Passend zur Weihnachtszeit diese Beobachtungen zu einem Weihnachtslied, das ich seit meinen Kindertagen liebe. Exegetisch gesehen versammelt es alle Aspekte der Auslegung, die mir in diesem Blog wichtig sind.Hinter dem Lied steht der Text von Jes 11,1 – genauer gesagt der Vetus Latina Text von Jes 11,1 – der seinerseits wieder auf die LXX zurückgeht. Ich beginne mit der Übersetzung aus dem hebräischen Text:
»Und es geht hervor (Perfekt!) ein Zweig/Reis aus dem Baumstumpf Ischais, und ein Spross aus seiner Wurzel wird Frucht bringen.« (MÜ) Das Verb für »Frucht bringen« ist im Hebräischen frh (פרה).
Die LXX liest ein ganz ähnliches Wort im Hebräischen: frḥ (פרח), was folgende Übersetzung ergibt: »Und hervorkommen wird ein Schössling aus der Wurzel Jessais, und eine Blume wird aus der Wurzel emporsteigen.« (Ü: LXX Deutsch)
So hat es die Vetus Latina übernommen: »Und es wird hervorwachsen ein Zweig/Reis (lat. virga) aus der Wurzel Jesse, und eine Blume (lat. flos) wird aus seiner Wurzel emposteigen.« Hieronymus hat sich an dieser Übersetzung in seiner Vulgata orientiert, bis auf ein Wort ist sie identisch mit der Vetus Latina.
Hier liegt also der Ursprung des Bildes von der »Wurzel Jesse« – meine Lieblingsdarstellung findet sich in der Kathedrale von Chartres.
PS: Das Bild von dem Baumstumpf in Jes 11,1, aus dem Gott einen Zweig/eine Blume hervorwachsen lässt, ist meiner Meinung nach der Schlüssel zum Verständnis des »Stammbaums Jesu« in Mt 1,1-17.