Rezension von Brent Nongbri’s »God’s Library«

Das 2018 bei Yale University Press erschienene Buch des in Australien lehrenden Wissenschaftlers Brent Nongbri trägt den Titel: »God’s Library. The Archeology of the Earliest Christian Manuscripts.«

Nongbri spricht bewusst nicht von »neutestamentlichen Handschriften«, denn dieser Ausdruck ist in jedem Fall für die ersten Jahrhunderte anachronistisch, weil es einfach noch kein Neues Testament gab. 1 Er kann in diesem Zusammenhang auf 𝔓 72 verweisen, ein Kodex, der den Judasbrief und die beiden Petrusbriefe enthält, aber auch andere frühe christliche Texte, wie die »Geburt Mariens», einen angeblichen weiteren Korintherbrief des Paulus, die 11. Ode Salomos und die Osterpredigt des Melito von Sardes. Zu Recht meint Nongbri, aus diesem Kodex (LDAB 2565) den ’neutestamentlichen Papyrus‘ 𝔓 72 zu machen, »is at best confusing and at worst misleading.«

Nongbri vergleicht das Ziel seines Werkes im Vorwort mit einem zweischneidigen Schwert: auf der einen Seite will er darstellen, was wir über diese Handschriften als archäologische Kunstwerke wissen können. Auf der anderen Seite will er aufzeigen, wie elend wenig wir wirklich über den Ursprung dieser Bücher wissen. Dieses Vorhaben wird in sieben Kapiteln durchgeführt. Lesende erfahren in dem hervorragend illustrierten Buch, wie schwierig die Datierung von Handschriften ist und welchen Herausforderungen sich die Wissenschaftler gegenüber sehen. Besonders eindrucksvoll ist seine Analyse der Auffindung der Handschriften: die Händler der Papyri haben alles getan, um die wahren Fundorte ihrer kostbaren Ware zu verschleiern. Die lokale (zumeist ägyptische) Bevölkerung – von der eigenen Regierung unter Druck gesetzt, die Funde ohne Bezahlung herauszugeben – verschärfte dieses Problem noch durch bewusste Falschangaben. Die Besitzer der Sammlungen (zumeist in Europa und den USA beheimatet) haben ihrerseits kein Interesse daran, dass ihre kostbaren Schätze vielleicht später datiert werden und halten bis heute relevante Informationen zurück. Aufschlussreich ist auch die Darstellung, warum die Radiokarbon-Analyse nicht der Zauberschlüssel zur eindeutigen Lösung der Datierungsfrage sein kann.

Nongbri gelingt es, all die technischen Aspekte der Untersuchung so anschaulich zu schildern, dass sie sich teilweise spannend wie ein Detektiv-Roman lesen. Nachdem er im zweiten Kapitel unter der Überschrift »The Dating Game« alle Herausforderungen geschildert hat, nimmt er sich mehrere prominente Sammlungen vor, deren Fundgeschichte, Inhalt und Herstellung geschildert werden: die biblischen Beatty-Papyri, die Bodmer-Papyri, und die Funde in Oxyrhynchos. Im siebten Kapitel schildert Nongbri, wie durch das Wunschdenken anerkannter Wissenschaftler, mediale Sensationsgier und zahlreiche Zirkelschlüsse eine vollständige Handschrift aller vier kanonischen Evangelien aus dem frühen zweiten Jahrhundert postuliert wurde – die er durch seine präzise Analyse als fantastisches Traumgebilde nachweist.

Zum Abschluss seines Buches betont Nongbri, dass es ihm nicht darum geht, Gewissheiten zu zerstören, sondern zu zeigen, was wir – vor allem aufgrund der Analyse der antiken Schreibtechnik (Paläografie) wissen können und was nicht. Diese Vernunft und Fakten geleitete Herangehensweise macht das Buch zu einem wirklichen Erlebnis. Das Englisch des Verfassers ist – wie so oft bei Wissenschaftlern aus dem angelsächsischen Raum – klar verständlich aber niemals trivial. Ich empfehle einen Kauf als E-Book – und den Autor mit samt seinem Blog im Auge zu behalten.

Zur academia.edu Seite des Autors.

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  1. »There isn’t really any such thing as “a New Testament papyrus.”« (404/7730)

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