. vor der Zeitrechnung gehören. Von seinem Werk – der Exagōgḗ – einer dichterischen Behandlung des Exodus, haben nur Fragmente durch Alexander Polyhistor und nach ihm bei Clemens von Alexandria und eben wieder Eusebius überlebt.9 Dabei lässt Ezechiel Ziporah zu Mose sprechen:
Λιβύη μὲν ἡ γῆ πᾶσα κλῄζεται, ξένε,
οἰκοῦσι δ‘ αὐτὴν φῦλα παντοίων γενῶν,
Αἰϑίοπες ἄνδρες μέλανες· ἄρχων δ‘ ἐστι γῆς
εἷς καὶ τύραννος καὶ στρατηλάτης μόνος.
ἄρχει δὲ πόλεως τῆσδε καὶ κρίνει βροτοὺς
ἱερεύς, ὅς ἐστ‘ ἐμοῦ τε καὶ τούτων πατήρ.
(Praep. Evang. IX,28,4)10
Das ganze Land nun nennt man wirklich Lybien, Fremder
doch Stämme aller Arten bewohnen es
Äthiopier, schwarze Männer. Aber Herrscher des Landes ist
einer allein, sowohl Prinz als auch Heerführer.
Denn er ist Erster dieser Stadt und richtet die Sterblichen,
ein Priester, der ist mein und deren Vater.
(Exagōgḗ, 60-65; vgl. Ex 2,16-22; MÜ)
Damit ist Ezechiel ebenfalls ein früher Zeuge der Auslegungstradition, die die kuschitische Frau aus Num 12,1 mit Ziporah identifizierte.
Artapanos von Alexandria
Artapanos kann man vermutlich im 2. Jh. vor der Zeitrechnung ansetzen. Von seinem Werk haben drei Fragmente überlebt, die sich mit Abraham, Joseph und Mose beschäftigen. 11 Sein Beitrag ist von einer blühenden Fantasie gekennzeichnet. Er versuchte, die griechische Kultur letztendlich auf Moses zurückzuführen, eine Idee, die die Kirchenväter mit Begeisterung aufgreifen sollten. Dass Artapanos etwa Moses mit Musaeos identifizierte (Praeparatio Evangelica 9.27.3-4), dem sagenhaften Schüler des Oprheus, trieb noch einem renommierten Altphilologen wie Eduard Schwartz (1858-1940) die Zornesröte ins Gesicht – man lese dazu nur seinen Artikel über Artapanos in Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaften. Artapanos ist der früheste Zeuge einer Legende, nach der Mose als Prinz von Ägypten (Ex 1,10) erfolgreich Krieg gegen Äthiopien führte. (Praeparatio Evangelica 9.27.7-10) 12 Auch wenn Artapanos selbst in seinen erhalten gebliebenen Fragmenten eine äthiopische Ehefrau des Moses nicht nennt, bereitete er damit den Boden für eine weitere Entfaltung dieser Legende.
Josephus Flavius
Josephus Flavius (um 37 bis 100 nach der allgemeinen Zeitrechnung) war ein Zeitgenosse der meisten Autoren der NT-lichen Schriften. Bei ihm findet sich die Vollform der bei Artapanos anfanghaft geschilderten Legende. Mose führt das ägyptische Heer siegreich in das Land der Äthiopier und belagerte deren Hauptstadt. Dabei geschah nach Josephus folgendes:
[252] Θάρβις ϑυγάτηρ ἦν τοῦ Αἰϑιόπων βασιλέως. αὕτη τὸν Μωυσῆν πλησίον τοῖς τείχεσι προσάγοντα τὴν στρατιὰν καὶ μαχόμενον γενναίως ἀποσκοποῦσα καὶ τῆς ἐπινοίας τῶν ἐγχειρήσεων ϑαυμάζουσα, καὶ τοῖς τε Αἰγυπτίοις αἴτιον ἀπεγνωκόσιν ἤδη τὴν ἐλευϑερίαν τῆς εὐπραγίας ὑπολαμβάνουσα καὶ τοῖς Αἰϑίοψιν αὐχοῦσιν ἐπὶ τοῖς κατ᾽ αὐτῶν κατωρϑωμένοις τοῦ περὶ τῶν ἐσχάτων κινδύνου, εἰς ἔρωτα δεινὸν ὤλισϑεν αὐτοῦ καὶ περιόντος τοῦ πάϑους πέμπει πρὸς αὐτὸν τῶν οἰκετῶν τοὺς πιστοτάτους διαλεγομένη περὶ γάμου. [253] προσδεξαμένου δὲ τὸν λόγον ἐπὶ τῷ παραδοῦναι τὴν πόλιν καὶ ποιησαμένου πίστεις ἐνόρκους ἦ μὴν ἄξεσϑαι γυναῖκα καὶ κρατήσαντα τῆς πόλεως μὴ παραβήσεσϑαι τὰς συνϑήκας, φϑάνει τὸ ἔργον τοὺς λόγους. καὶ μετὰ τὴν ἀναίρεσιν τῶν Αἰϑιόπων εὐχαριστήσας τῷ ϑεῷ συνετέλει τὸν γάμον Μωυσῆς καὶ τοὺς Αἰγυπτίους ἀπήγαγεν εἰς τὴν ἑαυτῶν. (Antiquitatum Iudaicarum Liber II 252-253; Ed. Benedictus Niese 1887, Band I, S. 186)
„Der König der Aethiopier hatte eine Tochter namens Tharbis. Diese sah, wie Moyses sein Heer an die Stadtmauer führte und selbst tapfer kämpfte, und wunderte sich über das, was er schon ausgedacht und in Angriff genommen hatte, wie er nämlich nicht nur den Aegyptiern, die an ihrer Befreiung schon verzweifelten, dieselbe glücklich verschafft, sondern auch die Aethiopier, die bereits ruhmreiche Thaten verrichtet, in die äusserste Enge getrieben hatte; und sie wurde von heftiger Liebe zu ihm ergriffen. Und da ihre Neigung von Tag zu Tag grösser wurde, schickte sie ihre vertrautesten Diener zu ihm und liess ihm die Ehe anbieten. Moyses ging hierauf ein unter der Bedingung, dass ihm die Stadt übergeben würde. Und als er einen Eid darauf geleistet, dass er sie zur Ehe nehmen und dass er nach Übergabe der Stadt an dem Vertrage festhalten wolle, schritt man vom Worte zur That. Darauf dankte er Gott für die Besiegung der Aethiopier, feierte seine Hochzeit und führte das Heer der Aegyptier in die Heimat zurück.“
(Jüdische Altertümer, II,10,2; Ü: Heinrich Clementz)
Nach dieser Legende ist also die Äthiopierin aus Num 12,1 nicht Ziporah, sondern die erste Frau des Mose, vor seiner zweiten Verehelichung in Midian.
Philo von Alexandria
Mit Philo (um 20 v. bis etwa 50 n.d.A.Z.) kehren wir in die Lebenszeit Jesu und Pauli zurück. Der hochgebildete Alexandrinische Jude setzte sich ebenfalls mit der Frage nach der Identität der Frau des Mose in Num 12,1 auseinander, beschritt aber einen deutlich anderen Weg als seine Vorgänger. In seiner allegorischen Auslegung von Num 12,1 führt er aus:
ὄντως γὰρ ἀναίσχυντος καὶ ϑρασεῖα ἡ αἴσϑησις, ἣ ἐξουϑενηϑεῖσα ὑπὸ τοῦ ϑεοῦ τοῦ πατρὸς παρὰ τὸν πιστὸν ἐν ὅλῳ τῷ οἴκῳ, ὧ τὴν Αἰϑιόπισσαν, τὴν ἀμετάβλητον καὶ κατακορῆ γνώμην, αὐτὸς ὁ ϑεὸς ἡρμόσατο, τολμᾷ καταλαλεῖν Μωυσῆ καὶ κατηγορεῖν, ἐφ’ ᾧ ὤφειλεν ἐπαινεῖσϑαι· τοῦτο γάρ ἐστιν ἐγκώμιον αὐτοῦ μέγιστον, ὅτι τὴν Αἰϑιόπισσαν ἔλαβε, τὴν ἄτρεπτον καὶ πεπυρωμένην καὶ δόκιμον φύσιν· ὥσπερ γὰρ ἐν ὀφθαλμῷ τὸ βλέπον μέλαν ἐστίν, οὕτως τὸ ὁρατικὸν τῆς ψυχῆς Αἰϑιόπισσα κέκληται. (Philonis Alexandrini opera quae supersunt, hg. von Leopold Cohn (Berlin 1896) Band I S. 103)
„Schamlos und dreist ist in Wirklichkeit die Sinnlichkeit, die von Gott dem Vater hintangesetzt gegen den im ganzen Hause Wohlbewährten (Num 12,7), dem Gott selbst die Aethiopierin, die unabänderliche, ganz reine Denkart, zugesellt hat, einen Moses zu schelten und anzuklagen wagt wegen einer Sache, für die er gelobt werden müsste; denn das ist sein grösster Ruhm, dass er die Aethiopierin genommen hat, die unwandelbare, feurige, echte Wesenheit; denn wie im Auge der Träger der Sehkraft schwarz ist, so ist der Träger der seelischen Sehkraft Aethiopierin genannt.“ (Philo, Allegorische Erklärung des heiligen Gesetzbuches, Ü: Isaak Heinemann). 13
Philo versucht dem Thema durch eine allegorische Deutung Herr zu werden. Im ersten Buch des zitierten Werkes hatte er den Namen Äthiopien mit der Bedeutung „Erniedrigung“ übersetzt.14 Diese Erniedrigung – positiv formuliert: Bescheidenheit (vgl. Num 12,3!) – konnotiert Philo mit der „reinen Denkart“ (κατακορῆ γνώμην). Hier liegt vermutlich eine Anspielung auf einen platonischen Text vor, denn im Tim 68c wird κατακορής mit der Farbe schwarz verbunden und meint ein gesättigtes, tiefes schwarz, was wiederum zu der Äthiopierin passen soll. Wie auch immer: in seiner exzessiven Allegorese geht Philo dem Problem aus dem Weg, indem er aus der Äthiopierin eine seelische Eigenschaft des Mose macht.
Neues Testament
Synoptische Tradition
Spielen diese Diskussionen, ob Mose mit mehreren Frauen verheiratet und/oder geschieden war im Neuen Testament eine Rolle? Immerhin wird dort der Namen Mose ausdrücklich mit der Diskussion über die Frage der Ehescheidung verbunden (Mk 10,2-12; Mt 19,3-12). Doch der Befund ist in dieser Sache eher ernüchternd: an dieser genannten Stelle spielt diese Frage keine Rolle und das wohl aus Q stammende Wort über die Ehescheidung (Mt 5,32/Lk 16,18) nennt nicht einmal den Namen des Mose.
Paulus
Der Apostel kennt das Verbot der Scheidung durch den Kyrios Jesus (1 Kor 7,10-11), das er kraft seiner apostolischen Autorität der Situation seiner Gemeinden anpasst, in dem er die Scheidung zwischen Getauften und nicht Getauften zulässt (1 Kor 7,12-16), das privilegium paulinum. Aber auch Paulus geht nicht auf die Diskussion über den Ehestatus des Mose ein.
Fußnoten
- Dtn 24,1 ist der Anfang einer sehr langen Bestimmung über die Wiederheirat einer Frau, mit der ein Mann bereits verheiratet war. Die Wenn-Dann Bestimmung beginnt mit den Worten: כִּֽי־ יִקַּ֥ח אִ֛ישׁ אִשָּׁ֖ה וּבְעָלָ֑הּ וְהָיָ֞ה אִם־לֹ֧א תִמְצָא־חֵ֣ן בְּעֵינָ֗יו כִּי־מָ֤צָא בָהּ֙ עֶרְוַ֣ת דָּבָ֔ר וְכָ֨תַב לָ֜הּ סֵ֤פֶר כְּרִיתֻת֙ וְנָתַ֣ן בְּיָדָ֔הּ וְשִׁלְּחָ֖הּ מִבֵּיתֽוֹ׃ – Wenn ein Mann eine Frau nimmt und ihr Besitzer wird und es geschieht: sie findet keine Gnade in seinen Augen , weil er an ihr die Nacktheit einer Sache findet und er schreibt ihr einen Brief über den Schnitt (= einen Scheidebrief) und gibt ihn in ihre Hand und schickt sie aus seinem Haus weg (MÜ). Was dieser Scheidungsgrund bedeutet ist Gegenstand umfassender Diskussionen in der rabbinischen Literatur. Für unseren Kontext wichtig: hier wird das gleiche Verb verwendet, wie in Ex 18,2 – daher die Schlussfolgerung von R. Jehoschua: Mose hat sich von seiner Frau scheiden lassen.↩
- Zur Übersetzung vergleiche Hirsch Sachs: Die Partikeln der Mischna § 27↩
- Hif. Part. mit Suff. – vgl. Jes 63,13↩
- Vgl. Gesenius S. 339; So liest die LXX im vorliegenden Vers: Καὶ ἐλάλησεν Μαριαμ καὶ Ααρων κατὰ Μωυσῆ ἕνεκεν τῆς γυναικὸς τῆς Αἰθιοπίσσης, ἣν ἔλαβεν Μωυσῆς, ὅτι γυναῖκα Αἰθιόπισσαν ἔλαβεν.↩
- ebenda↩
- siehe James Kugel, Traditions of the Bible, Harvard University Press 1998, S. 912↩
- Um die Verwirrung komplett zu machen: Reguël heißt in Ex 18 Jitro und in Ri 4,11 Hobab. Dieser Hobab ist allerdings nach Num 10,29 der Sohn des Reguël.↩
- Vgl. Kugel. S. 513 FN 9 a.a.o.↩
- Siehe den Artikel von Albrecht Dieterich über Ezechiel in Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft.↩
- GCS 8,1 S. 527↩
- Vgl. Kugel S. 907 a.a.o.↩
- Eine deutsche Übersetzung findet sich hier.↩
- Die Werke in deutscher Übersetzung, Band 3; Breslau 1919, S. 72-73↩
- περικυκλοῖ δὲ καὶ περικάϑηται προσπολεμοῦσα τὴν Αἰϑιοπίαν, ἧς ἐστιν ἑρμηνευϑὲν τοὔνομα ταπείνωσισ. (S. 79, a.a.O.) Ausgehend von dem Vers Gen 2,13 (LXX): Und der zweite Fluss heißt Geon, dieser ist es, der das ganze Land Äthiopien umringt schreibt Philo hier: „Und er umringt und umzingelt belagernd Äthiopien, dessen Namen mit ‚Erniedrigung‘ übersetzt wird.“ (MÜ)↩