Das bemerkenswert schöne Kapitell aus der Maria von Magdala geweihten Basilika in Vézelay (Burgund) zeigt das Motiv der mystischen Mühle, einer tiefsinnigen Darstellung des Verhältnisses der beiden biblischen Testamente. Je nach Vorverständnis wird – welche Überraschung – das Bild dann auch ausgelegt.
In seinem Vorwort zu der deutschen Ausgabe von »Typologie.Allegorie.Geistiger Sinn. Studien zur Geschichte der christlichen Schriftauslegung« von Henri de Lubac schreibt der Übersetzer Rudolf Voderholzer:
»Links der Repräsentant des Alten Bundes, mit kurzem Gewand und einfachen Schuhen an den Füßen als Sklave gekennzeichnet (…). Recht Paulus, Repräsentant des Neuen Bundes, bekleidet mit der langen Tunika eines freien römischen Bürgers«. Er zitiert dann einen Vers von Abt Suger von Saint Denis, nachdem Paulus aus der Kleie des mosaischen Gesetzes das Mehl für das wahre Brot bereite und führt dazu aus: »Die Einheit von Altem und Neuen Bund ist ebenso gezeigt, wie die Diskontinuität zwischen beiden Epochen …«
Meine Betrachtungsweise
Hier kurz meine Sicht und Interpretation des Bildes: Moses steht deutlich über Paulus – und ohne seinen Inhalt würde die mystische Mühle vollkommen leer bleiben. Paulus ist sorgsam darauf bedacht, auch nicht ein Stäubchen dessen zu verlieren, was ihm von Mose »eingetrichtert« wurde. Ohne das durch die »Mühle« Christus gemahlene »Korn« des Mose – ohne die Auslegung von Tora und Propheten durch Jesus – wäre die Kirche ohne geistliche Nahrung. Wie man hier von Diskontinuität sprechen kann, bleibt mir ein Rätsel … (vgl. Mt 5,17).
Man sieht halt was man sehen will. Und „Diskontinuität“ ist doch mal ein anderer Ausdruck für christlichen Antijudaismus. Man lernt immer wieder was dazu.
Schütte ein —– Korn geweiht
auszudrücken Mehl und quetschen pressen
Behälter selber du der Mühleschlund
in dir restlos auszubeten brotbereit
nur um darin Gott zu essen :
Apostel und Prophet erfüllen erst den Bund.
Vézelay